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Psychologie 2009: Gegen Daten hilft nur Voodoo

Nicht nur die Wirtschaft, auch die Neurowissenschaft hatte in diesem Jahr ihre Krise: Die Bildgebung geriet in Verruf. Viele Hirnscans gab es trotzdem zu bewundern.
Bildgebung in der Krise
Im Juni dieses Jahres trat Craig Bennett, Hirnforscher von der University of California in Santa Barbara, mit einer brisanten Studie an die Öffentlichkeit. Ihm sei es gelungen, verkündete er, bei einem Lachs ein Hirnareal auszumachen, das systematisch auf menschliche Gesichtsausdrücke reagiert. Das Ungewöhnliche: Zum Zeitpunkt der Untersuchung war das Tier bereits mausetot, dahingeschieden, eingegangen in die Ewigen Fischgründe.

Dass Bennett seinen Einkauf in die Scanner- und nicht die Bratenröhre schob, war denn auch weniger einem rein wissenschaftlichen Interesse geschuldet, als vielmehr einer augenscheinlichen Lust an der Provokation. Natürlich glaubte nicht einmal er selbst daran, dass der gemessene Effekt real war. Das Jahr 2009 stand in der Hirnforschung im Zeichen der Methodendiskussion. Teils öffentlich, teils hinter den Kulissen wurden jene Verfahren ausgeleuchtet, mit denen Forscher seit Jahren die Daten der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) auswerten. Das Fundament moderner Neurowissenschaft – die Bildgebung – sollte einen Knacks bekommen. Aber der Reihe nach.

Meister des Okkulten

Den Auftakt machte im Januar eine Metastudie des Doktoranden Ed Vul vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge.
Das fMRT-Wunder | Hirnaktivierung (rot) bei einem toten Lachs? Die Statistik macht’s möglich.
Gemeinsam mit seinen Kollegen befragte er Autoren, die in ihren Studien außergewöhnlich hohe Korrelationen zwischen Persönlichkeitseigenschaften und Vorgängen im Gehirn festgestellt hatten, nach der verwendeten Methode. Rund die Hälfte davon waren, so das Ergebnis von Vul und Mitarbeiten, einem statistischen Phänomen aufgesessen, das der Forscher mit einem deftigen Namen belegte: Voodoo-Korrelationen.

Als Meister des Okkulten wollten die Angesprochenen freilich nicht gelten und schossen zurück, weshalb unter anderem die "Voodoo Correlations" im Titel der Originalpublikation dem etwas versöhnlicheren Ausdruck "Puzzlingly High Correlations" weichen mussten (in etwa: "Verblüffend hohe Korrelationen"). Andernorts hingegen legte die Kritikerfraktion nach, beispielsweise indem sie demonstrierte, dass sich mit den etablierten Methoden sogar in zufallsgenerierten Daten Muster entdecken lassen.

Das Grundproblem illustrierte Fritz Strack, Sozialpsychologe an der Universität Würzburg, in einem Beitrag für das Magazin "Gehirn&Geist" anhand eines anschaulichen Vergleichs. Das von Vul und Kollegen inkriminierte Verfahren funktioniere etwa so, "als würde man um die von einem blinden Schützen verursachten Einschüsse nachträglich eine Zielscheibe zeichnen und behaupten, er habe ins Schwarze getroffen." Die Masse an meist stark verrauschten Rohdaten der fMRT macht nämlich hochkomplexe statistische Analyseverfahren erforderlich, von denen einige ein Ergebnis vorgaukeln können, wo keines ist. Siehe Craig Bennets toter Lachs.

Auch dem Grundprinzip, nach dem die Magnetresonanztomografie funktioniert, wurde ein Teil des Vertrauens entzogen. Das Gerät erfasst aktive Hirnregionen lediglich indirekt, indem es deren Sauerstoffversorgung misst. Allerdings hängen beide Werte keineswegs so eng miteinander zusammen wie gedacht, wies eine Studie an Affen nach.

