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Kreislaufwirtschaft: Grüne Energie aus der Toilette

Ein Neubauviertel in Hamburg erprobt die Gewinnung von Energie aus Abwasser. Ist die Technik ein Modell für die schnell wachsenden Metropolen der Schwellenländer?
Toilette

In der »Jenfelder Au«, einem Wohngebiet für mehr als 2000 Menschen im Osten von Hamburg, werden Prinzipien der nachhaltigen Stadtentwicklung erstmals in umfassendem Maßstab erprobt. Das Neubaugebiet ist das größte Stadtviertel in Europa, das aus seinem eigenen Abwasser Strom und Wärme gewinnt und so klimaneutral werden soll.

»Mit dem neuen Entwässerungskonzept kombinieren wir direkt im Quartier die Abwasserreinigung mit der Energiegewinnung. Das reduziert den Ausstoß von Kohlendioxid und schont die Wasserressourcen«, sagte Nathalie Leroy, Geschäftsführerin des kommunalen Unternehmens Hamburg Wasser, bei der Inbetriebnahme des wissenschaftlich begleiteten Pilotprojekts. Dabei werde nicht nur die Verknüpfung von Wasser und Energie untersucht, sondern auch, wie sich Mikroplastik sowie Rückstände von Agrarchemikalien und Medikamenten aus dem Abwasser entfernen lassen.

Beim »Hamburg Water Cycle« (HWC) trennt eine spezielle Anlage das Abwasser je nach Herkunft in drei verschiedene Teilströme: »Grauwasser« aus Bad und Küche, »Schwarzwasser« aus der Toilette und außerdem aufgefangenes Regenwasser. Verschiedene Leitungen führen die Flüssigkeiten separat ab, so dass sie unterschiedlich behandelt werden können.

Sauggeräusche auf dem Kasernengelände

An den Hamburg Water Cycle sind nun 835 Wohnungen angeschlossen, die auf dem 35 Hektar großen Gelände der ehemaligen Lettow-Vorbeck-Kaserne gebaut wurden. Ein Teil von ihnen wird als Sozialwohnungen vermietet. In der Umgebung des Quartiers leben traditionell die weniger Begüterten und inzwischen auch viele Zuwanderer aus dem Nahen Osten und Afrika. Um Energie und Trinkwasser zu sparen, sind die Häuser mit Vakuumtoiletten ausgestattet, wie man sie aus dem Flugzeug kennt. Äußerlich unterscheiden sie sich allerdings nicht von konventionellen WCs; nur dass sie beim Spülen das typische Sauggeräusch von sich geben und mit einem Liter Wasser auskommen statt der üblichen sechs bis neun Liter. Die Schwarzwasserleitungen funktionieren mit Unterdruck, was bautechnisch den Vorteil hat, dass sie weniger Material und Platz benötigen als die normalen »Schwemmleitungen«.

Was auf diesem Weg aus der Toilettenspülung kommt, ist auch der wertvollste Teil des Abwassers – zumindest aus energetischer Sicht. Über ein Netz aus 3,7 Kilometer langen Unterdruckleitungen landet es in einem Fermenter – einer Faulanlage, in der es mit Fettresten aus der Gastronomie zu Biogas vergärt. Dieses treibt ein Blockheizkraftwerk an, das Strom und Wärme erzeugt. Pro Jahr sind es nach Angaben des Betreibers Hamburg Wasser rund 450 000 Kilowattstunden Strom und 690 000 Kilowattstunden Wärme. Das entspricht in etwa dem Strombedarf von 225 Hamburger Haushalten und dem Wärmebedarf von 70 Haushalten.

Aus den Gärresten sollen wertvolle Pflanzennährstoffe wie Phosphor und Stickstoff zurückgewonnen werden. Das Grauwasser kann unter anderem für die Straßenreinigung oder Gartenbewässerung weitergenutzt werden. Und das Management von Regenwasser ist grundsätzlich notwendig, um sich besser an den Klimawandel anzupassen, in dessen Folge das Wetter häufiger zwischen Starkregen und Trockenheit schwanken kann. Seit einigen Jahren gilt daher nicht nur für Hamburger Stadtplaner die Devise, Regenwasser möglichst über die Fläche versickern zu lassen – sei es in Grünanlagen, mit Gründächern oder Rückhaltebecken oder auch, indem man öffentliche Plätze »entsiegelt«, also für Sickerwasser durchlässig macht.

