Physikochemie: Klappe zu hinter dem Dämon
Wie bekommen Verkäufer kurz vor Ladenschluss das Geschäft leer? Genau: Sie lassen Kunden nur hinaus, aber keine neuen hinein. Mit Molekülen funktioniert das genauso, wenn man ihren Aufenthaltsort kennt. Obwohl die Gesetze der Thermodynamik solche Dämonen vom praktischen Leben fernhalten sollten.
Eigentlich ist Thermodynamik die demokratischste aller naturwissenschaftlichen Disziplinen. Schließlich verrät sie selten, welchen Zwängen und Verlockungen die vielen Teilchen eines Systems ausgesetzt waren, und präsentiert dem Forscher nur das Wahlergebnis. Statistik, die irgendwie gültig ist, aber genau genommen keine Naturgesetze offenbart. Und dennoch verrät sie uns manch eiserne Regeln, nach denen die Natur sich offenbar richtet. So besagt beispielsweise der zweite Hauptsatz der Thermodynamik sinngemäß aus, dass sich von selbst keine Ordnung einstellt. Was ein kurzer Blick auf den Schreibtisch oder ins Kinderzimmer bestätigen wird.
Doch so einfach mochte der schottische Physiker und Thermodynamiker James Clerk Maxwell der Statistik nicht trauen. In einem Gedankenexperiment forderte er den zweiten Hauptsatz mit einem Dämon heraus, der Ordnung schafft, wo Durcheinander herrschen sollte. Dieser Maxwell'sche Dämon sitzt in einem typisch thermodynamisch schmucklosen System, das aus einer gasgefüllten Kiste mit zwei Kammern besteht. Zwischen den Kammern gibt es ein Türchen, an dem der Dämon sein Unwesen treibt. Kommt zufällig ein Teilchen aus der linken Hälfte auf das Türchen zugeflogen, macht er schnell auf und lässt es durch. Will hingegen ein Teilchen von rechts die Seite wechseln, bleibt die Klappe zu. Im Handumdrehen sammelt der Dämon so alle Teilchen in der rechten Kammer und leert die linke – Ordnung, wie sie dem thermodynamischen Empfinden herzlich zuwider läuft.
Bei näherer Betrachtung ist Maxwells Dämon natürlich ein zahnloser Hausguhl, der keinem thermodynamischen Nebensätzlein etwas zuleide tun kann. Denn seine Ordnung verlangt einen ordentlichen Einsatz: Der Dämon braucht die Information, wann ein Teilchen von wo kommt und muss darauf entsprechend reagieren. Von selbst ordnet sich hier folglich gar nichts, aber nur für solche Systeme ohne äußere Zwänge – sogenannte abgeschlossene Systeme – gilt der zweite Hauptsatz.
Dennoch schafft der Dämon es, mit Information und ein bisschen Energie ein System weit weg vom Gleichgewichtszustand zu bringen. Und das ist etwas, womit sich Maschinen betreiben lassen. Grund genug für David Leigh von der Universität Edinburgh und seine Arbeitsgruppe, sich einen bescheidenen Dämon zu basteln, der sein Unwesen an einem chemischen Spielzeug unter Beweis stellen soll. Das Rotaxan genannte Molekül besteht aus einem großen Ring, der über eine lange Achse läuft. An seinem linken und rechten Ende gibt es zwei gleichstarke Haltepunkte für den Ring. Auf der gestreckten Achse wandert der Ring zufällig zwischen diesen Punkten hin und her und befindet sich statistisch und damit thermodynamisch gesehen gleich oft an jedem dieser Punkte.
Gemeinerweise haben die Chemiker aber ein Gelenk in die Achse eingebaut, dem die Rolle der Tür im ursprünglichen Dämon-Bild zukommt. Und zwar nicht brav in der Mitte, sondern viel weiter am linken Ende. Ist das Gelenk geknickt, blockiert es die Wanderung des Rings. Für das Gleichgewicht ändert sich soweit noch nichts, denn die Bewegungen verlaufen extrem schnell und weiterhin sind jeweils 50 Prozent der Ringe links und 50 Prozent rechts. Der Dämon schlägt erst dann zu, wenn der Knick einen Schalter bekommt und es zwei Fingermoleküle gibt, die ihn betätigen können. Einer dieser Finger schwimmt in der Lösung und schaltet das Gelenk auf "undurchlässigen Knick", der zweite Finger sitzt fest am Ring und kann im Prinzip das Gelenk auf "durchlässige Gerade" stellen. Im Prinzip, denn dafür muss er relativ lange drücken, und diese Geduld hat er nur, wenn der Ring auf einem Haltepunkt verankert ist.
Gesteuert durch Licht wird das Spiel in Gang gesetzt – und siehe da: Die Ringe sammeln sich ordentlich auf den rechten Seiten ihrer Achsen an. Befinden sie sich nämlich auf dem linken Haltepunkt, reicht ihr Finger bis zum Schalter, sie drücken das Gelenk gerade und sausen nach rechts. Vom rechten Haltepunkt aus gesehen ist die Entfernung zum Schalter aber zu groß. Während der Finger in der Lösung bequem einen Knick in die Achse bringen kann, vermag der Ring das Hindernis nicht zu entfernen – und sitzt rechts fest.
