News: Jagd durch die Petrischale
Ihre eigene Version dieses unaufhörlichen Prozesses spielen drei Populationen des Darmbakteriums Escherichia coli miteinander. Das ungewöhnliche Treiben der Winzlinge entdeckten Wissenschaftler der Universitäten Stanford und Yale, als sie der Frage nachgingen, warum die in der Natur friedlich nebeneinander lebenden Bakterienpopulationen es in der Enge einer Petrischale nicht miteinander aushalten. "Wenn man alle drei im Labor in eine Flasche gibt, dann ist sehr schnell nur noch ein Typ übrig", beschreibt Brendan Bohannan von der Stanford University das kriegerische Verhalten.
Da die Mikrobiologen alleine keine Antwort auf die Frage fanden, fragten sie bei Ökologen und theoretischen Biologen nach Rat. Gemeinsam studierten die Forscher dann das nachbarschaftliche Verhältnis des Bakterientrios, das sich jeweils in einer Eigenschaft voneinander unterschied. Der erste Stamm trug – zusätzlich zum Bakteriengenom – ein ringförmiges genetisches Element, auf dem eine Blaupause zur Produktion eines tödlichen Antibiotikums lagerte. Um sich nicht selbst zu schaden, trug es außerdem ein Immunprotein auf dem Ringelement.
Fühlten sich die so ausgestatteten Bakterien unter Stress gesetzt, fackelten sie nicht lange, sondern überschütteten ihre Nachbarschaft massenhaft mit dem tödlichen Stoff. Dies wurde den umgebenden Bakterien, die noch kein Schutzschild gegen die Antibiotika-Waffe entwickelt hatten, zum Verhängnis. Durch ein spezielles Protein auf ihrer Zelloberfläche gelangte das Gift ins Zellinnere und die zweite Bakterienpopulation hatte das Nachsehen
Doch nicht alle Bakterien teilten dieses Schicksal. Gelegentlich traten in dem Transportprotein Mutationen auf, woraufhin kein Antibiotikum mehr in die Zelle gelangt. Allerdings konnte dieser dritte Bakterienstamm auch keine Nährstoff mehr aus der Umgebung aufnehmen, da deren Transport quer über die Zellmembran ebenfalls mit diesem mutierten Oberflächenprotein stattfindet.
Und so schließt sich der Kreis des Perpetuum mobiles. Die sensitiven Bakterien wachsen dank geregelter Nährstoffzufuhr schneller als die resistenten Winzlinge und ersetzen sie. Die resistenten Bakterien wiederum brauchen weniger Energie als ihre Artgenossen mit zusätzlichem genetischen Element. Und die Bakterienpopulation mit Antibiotikum nimmt wiederum die Stelle der sensitiven Mikroorganismen ein. So schnappt sich immer eine Art die nächste und verdrängt sie solange, bis sie selbst an der Reihe ist. Genauso wie der Stein die Schere zerstört, die Schere das Papier schneidet und das Papier den Stein bedeckt.
Dass sich die unaufhörlichen Guerillakämpfe nicht in einen alles zerstörenden Weltkrieg entwickeln, liegt an den natürlichen Nischen, in denen sich die Bakterien in freier Wildbahn zurückziehen können. Fehlt die Schutzzone, wie in der Enge der Laborflasche, kommen sich die drei Bakterienpopulation zu nahe. Einziger Sieger der gründlichen Durchmischung ist in dem Fall die widerstandsfähige Mutante.
Die Theorie dazu, warum sich die Bakterien in ihrer natürlichen Umgebung nicht dauerhaft die Nischen wegnehmen, klingt sehr clever. "Durch schnelleres Wachstum übst du mehr Druck auf das nächste Mitglied im Triplet aus, was das dritte Mitglied freisetzt, um schneller zu wachsen, welches dann zurückkommt und wiederum dich angreift," erklärt Bohannan. Will man das? Also begrenzt man sein eigenes Ausbreiten und lässt den anderen Population ebenfalls Platz, um nicht sein eigenes Aussterben anzukurbeln.
Auch in anderen Ökosystemen könnte der Stein-Schere-Papier-Mechanismus funktionieren, theoretisieren die Forscher. Etwa in Korallenriffen, wo die Dynamik zuerst beobachtet wurde.
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