Von wegen Krise

Die Jahrzehnte bildgebender Hirnforschung, die Tausende bunter Hirnscanbilder, alles nur fauler Zauber? Auch wenn bisweilen dieser Eindruck entstand, die grundsätzliche Eignung der fMRT als legitimes Instrument der Neurowissenschaft wollte so gut wie keiner der Kritiker in Zweifel ziehen. Zumal deren Auflösungsvermögen mittlerweile ein Niveau erreicht hat, bei dem schon die Organisation der Informationen innerhalb einer Hirnregion zu Tage tritt.

Insofern scheint die angebliche Krise der Hirnforschung auch weniger geschadet, denn genützt zu haben: Das Bewusstsein für korrekte Anwendung der Methoden – und zwar der richtigen! – wurde geschärft und allzu überzogene Erwartungen an die Aussagekraft von fMRT-Experimenten auf ein gesundes Maß zurückgestutzt, dahingehend sind sich die meisten Kommentatoren einig. Rund ein Viertel der 2300 Studien, die auf der diesjährigen "Human Brain Mapping Conference" vorgestellt wurden, drehten sich denn auch um Fragen der Datengewinnung und -analyse.

Nach diesem kleinen Methodendiskurs – ganz vorbildlich den eigentlichen Ergebnissen vorangestellt – kann es nun in medias res gehen. Viel Berichtenswertes gab es auch in diesem Jahr wieder in der Rubrik "Neue Funktionen für altbekannte Hirnareale". Im Folgenden nur eine kleine Auswahl.

Hirnareale mit Zusatznutzen

Angstzentrum inmitten des Gehirns: die Amygdala | Die mandelförmige, paarige Amygdala (hier dunkelgelb) ist Teil des limbischen Systems und liegt inmitten des Gehirns unmittelbar vor dem Hippocampus. Sie besteht aus mehreren Untereinheiten: Ihr basolateraler Teil erhält Informationen aus sämtlichen Sinnessystemen, etwa dem Riechkolben. Dieser schickt mit Nervenbündeln Signale in den Hypothalamus und beeinflusst so die Freisetzung von Stresshormonen und das vegetative Nervensystem. Die Amygdala wird als diejenige Hirnstruktur betrachtet, die für die emotionale Einfärbung von Informationen zuständig ist. Wird sie zerstört, führt das zum Verlust von Furcht und Aggression. Zudem ist das Areal an der Erkennung von Gesichtern beteiligt und wird sehr aktiv, wenn diese Angst signalisieren. Demnach ist also die Amygdala verantwortlich für die Analyse des Gefährdungspotenzials der auf das Individuum einwirkenden Außenreize.
So machten Forscher um Ralph Adolphs vom California Institute of Technology in Pasadena die überraschende Entdeckung, dass die Amygdala – neben ihrer schier unerschöpflichen PaletteweitererFunktionen – auch die Aufgabe eines zwischenmenschlichen Abstandhalters übernimmt. Sie vermittelt offenbar das unangenehme Gefühl, das wir spüren, sobald ein Anderer uns zu nahe kommt. Das entdeckten die Wissenschaftler, als sie eine Patientin untersuchten, der die Hirnregion auf beiden Seiten fehlt. Frau S.M. störte es nicht einmal, wenn ihr ein Laborassistent so nah gegenüberstand, dass sich beider Nasen fast berührten.

Auch ein Areal, das klassischerweise die Bewegung der Augen kontrolliert, hat anscheinend einen Zusatznutzen, wenngleich niemand genau weiß, worin er besteht. Sicher ist nur, dass die Hirnregion mit dem kryptischen Namen "posteriorer superiorer parietaler Lobulus", kurz auch PSPL, aktiv wird, wenn ihr Besitzer kopfrechnet. Gewissermaßen "schaut" sie bei einer Subtraktionsaufgabe nach links, bei einer Addition hingegen verschiebt sie die Aufmerksamkeit in ein virtuelles "Rechts". Ob die Aktivität im PSPL allerdings nur Nebeneffekt ist oder ob sie etwas zur Lösungssuche beiträgt, ist noch offen.

