Humangenetik: Irgendwie anders
Die Entzifferung des menschlichen Erbguts galt als Durchbruch des Jahres 2001. Seitdem suchen Forscher nach den kleinen Unterschieden von Mensch zu Mensch - und die erweisen sich als größer als gedacht.
Zu 99,9 Prozent identisch – so lautete das Ergebnis eines Forschungsprojekts, das in seiner Dimension gern mit der Mondlandung verglichen wurde. Am 15. Februar 2001 hatten die Genforscher der Welt – aufgespalten in eine öffentlich und eine privat finanzierte Gruppe – die erste Rohfassung des menschlichen Erbguts präsentiert. Eine überarbeitete Version erschien dreieinhalb Jahre später.
Und die knapp drei Milliarden entzifferten Bausteinen sollten eben zu 99,9 Prozent bei allen Menschen gleich sein – für das Individuum als solches bliebe ein Zehntelprozentchen. Doch auch wenn der genetische Generalschlüssel der Menschheit für die Grundlagenforschung von außerordentlicher Bedeutung ist, anwendungsorientierte Wissenschaftler wie Mediziner und Pharmazeuten interessieren sich vor allem für die kleinen, aber feinen Unterschiede – könnte hier doch die Erklärung liegen, warum bestimmte Personen eher als andere an Diabetes, Krebs oder Alzheimer-Demenz leiden, und warum manche Menschen auf ein Medikament anders reagieren als die Allgemeinheit.
Daher stürzten sich die Genforscher sofort nach Abschluss des Humangenomprojekts auf die so genannten SNPs (single nucleotide polymorphisms), im Laborjargon auch "Snips" genannt. Dabei handelt es sich um Positionen in der Erbgutsequenz, die bei mindestens einem Prozent der Individuen mit einem anderen DNA-Baustein besetzt sind als beim Rest der Bevölkerung. Das Projekt HapMap konnte im Jahr 2005 etwa zehn Millionen dieser Ein-Buchstaben-Variationen aufspüren, die häufig gekoppelt in kleinen Gruppen als so genannte Haplotypen vererbt werden.
Ist mit dieser Kartierung der Haplotypen die Arbeit der Genetiker erledigt? Nicht ganz. Denn die individuellen Feinheiten bestehen nicht nur aus SNPs, sondern auch – um eine neue Abkürzung einzuführen – aus CNVs. Dabei handelt es sich um copy number variations, also um Variationen der Kopienzahl. Was steckt dahinter?
Eine internationale Arbeitsgruppe unter Federführung von Matthew Hurles vom britischen Wellcome Trust Sanger Institute in Cambridge und Stephen Scherer von der kanadischen Universität Toronto hat sich nun den CNVs im menschlichen Erbgut gewidmet. Dabei konzentrierten sich die Wissenschaftler auf Bereiche, die mindestens tausend Basenpaare lang sind.
Heißt das nun, dass die Menschheit weniger als neunzig Prozent ihres Erbguts miteinander teilt? Nein, denn die Differenzen treten ja nicht alle zugleich auf. Die Forscher schätzen, dass sich zwei beliebige Personen im Schnitt um 99,5 Prozent genetisch gleichen. Doch die hohe Kopienzahl einzelner Gene hatten Genetiker bisher unterschätzt, weil sie bei der Gensequenzierung durch die Lappen geht. "Sie wurde einfach unter den Teppich gekehrt", meint der Genetiker Michael Wigler vom Cold Spring Harbor Laboratory.
Interessanterweise fanden die Forscher die meisten CNVs in evolutionsbiologisch jungen Bereichen, wie in Genen für das Immunsystem oder die Hirnreifung. Alteingesessenes wie Zellteilung oder Embryonalentwicklung blieb dagegen meist von Variationen unberührt. Doch welche Konsequenzen diese Unterschiede von Mensch zu Mensch haben, bleibt in den meisten Fällen noch rätselhaft.
Die Forscher vermuten, dass die knapp 1500 CNVs nur die Spitze des Eisberges sein könnte. Die Anzahl individueller Variationen in der Klaviatur der DNA dürfte noch viel höher liegen – denn, wie Matthew Hurles das überraschende Ergebnis zusammenfasst: "Jeder von uns ist einzigartig."
Und die knapp drei Milliarden entzifferten Bausteinen sollten eben zu 99,9 Prozent bei allen Menschen gleich sein – für das Individuum als solches bliebe ein Zehntelprozentchen. Doch auch wenn der genetische Generalschlüssel der Menschheit für die Grundlagenforschung von außerordentlicher Bedeutung ist, anwendungsorientierte Wissenschaftler wie Mediziner und Pharmazeuten interessieren sich vor allem für die kleinen, aber feinen Unterschiede – könnte hier doch die Erklärung liegen, warum bestimmte Personen eher als andere an Diabetes, Krebs oder Alzheimer-Demenz leiden, und warum manche Menschen auf ein Medikament anders reagieren als die Allgemeinheit.
