News: Genetisch verkümmerte Weibchen
Ein einfacher Chromosomensatz (Haploidie) ist in der Regel nur für die Keimzellen charakteristisch, bevor sie während der Befruchtung zu einem neuen Lebewesen verschmelzen. Doch im Laufe der Evolution traten mehrfach Abweichungen von dieser strengen Regelung auf. Bei dem Sonderfall "Haplodiploidie" weisen die Weibchen einer Art Chromosomen in zweifacher Ausführung auf, während den Männchen hingegen die passenden Gegenstücke zu ihren Erbfäden fehlen.
Die Milbenart Brevipalpus phoenicis rückt noch ein weiteres Stück von diesem grundlegenden biologischen Prinzip ab. Jene Art besteht nur aus weiblichen Individuen, die sich jungfräulich fortpflanzen: Aus unbefruchteten Eiern entwickeln sich jeweils weibliche Nachkommen. Die Eizellen sowie die anderen Zellen der ausgewachsenen Milben weisen lediglich zwei Chromosomen auf, die Andrew Weeks und seine Kollegen von der Universiteit van Amsterdam nun näher unter die Lupe nahmen.
Mithilfe von DNA-Anfärbungen und genetischen Fingerabdrücken enthüllten sie Erstaunliches: Die beiden Milben-Chromosomen sind genetisch nicht miteinander "verwandt", da jeder Erbfaden andere Informationen trägt. Somit handelt es sich um keine "Zwillingschromosomen" und die Zellen des Milbenweibchens sind demnach eindeutig haploid. Doch wie ist diese merkwürdige Ausnahme zu erklären?
Auch dieser Frage gingen die Forscher nach und entdeckten dabei, dass die Milben-Eizellen voll beladen mit Bakterien sind. Der Einsatz von Antibiotika, der jene Mikroorganismen abtötete, brachte Seltsames zu Tage: Die behandelten Eizellen entwickelten sich zu männlichen Milben, während aus den infizierten Keimzellen wie erwartet Weibchen hervorgingen. Vermutlich verhindern demnach die Bakterien die Entstehung von Männchen und wandeln diese in weibliche Individuen um, denn nur die Eizellen – und damit die Weibchen – gewährleisten den Mikroorganismen den Fortbestand über Generationen hinweg. Wahrscheinlich – so spekulieren die Forscher – existierten einst männliche Milben mit einfacher Chromosomenausstattung und weibliche mit der doppelten Ausführung, wie es ja im Laufe der Evolution des öfteren der Fall war.
Die bakterielle Überlebensstrategie machte jedoch die genetisch kümmerlich ausgestatteten Milbenweibchen unabhängig von den Männchen und stach letztendlich die sich geschlechtlich fortpflanzenden Vorfahren der Milben aus. Der haploide Zustand könnte den Milben auch dabei helfen, die Fallstricke der jungfräulichen Vermehrung zu umgehen: "Organismen mit einfachem Chromosomensatz entledigen sich äußerst effizient schädlicher Mutationen", betont Philippe Jarne von der Université Montpellier.
Auch den doppelten Chromosomensatz sehen Forscher nun mit anderen Augen: Vielleicht handelt es sich hier nur um einen "eingefrorenen Unfall", der sich vor vielen Millionen Jahren zufällig ereignete und ab dann zur lebensnotwendigen Grundausstattung gehörte. "Tierische Zellen sind eventuell nicht diploid, weil es für sie besonders günstig ist, sondern weil sie diesen Zustand nicht wieder verlieren können", spekuliert Sally Otto von der University of British Columbia.
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