Andere Forschergruppen versetzten die Denkorgane ihrer Probanden zwecks Erkenntnisvermehrung in andere Umstände. So trainierte ein Team um die Bonner Forscherin Ursula Voss Versuchspersonen darauf, zuverlässig in einen Klartraum zu geraten – jenem eigenartigen Zustand zwischen Traum und Wachsein, bei dem der Träumende bewusste Kontrolle über seine Handlungen erlangt.

"Dein linker Arm wird schwer ..."

Dass sich zu diesem Zweck der Frontallappen ins Geschehen einschalten muss, wie die Bonner beobachteten, überrascht nur bedingt, denn auch im Wachzustand stemmt diese Hirnregion einen Großteil die bewusste Handlungsplanung. Bemerkenswert ist schon eher, dass dem Team nun eine Gruppe klarträumender Versuchspersonen zur Verfügung steht. Weitere Experimente mit den probaten Probanden, die sogar der Forscherin signalisieren können, ob sie sich in einem Klartraum befinden, dürften demnächst folgen.

Viel weniger Mühe bereitet es hingegen, die Versuchspersonen zu hypnotisieren. Entsprechende fMRT-Studien sind trotzdem Mangelware. Genfer Forscher haben nun ihren Probanden weisgemacht, ihr sei Arm viel zu schwer, um ihn zu bewegen. Wie sich zeigte, fiel der so genannte Präcuneus auf die Einflüsterungen herein. Der Aufgabenbereich der eher unscheinbaren Hirnregion ist bislang nur grob umrissen, Teil ihrer Leistungen scheint es aber zu sein, ein internes (und offenbar durch Suggestion veränderbares) Bild des Körpers aufrecht zu erhalten.

Unter der gegenteiligen Kategorie "Bekannter Sinn, aber unbekanntes Sinnessystem" lassen sich gleich zwei Entdeckungen des Jahres 2009 subsumieren: Zum einen hält der Körper eigens Nervenstränge dafür parat, Juckreize von der Haut ins Gehirn zu leiten. Zum anderen stießen Wissenschaftler beim Menschen auf Nerven, die parallel zu den normalen Bahnen Tastreize ans Gehirn melden können. Bislang glaubte man, die um feine periphere Blutgefäße und Schweißdrüsen gewickelten Sinnesleitungen regelten nur die Schweißproduktion und den Blutdruck.

Therapie und Praxis

Schwierig ist es, wie so oft, aus der Fülle an Erkenntnissen praktisch Verwertbares für die Therapie zu gewinnen. Hoffnung gibt es beispielsweise bei der Rehabilitation von Rückenmarksverletzungen. Hier entdeckten Forscher unter anderem, dass der Farbstoff Brilliant Blue G als Erste-Hilfe-Medikament dienen könnte. Eine Viertelstunde nach der Verletzung verabreicht verhindert die auch als Lebensmittelfarbe genutzte Substanz, dass noch intakt gebliebene Nervenverbindungen absterben. Verschmerzbar wäre da die Nebenwirkung: Bei der Erprobung an Mäusen färbten sich die Nager blau.

Nerven, die nerven | Juckreize erreichen das Gehirn über eigene Nervenbahnen. Wissenschaftler widerlegten mit dieser Entdeckung die Annahme, Juckreiz sei eine besondere Form von Schmerz.
Einen ganz anderen Ansatz verfolgten Forscher von der Universität Zürich. Sie kombinierten Medikamente, Elektrostimulation und regelmäßiges Laufbandtraining, um autonome Rückkopplungskreise im Rückenmark anzuregen. Die Ratten lernten dadurch, ihre Beine koordiniert zu bewegen – und zwar vorwärts, rückwärts und seitwärts.