Daher stürzten sich die Genforscher sofort nach Abschluss des Humangenomprojekts auf die so genannten SNPs (single nucleotide polymorphisms), im Laborjargon auch "Snips" genannt. Dabei handelt es sich um Positionen in der Erbgutsequenz, die bei mindestens einem Prozent der Individuen mit einem anderen DNA-Baustein besetzt sind als beim Rest der Bevölkerung. Das Projekt HapMap konnte im Jahr 2005 etwa zehn Millionen dieser Ein-Buchstaben-Variationen aufspüren, die häufig gekoppelt in kleinen Gruppen als so genannte Haplotypen vererbt werden.
Ist mit dieser Kartierung der Haplotypen die Arbeit der Genetiker erledigt? Nicht ganz. Denn die individuellen Feinheiten bestehen nicht nur aus SNPs, sondern auch – um eine neue Abkürzung einzuführen – aus CNVs. Dabei handelt es sich um copy number variations, also um Variationen der Kopienzahl. Was steckt dahinter?
Frei nach Gregor Mendel besitzen wir von jedem Gen zwei Kopien, eine vom Vater und eine von der Mutter. Doch bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass manche Gene mehrfach im Erbgut vorkommen, bei anderen fehlen wiederum einzelne Stückchen. Diese Variationen, die Genetiker als Duplikationen (Verdopplung), Deletionen (Verlust) oder Inversionen (Umkehrung) kennen, beeinflussen natürlich entscheidend die Aktivität der betroffenen Gene: Je öfter der Erbfaktor im Genom vertreten ist, desto mehr Genprodukte können hergestellt werden.
Eine internationale Arbeitsgruppe unter Federführung von Matthew Hurles vom britischen Wellcome Trust Sanger Institute in Cambridge und Stephen Scherer von der kanadischen Universität Toronto hat sich nun den CNVs im menschlichen Erbgut gewidmet. Dabei konzentrierten sich die Wissenschaftler auf Bereiche, die mindestens tausend Basenpaare lang sind.
Grundlage ihrer Analyse war das HapMap-Projekt, das die SNPs von 270 Individuen aus vier separaten Populationen erfasst hatte: Chinesen, Japaner, Nigerianer sowie US-Amerikaner europäischer Abstammung. Und abermals wurden die Forscher fündig: In knapp 3000 Genen – demnach in mehr als zehn Prozent aller menschlichen Erbfaktoren – konnten sie insgesamt 1447 CNVs aufspüren. Aufsummiert ergeben diese Versionen eine Länge von 360 Millionen Basenpaaren. Mit anderen Worten: Die individuellen Variationen betreffen zwölf Prozent des menschlichen Erbguts. In der DNA, dem Buch des Lebens, können nicht nur einzelne Buchstaben, sondern mehrere Sätze, Abschnitte oder sogar ganze Seiten vertauscht, verdoppelt oder ausgelassen sein.
Heißt das nun, dass die Menschheit weniger als neunzig Prozent ihres Erbguts miteinander teilt? Nein, denn die Differenzen treten ja nicht alle zugleich auf. Die Forscher schätzen, dass sich zwei beliebige Personen im Schnitt um 99,5 Prozent genetisch gleichen. Doch die hohe Kopienzahl einzelner Gene hatten Genetiker bisher unterschätzt, weil sie bei der Gensequenzierung durch die Lappen geht. "Sie wurde einfach unter den Teppich gekehrt", meint der Genetiker Michael Wigler vom Cold Spring Harbor Laboratory.
"Jeder von uns ist einzigartig"
(Matthew Hurles)
Was bedeuten nun diese Variationen? Von einigen Genverdopplungen war bereits bekannt, dass sie bei verschiedenen Krankheiten eine Rolle spielen: Sie können Leiden wie Alzheimer-Demenz oder Morbus Parkinson auslösen, aber auch davor bewahren: So sorgt beispielsweise die Vervielfältigung des Gens CCL3L1 für eine höhere Resistenz gegenüber den Aids-Erreger HIV. Doch offensichtlich müssen hohe Variabilitäten gar nicht mit Krankheiten zusammenhängen, sondern scheinen vielmehr "normal" zu sein. "Wir hatten bisher geglaubt, dass derart große Veränderungen zwangsläufig an einer Krankheit beteiligt sein müssen", erklärt Stephen Scherer. "Doch jetzt sehen wir, dass wir alle diese Abweichungen haben können." (Matthew Hurles)
Interessanterweise fanden die Forscher die meisten CNVs in evolutionsbiologisch jungen Bereichen, wie in Genen für das Immunsystem oder die Hirnreifung. Alteingesessenes wie Zellteilung oder Embryonalentwicklung blieb dagegen meist von Variationen unberührt. Doch welche Konsequenzen diese Unterschiede von Mensch zu Mensch haben, bleibt in den meisten Fällen noch rätselhaft.
Die Forscher vermuten, dass die knapp 1500 CNVs nur die Spitze des Eisberges sein könnte. Die Anzahl individueller Variationen in der Klaviatur der DNA dürfte noch viel höher liegen – denn, wie Matthew Hurles das überraschende Ergebnis zusammenfasst: "Jeder von uns ist einzigartig."
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