News: Grillen im Weltall
Im April 1998 wurde auf der NEUROLAB-Mission das Experiment CRISP (Crickets in Space) geflogen – mit, worauf der Name schon hinweist, Grillen als experimentellen Modellen. Sein Autor ist Prof. Dr. Eberhard Horn, Abteilung Neurologie der Universität Ulm. Ziel des Projekts war es zu ermitteln, in welchem Ausmaß die morphologische und funktionelle Entwicklung des Schweresinnesorgans bei Grillen sowie seine Regeneration nach vorausgegangener Schädigung vom Einfluß der Schwerkraft abhängen. Gleichzeitig sollte der Nachweis der allgemeinen Raumtauglichkeit der Grille sowie der speziell entwickelten Transport-Hardware erbracht und die Eignung des Grillenmodells für die Erforschung der Entwicklung des Nervensystems unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit erwiesen werden.
Nicht nur aufgrund ihrer schnellen Generationsfolge empfiehlt sich die Grille als experimentelles Modell. Ihr Schweresinnesorgan ist äußerlich sichtbar und löst eine definierte Verhaltensreaktion aus. Sinnesorgan und Verhalten unterliegen während der Entwicklung durch die verschiedenen Larvenstadien stetiger Veränderung. Im Gegensatz zu Wirbeltieren besitzen Grillen zudem einzeln identifizierbare Neurone, deren Aktivität extra- und intrazellulär gemessen werden kann. Voraussetzung für die Durchführung von längerdauernden Weltraumexperimenten an der Grille ist aber die Entwicklung geeigneter Überlebenssysteme für eine Langzeithaltung im Orbit.
Im Projekt CRISP wurden Grilleneier und -larven in verschiedenen Entwicklungsstadien der Mikrogravitation ausgesetzt – Eier deshalb, weil das Ei nicht über das Schweresinnesorgan zugänglich ist, das erste Larvenstadium, weil die Larve in diesem Stadium auf jedem ihrer beiden Cerci (dem sinnesempfindlichen Schwanzanhang der Grille) nur eine Schweresinneszelle besitzt, deren Reizung bei normaler Entwicklung lageabhängige kompensatorische Kopfbewegungen auslösen kann. Von Larven ist folglich Auskunft darüber zu erwarten, inwieweit der Einfluß der minimal möglichen Schwerkrafterfahrung die Entwicklung des Schweresinnessystems beeinflußt. Hinzu kamen Larven im vierten und sechsten Stadium, die vor dem Flug eine lange Schwerkraftvorerfahrung hatten. Für das sechste Larvenstadium sollte die Regenerationsfähigkeit eines amputierten Cercus und damit des Schweresinnesorgans unter Mikrogravitation geprüft werden.
Den bisherigen Untersuchungen zufolge können Grillen unter Mikrogravitationsbedingungen aus dem Ei schlüpfen und sich anschließend auch weiter häuten. Sie entwickeln das arttypische Reflexverhalten, auch wenn sie erst im Orbit geschlüpft sind, das heißt als Ei der Schwerelosigkeit ausgesetzt wurden und daher keine Reflexerfahrung unter normalen Gravitationsbedingungen hatten. Sie regenerieren ein geschädigtes cercales Schweresinnesorgan, und sie können unmittelbar nach Beendigung des Raumflugs laufen und stehen, wobei das äußere Erscheinungsbild keine Nachwirkung durch den Raumflug erkennen läßt. Weitere Aussagen werden erst nach vollständiger Auswertung der Experimente möglich sein.
Diese Auswertung dürfte noch sechs bis zwölf Monate in Anspruch nehmen. Besonders langwierig gestalten sich die neuroanatomischen Analysen, die in enger Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Harald Wolf, Leiter der Abteilung Vergleichende Neurobiologie der Universität Ulm, und Dr. Hans Agricola vom Zoologischen Institut der Universität Jena durchgeführt werden. Sie sollen es den Forschern ermöglichen, die Daten aus den Verhaltens- und neurophysiologischen Untersuchungen mit denen aus der Anatomie in Beziehung zu setzen.
Schon jetzt steht fest, daß sich das Grillenmodell als experimentelles System zur Erforschung von Wirkungen der Schwerelosigkeit auf die Entwicklung neuronaler Netze bewährt hat. Mit Überlebensraten von 28% der Eier, 19% der Larven im ersten, 43% der Larven im dritten und 91% der Larven im sechsten Entwicklungsstadium entsprach die Flug-Gruppe den Erwartungen und hat sie im Falle der älteren Larven sogar erheblich übertroffen. Für künftige Projekte erwägen die Forscher, innerhalb der Weltraumstation an den raumtauglichen Tieren zu experimentieren.
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