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News: Kein harter Kern

Beruhen viele Modelle über die Eisbildung in Wolken und Nebeln auf einem über 60 Jahre alten wissenschaftlichen Irrtum? Das zumindest legen Experimente nahe.
Winterzeit ist allzu oft auch Eiszeit. Doch zum Glück erreicht die Luft in den hiesigen Breiten in Bodennähe kaum eine Temperatur von minus 30 Grad Celsius. Ganz anders sieht das in anderen Regionen der Erde und in den höheren Atmosphärenschichten aus.

Das Interessante dabei: Trotz solch frostiger Temperaturen existiert dort in Abwesenheit von Kondensationskeimen immer noch Wasser in flüssiger Form. Dieses stark unterkühlte Wasser und die Umstände unter denen es gefriert, haben einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf das Klima. Schließlich macht es für elektromagnetische Strahlen, chemische Reaktionen und sogar für Blitze einen großen Unterschied, ob eine Wolke aus festem Eis oder aus einer Flüssigkeit besteht.

Doch wie gefriert ein unterkühlter Tropfen in einer Wolke aus Wasserdampf? Seit 1939 lautet die Standardantwort: Ein Eiskern bildet sich - sozusagen als Keimzelle für die Kristallisation - im Innern und das Wasser gefriert von innen nach außen. Viele Arbeiten auf dem Gebiet der Klima- und Atmosphärenforschung beruhen auf dieser Erklärung. Doch möglicherweise ist sie völlig falsch. Diese Meinung vertreten zumindest Azadeh Tabazadeh von der NASA und seine Kollegen von der University of California in Los Angeles.

So wird bislang davon ausgegangen, dass die Oberflächenspannung - der Widerstand, den die Oberfläche der Kristallbildung leistet - im Innern meist kleiner ist als an der Oberfläche. Doch das beruht laut Tabadazeh und seinen Kollegen auf einer zu vereinfachenden Annahme: Demnach wurde bei früheren Berechnungen die Grenzfläche an der Oberfläche zwischen dem Wasser und dem umgebenden Wasserdampf bei der Kristallisation einfach durch eine einzige Schicht zwischen dem festen Eiskristall und dem Dampf ersetzt. Aber es existiert laut Tabadazeh noch eine weitere: eine innere Grenzschicht zwischen dem Wassertropfen und dem Eis. Berücksichtigt man diese, kann es unter Umständen doch energetisch günstiger sein, wenn der Tropfen an der Oberfläche gefriert. Das legen auch Computersimulationen nahe.

Und dafür gibt es auch experimentelle Hinweise: Eis ist nur in den seltensten Fällen vollständig an der Oberfläche mit einer Wasserschicht bedeckt ist - selbst bei Null Grad Celsius, wenn das Eis schmilzt, ist die Oberfläche nur teilweise von Wasser überzogen. Nur wenn sich die Temperatur schlagartig erhöht, kommt es zu einer vollständigen Benetzung. Und dann könnte das Wasser tatsächlich von innen nach außen wieder einfrieren. Der "Regelfall" wäre demnach eigentlich ein Sonderfall.

Aber diese Hinweise reichten Tabazadeh und seinen Kollegen nicht aus. Sie führten eigene Experimente durch. Dazu untersuchten sie das "Gefrierverhalten" von winzigen stark unterkühlten Wassertropfen in Luft und in verschiedenen Öl-Wasser-Emulsionen in Anhängigkeit von der Temperatur und der Tröpfchengröße.

Die Überlegung dabei war folgende: Wenn das Wasser von innen nach außen gefriert, sollte es ziemlich egal sein, wie groß der Tropfen ist und wo er gerade schwimmt - ob in Öl oder Luft. Ganz anders dagegen, wenn die Kristallisation vornehmlich von der Oberfläche ausgeht. Dann sollte die Rate, mit der sich Eiskristallkeime bilden, und damit auch die Gefriertemperatur sowohl von der Tröpfchengröße - genauer gesagt von Verhältnis Oberfläche zu Volumen - und natürlich erst recht von der Umgebung abhängen. Die Werte sollten damit auch viel stärker schwanken.

Den Ergebnissen zufolge traten bei den Wassertropfen in den Öl-Emulsionen beide Fälle auf, in der Nebelkammer dagegen gefroren die Wassertropfen überwiegend von der Oberfläche aus.

Damit stellen Tabazadeh und seine Kollegen nicht nur eine über 60 Jahre alte Theorie über die Natur der Eisbildung in Frage, sie können auch viele bisher rätselhafte Ergebnisse erklären. Warum zum Beispiel bei früheren ähnlichen Experimenten die gemessenen Werte sehr stark variierten. Oder warum - wie kürzlich nachgewiesen - größere Mengen Wasser in der Atmosphäre selbst bei Temperaturen um die minus 40 Grad Celsius noch flüssig bleiben können. Das alles sei nach Ansicht der Wissenschaftler ein Hinweis darauf, dass das Wasser vorwiegend von der Oberfläche aus kristallisiert.

Inwiefern sich diese neuen Erkenntnisse auf reale Wolken und Nebel übertragen lassen, ist allerdings noch völlig offen. Es ist aber zumindest wahrscheinlich, dass ein großer Anteil von Wassertropfen und mit ihnen auch die gelösten Luftschadstoffe von außen nach innen gefrieren. Zukünftige Wolkenmodelle müssen diesen Anteil auf jeden Fall berücksichtigen, wollen sie das Klima und den Einfluss der Luftschadstoffe darauf korrekt beschreiben.

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