Ein Sieg für den Dämon, der abermals durch die Information erkauft ist, wo sich das Teilchen befindet. Im Gegensatz zu anderen Experimenten, in denen ebenfalls die Ringe von einer Seite auf die andere getrieben wurden, bleiben beim Edinburgher Versuch die Haltepunkte an sich gleichberechtigt. Für zukünftige molekulare Maschinen könnte das ein wichtiger Vorteil sein, weil sich so ein System beliebig vom Gleichgewichtszustand entfernen lässt. Selbst widrige Energiegradienten könnten so überwunden werden – eine Fähigkeit, die biologische Maschinen so effektiv macht. Mit Leighs Rotaxan kommt der natürliche Dämon nun vielleicht langsam auch in unsere künstlichen Nanoroboter.
Doch so einfach mochte der schottische Physiker und Thermodynamiker James Clerk Maxwell der Statistik nicht trauen. In einem Gedankenexperiment forderte er den zweiten Hauptsatz mit einem Dämon heraus, der Ordnung schafft, wo Durcheinander herrschen sollte. Dieser Maxwell'sche Dämon sitzt in einem typisch thermodynamisch schmucklosen System, das aus einer gasgefüllten Kiste mit zwei Kammern besteht. Zwischen den Kammern gibt es ein Türchen, an dem der Dämon sein Unwesen treibt. Kommt zufällig ein Teilchen aus der linken Hälfte auf das Türchen zugeflogen, macht er schnell auf und lässt es durch. Will hingegen ein Teilchen von rechts die Seite wechseln, bleibt die Klappe zu. Im Handumdrehen sammelt der Dämon so alle Teilchen in der rechten Kammer und leert die linke – Ordnung, wie sie dem thermodynamischen Empfinden herzlich zuwider läuft.
Bei näherer Betrachtung ist Maxwells Dämon natürlich ein zahnloser Hausguhl, der keinem thermodynamischen Nebensätzlein etwas zuleide tun kann. Denn seine Ordnung verlangt einen ordentlichen Einsatz: Der Dämon braucht die Information, wann ein Teilchen von wo kommt und muss darauf entsprechend reagieren. Von selbst ordnet sich hier folglich gar nichts, aber nur für solche Systeme ohne äußere Zwänge – sogenannte abgeschlossene Systeme – gilt der zweite Hauptsatz.
Dennoch schafft der Dämon es, mit Information und ein bisschen Energie ein System weit weg vom Gleichgewichtszustand zu bringen. Und das ist etwas, womit sich Maschinen betreiben lassen. Grund genug für David Leigh von der Universität Edinburgh und seine Arbeitsgruppe, sich einen bescheidenen Dämon zu basteln, der sein Unwesen an einem chemischen Spielzeug unter Beweis stellen soll. Das Rotaxan genannte Molekül besteht aus einem großen Ring, der über eine lange Achse läuft. An seinem linken und rechten Ende gibt es zwei gleichstarke Haltepunkte für den Ring. Auf der gestreckten Achse wandert der Ring zufällig zwischen diesen Punkten hin und her und befindet sich statistisch und damit thermodynamisch gesehen gleich oft an jedem dieser Punkte.
Gemeinerweise haben die Chemiker aber ein Gelenk in die Achse eingebaut, dem die Rolle der Tür im ursprünglichen Dämon-Bild zukommt. Und zwar nicht brav in der Mitte, sondern viel weiter am linken Ende. Ist das Gelenk geknickt, blockiert es die Wanderung des Rings. Für das Gleichgewicht ändert sich soweit noch nichts, denn die Bewegungen verlaufen extrem schnell und weiterhin sind jeweils 50 Prozent der Ringe links und 50 Prozent rechts. Der Dämon schlägt erst dann zu, wenn der Knick einen Schalter bekommt und es zwei Fingermoleküle gibt, die ihn betätigen können. Einer dieser Finger schwimmt in der Lösung und schaltet das Gelenk auf "undurchlässigen Knick", der zweite Finger sitzt fest am Ring und kann im Prinzip das Gelenk auf "durchlässige Gerade" stellen. Im Prinzip, denn dafür muss er relativ lange drücken, und diese Geduld hat er nur, wenn der Ring auf einem Haltepunkt verankert ist.
Gesteuert durch Licht wird das Spiel in Gang gesetzt – und siehe da: Die Ringe sammeln sich ordentlich auf den rechten Seiten ihrer Achsen an. Befinden sie sich nämlich auf dem linken Haltepunkt, reicht ihr Finger bis zum Schalter, sie drücken das Gelenk gerade und sausen nach rechts. Vom rechten Haltepunkt aus gesehen ist die Entfernung zum Schalter aber zu groß. Während der Finger in der Lösung bequem einen Knick in die Achse bringen kann, vermag der Ring das Hindernis nicht zu entfernen – und sitzt rechts fest.
Ein Sieg für den Dämon, der abermals durch die Information erkauft ist, wo sich das Teilchen befindet. Im Gegensatz zu anderen Experimenten, in denen ebenfalls die Ringe von einer Seite auf die andere getrieben wurden, bleiben beim Edinburgher Versuch die Haltepunkte an sich gleichberechtigt. Für zukünftige molekulare Maschinen könnte das ein wichtiger Vorteil sein, weil sich so ein System beliebig vom Gleichgewichtszustand entfernen lässt. Selbst widrige Energiegradienten könnten so überwunden werden – eine Fähigkeit, die biologische Maschinen so effektiv macht. Mit Leighs Rotaxan kommt der natürliche Dämon nun vielleicht langsam auch in unsere künstlichen Nanoroboter.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.