Biogas fürs Blockheizkraftwerk

Die jahrelange Entwicklung des Hamburg Water Cycle sei »echte Pionierarbeit« gewesen, so Leroy. Sie sprach vor zahlreichen Fachleuten aus dem In- und Ausland, aus Skandinavien, den Niederlanden, Südafrika und den USA, die zu einer parallel stattfindenden Fachtagung nach Hamburg gekommen waren. Die Inbetriebnahme der Pilotanlage steht für einen Paradigmenwechsel in der Wasserwirtschaft, an dem seit Jahren weltweit geforscht wird: die Verknüpfung von Abwasserentsorgung und Energiegewinnung. Das HWC-Konzept ist extra so angelegt, dass es sich ohne großen Aufwand auf andere Städte übertragen lässt. Auf Grund der Wasserspartechnik eignet es sich auch für wasser- und ressourcenarme Länder.

Die Neuentwicklung hat allerdings ihren Preis. Das Investitionsvolumen für den Hamburg Water Cycle beträgt – inklusive der Kosten für die wissenschaftliche Begleitung – rund 13 Millionen Euro. Bundeswirtschaftsministerium und Bundesbildungsministerium unterstützten Entwicklung und Bau mit einer Million Euro; weitere Fördermittel in Höhe von 3,8 Millionen Euro stammten aus dem Life+-Programm der Europäischen Union. Unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten sei so etwas wie die Jenfelder Au noch nicht rentabel, sagt ein Sprecher des Projekts. Bei dem Hamburger Vorhaben stehe der Erkenntnisgewinn im Vordergrund. Die Bewohner profitierten jedoch sofort vom geringeren Wasserverbrauch und dementsprechend auch weniger Abwassergebühren.

Ähnliche Projekte, allerdings in kleinerem Maßstab, gibt es bislang in Belgien, den Niederlanden, Schweden und Spanien. Da sei es wichtig, dass Deutschland international den Anschluss halte, betonte die Umwelttechnikerin Regina Dube, Leiterin der Abteilung für Wasserwirtschaft, Ressourcenschutz und Anpassung an den Klimawandel im Bundesumweltministerium, während der Eröffnung des Projekts.

Wasserwirtschaft für die neuen Megastädte

Doch die wirklich großen Herausforderungen für lokale Abwasser- und Energiesysteme warten nicht in den Industrieländern. Dube war selbst jahrelang in der Entwicklungszusammenarbeit tätig, unter anderem im Bereich Abwasser. »In Schwellenländern werden aus Dörfern über Nacht Städte«, berichtet sie aus eigener Erfahrung in Indien. »Das macht die Versorgung mit Trinkwasser und die Abwasserentsorgung schwierig bis unmöglich.« Unsere zentrale Kanalisation sei auf diese Regionen nicht übertragbar, und in Asien werde bereits viel an Projekten zu dezentralen Kreisläufen für die Wasserver- und -entsorgung geforscht.

Dass neue Recycling- und Kreislaufkonzepte nötig sind, bestätigt auch Jörg Londong, Professor für Siedlungswasserwirtschaft an der Bauhaus-Universität Weimar. Er hebt die Vorbildfunktion des Hamburger Projekts hervor: »Die Verbindung von blauer und grüner Infrastruktur ist ein wichtiges Zukunftsthema, erst recht angesichts des Klimawandels.« Mit grüner Infrastruktur meint er die Nutzung wertvoller Nährstoffe aus dem Toilettenabwasser für die Landwirtschaft; etwa Phosphor als endliche, aber unerlässliche Ressource für das Pflanzenwachstum.

Mit einem eigenen Projekt zur Rückgewinnung von Phosphor aus Urin macht der Ingenieur öffentlich auf das Thema Stoffrecycling aufmerksam. Dafür hat er auf dem Uni-Campus in Thüringen eine Spezialtoilette errichten lassen und erklärt den Besuchern über eine Texttafel: Bei einmal »Wasserlassen« fallen ungefähr 300 Milliliter Urin an. Und die enthalten genug Phosphor, um vier Möhren wachsen zu lassen.

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