News: Kleine Kontrollinstanz
Je penibler Forscher den Stoffwechsel-Dschungel von Zellen durchforsten, desto deutlicher wird auch, was sie bislang kaum ahnten. So hatten sie die große Bedeutung sehr kleiner Regulator-RNA bisher wohl ziemlich unterschätzt.
Wie eine lebende Zelle Proteine herstellt, ist schon ein alter Hut: Erst wird nach dem Vorbild der Erbgut-Informationen eine kurzlebige RNA-Bauanleitung des Eiweißes erstellt. Diese wird dann zu den zellulären Produktionsfabriken transportiert, wo sie abgelesen und umgesetzt wird.
Weniger bekannt ist schon, wann, wie und warum Zellen zu unterschiedlichen Zeitpunkten die Produktion verschiedener Proteine ankurbeln. Ungeahnte Überraschungen erleben Wissenschaftler daher bei Untersuchungen der Regulationsmechanismen, die der intrazellulären Eiweißproduktion zugrunde liegen – gibt es hier doch ebenso viel zu entdecken wie zu übersehen. Zum Beispiel die so genannte Mikro-RNA.
Noch vor etwa zehn Jahren war diese besonders kleine RNA-Form selbst der Fachwelt gänzlich unbekannt. Erst im Jahr 1991 beschrieben Forscher erste Mikro-RNA-Moleküle in Fadenwürmern. Ein Nachweis, der zunächst kaum beachtet, dann als Kuriosität aus der Wurmwelt abgebucht wurde – bis man schließlich nach und nach Mikro-RNAs in immer mehr Organismen entdeckte. Mittlerweile sind die unscheinbaren Mini-Moleküle im Genom mehrerer Hundert Pflanzen- und Tierarten nachgewiesen, und längst ist deutlich geworden, dass sie offensichtlich eine bislang unterschätzte Rolle von organismenübergreifender Bedeutung ausfüllen. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass die Mikro-RNA – meist kodiert in abgelegenen Regionen des Erbgutes, der zuvor keine Bedeutung für Zellfunktionen zugestanden worden war – steuernd in die Regulation der zellulären Proteinsynthese eingreift. Anders als üblich dient die Information der Mikro-RNA aber nicht als Bauanleitung zur Herstellung eines Regulatorproteins, welches dann bestimmte Gene an- oder abschaltet. Stattdessen wirkt die Mikro-RNA offenbar unmittelbar auf die Boten-RNA anderer Proteine ein: Sie erkennt die RNA-Bauanleitungen bestimmter Gene und verhindert, dass diese von den Eiweißfabriken der Zelle abgelesen und umgesetzt werden. Wie das vonstatten geht, war weitgehend unbekannt. Nun liefern Untersuchungen von Wissenschaftler der Oregon State University um James Carrington ein paar neue Antworten. Die Forscher konnten zeigen, dass Mikro-RNAs tatsächlich eher rabiat mit der Boten-RNA zu regulierender Proteine umsprangen: Sie schnitten diese buchstäblich in unbrauchbare Stücke. Ganz offenbar arbeiten die Mikro-RNAs in Pflanzen und Tieren auf die gleiche Art und Weise – und nehmen eine wichtige Kontroll- und Regulatorfunktion auf RNA-Ebene ein, vermutet Carrington. "Mikro-RNAs sind eine der zwei, drei wichtigsten Entdeckungen der Molekularbiologie in den letzten zehn Jahre." Denkbar wäre beispielsweise, nach Ansicht des Forschers, dass Mikro-RNAs die Differenzierung von Stammzellen beeinflussten, oder dass der Ausfall bestimmter Mikro-RNAs die eigentliche Ursache verschiedener genetisch bedingter Krankheiten sei: Schließlich sei der zugrundeliegende Regulations-Mechanismus offenbar so ursprünglich, das er bei Würmern, Pflanzen und Menschen ganz ähnlich funktioniere.
Noch sind das nicht mehr als begründete Spekulationen – das Interesse aber ist wohl endgültig geweckt, und weitergehende Untersuchungen an Mikro-RNAs laufen allerorts verstärkt an. Weitere Überraschungen dürfen erwartet werden.
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