Schlaganfallopfern dagegen könnte ein anderes, nicht eben attraktives Nagetier helfen: der Nacktmull. Die Hirnzellen des unterirdisch in anscheinend ziemlich stickigen Bauten lebenden Tiers sind nämlich außerordentlich resistent gegenüber fehlendem Sauerstoff. Wie ihnen das Kunststück gelingt, ist allerdings noch unklar.

Laserbetriebene Neuronen

Viel versprechend, wenn auch nur auf lange Sicht, ist das wachsende Instrumentarium, mit dem Wissenschaftler exakt definierte Bereiche des Gehirns erregen. Eines Tages könnten solche Techniken die eher ungenauen, implantierten Elektroden ersetzen helfen. Wie viel Potenzial dennoch in den mittlerweile praxiserprobten "Hirnschrittmachern" steckt, zeigt deren Anwendung bei der Parkinson-Krankheit und bei Depressionen. Aber auch beim Tourette-Syndrom können sie gewinnbringend angewendet werden, entdeckten Wissenschaftler vom Centro Tourette e Malattie extra-piramidali in Mailand.

Eine Alternative bieten Methoden, bei denen Hirnzellen für äußere Reize empfänglich werden. So schleuste beispielsweise eine Forschergruppe in die Neuronen ihrer Versuchstiere Rezeptoren, die ihre Pforten auf ein chemisches Signal hin öffnen, was die Zelle losfeuern lässt. Ein anderes Team baute hingegen seine Erfahrungen mit lichtaktivierten Schleusen aus. Immerhin: Die Steuerung der Zellaktivität war so fein dosierbar, dass die Forscher ihren Taufliegen falsche Erinnerungen einpflanzen konnten.

Blaue Fellfärbung | Das Fell der Labormäuse färbte sich infolge der Behandlung blau. Weitere Nebenwirkungen der verwendeten Chemikalie waren nicht zu beobachten.
Beide Methoden werden aber auf absehbare Zeit das Labor nicht verlassen, denn die künstlichen Schalter müssen immer erst mittels Gentechnik in die Neuronen eingebaut werden. Am Menschen sind derartige Experimente derzeit ausgeschlossen.

Beredte Mäuse(forschung)

Um hingegen das Genom von Laborratten und -mäusen zu manipulieren, steht Wissenschaftlern ein ganzer Satz erprobter Werkzeuge zur Verfügung. Dementsprechend war es auch nur eine Frage der Zeit, bis Forscher auf die Idee kamen, die menschliche Variante des "Sprachgens" FOX P2 ins Mäuse-Erbgut zu übertragen. Wolfgang Enard vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und Kollegen wollten damit der Entstehung der Sprache auf die Spur kommen. Ergebnis: Die Tiere konnten zwar immer noch nicht sprechen, fiepten aber niedriger als ihre Artgenossen. Auch Hirnbereiche, die mit der Steuerung der Artikulationsorgane zusammenhängen, zeigten charakteristische Veränderungen. Eine weitere Studie erfasste mit immensem Aufwand die hochkomplexen Beziehungen des FOX P2 zu anderen Genen.

Geradezu nützlich – vor allem in einem Jahr, in dem die Wirtschaft unter der Finanzkrise litt – sind da die Untersuchungen am oftmals doch sehr archaischen Primatenhirn des Homo oeconomicus: Finanztipps schalten das Hirn ab, ergab eine Studie. Der Testosteronspiegel sagt den Profit eines Börsianers voraus, eine andere. Und eine dritte Forschergruppe manipulierte mit Dopamin die Entscheidungen ihrer Probanden.

Gegen den Stress der Feiertage lautet daher unser Tipp: Profitieren Sie von Ihrem eigenen Verstand und folgen Sie nicht dem Diktat der Masse. In diesem Sinne: Individuelle Weihnachten!

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