Urknall: Kosmische Inflation belegt?
Was in den letzten Tagen als Gerücht durch die Szene schwirrte, hat sich nun bestätigt: Erstmals liegen Messdaten vor, die ein bisher nur theoretisches Konstrukt des Urknallmodells unterstützen. Die bedeutende Neuigkeit gaben Wissenschaftler bekannt, die mit einem Experiment namens BICEP2 nach Signalen aus der Frühzeit des Universums fahnden. Mit keinem anderen Forschungsprojekt war es bisher gelungen, Hinweise aus dieser Ära zu erhalten, die fast 14 Milliarden Jahre zurückliegt.
Nach gegenwärtiger Auffassung entstand das Universum vor 13,8 Milliarden Jahren in einem Prozess, den wir Urknall nennen. Raum, Zeit, Energie und die Vorläufer der heute vorhandenen materiellen Teilchen waren damals auf einen winzigen Bereich komprimiert; Temperatur und Dichte erreichten unvorstellbar hohe Werte. Seit dem Urknall dehnt sich das Universum aus und kühlt sich dabei ab. Eine wichtige Zwischenphase in der Entwicklung des frühen Universums war etwa 380 000 Jahre nach dem Urknall erreicht: Temperatur und Dichte waren so weit gesunken, dass die zuvor noch frei umherschwirrenden Elektronen und Protonen sich zu stabilen Atomen vereinen konnten. Das hatte eine wichtige Konsequenz für die ebenfalls vorhandene Strahlung: Sie wurde nun nicht mehr ständig durch die materiellen Teilchen absorbiert und wieder emittiert, sondern konnte sich ungehindert von der Materie ausbreiten. Das Universum war gewissermaßen durchsichtig geworden.
Ein Relikt des Urknalls: Der kosmische Mikrowellenhintergrund
Die Strahlung, die damals freigesetzt wurde, durchquert unser Weltall noch immer. Allerdings ist aus dem anfangs strahlenden Leuchten inzwischen ein schwaches Glimmen geworden. Denn infolge der Expansion des Universums hat die Strahlung an Energie eingebüßt: Ihre Wellenlänge wurde erheblich gedehnt. Größere Wellenlängen bedeuten niedrigere Frequenzen und somit auch geringere Temperaturen. Die heiße Wärmestrahlung von einst hat heute Frequenzen, die im Bereich der Mikrowellen liegen, und ihre Temperatur beträgt nur noch knapp drei Kelvin. Als Hintergrundstrahlung erfüllt sie gleichmäßig das gesamte Universum. In jedem Kubikmeter Volumen unseres Weltalls finden wir 400 Millionen Photonen dieses Mikrowellenhintergrunds (aber weniger als ein Atom Materie).
Es ist genau 50 Jahre her, dass diese kosmische Mikrowellenstrahlung entdeckt wurde. Arno Penzias und Robert Wilson testeten 1964 eine neue Radioantenne für die Kommunikation mit Satelliten und fanden dabei ein Störsignal, das aus allen Richtungen des Himmels zu kommen schien und einer Strahlung mit der Temperatur von drei Kelvin entsprach. Bald wurde klar, dass diese "Drei-Kelvin-Strahlung" als Beleg für das lange Zeit umstrittene Urknallmodell und die Expansion des Kosmos zu interpretieren war. Es handelt sich eben um die kosmische Hintergrundstrahlung, die 380 000 Jahre nach dem Urknall entstand.
"Finale Wand" und Inflationsphase
Inzwischen wurde die kosmische Hintergrundstrahlung äußerst präzise vermessen, und zwar insbesondere mit den Satelliten COBE, WMAP und Planck. Die ersten Ergebnisse des ESA-Satelliten Planck wurden im Frühjahr 2013 vorgelegt. Die daraus abgeleitete Himmelskarte zeigt winzige Temperaturunterschiede in der kosmischen Hintergrundstrahlung, in der sich Dichteunterschiede im frühen Kosmos widerspiegeln, wie sie 380 000 Jahre nach dem Urknall existierten und damit die Grundlage für die spätere großräumige Struktur aus Galaxien und Galaxienhaufen legten. Diese Karte wird auch "finale Wand" genannt, weil es keine Möglichkeit gibt, mit Hilfe von elektromagnetischer Strahlung noch frühere Phasen des Universums zu erblicken – da Strahlung und Materie in den früheren Zeiten zu einem undurchdringlichen Brei vermengt waren.
Damit blieben die Vorgänge zwischen Urknall und finaler Wand 380 000 Jahre später lange Zeit nur Gegenstand theoretischer Überlegungen. Die gegenwärtig akzeptierte Variante des Urknallmodells besagt, dass es in den ersten Sekundenbruchteilen nach dem Urknall eine Phase gegeben haben muss, in dem sich das Universum exponentiell schnell aufblähte. Diese Inflationsphase wurde aus theoretischen Gründen eingeführt, um einige der Unzulänglichkeiten des ursprünglichen Urknallmodells zu beseitigen. Wie aber lässt sich die Theorie überprüfen, wenn man nicht hinter die finale Wand blicken kann?
Blick hinter die finale Wand
Interessanterweise gibt es doch eine Möglichkeit, den Schleier der finalen Wand etwas zu lüften. Theoretischen Überlegungen zufolge könnten sich nämlich einige Vorgänge im frühesten Universum in Form bestimmter Strukturen der kosmischen Hintergrundstrahlung aufgeprägt haben. Hierzu schauen sich die Forscher die Polarisation der kosmischen Mikrowellenstrahlung an. Als Polarisation bezeichnen die Physiker die Eigenschaft des Lichts (oder anderer elektromagnetischer Wellen wie zum Beispiel Radio- oder Mikrowellenstrahlung), bevorzugt in einer bestimmten Ebene zu schwingen. Und die Polarisation hängt unter anderem davon ab, wie die Strahlung an Materie reflektiert oder gestreut wird. Auch aus der Polarisation der kosmischen Hintergrundstrahlung lassen sich also Informationen über die Materieverteilung im frühen Universum gewinnen.
Und nicht nur das: Die Polarisation sollte auch durch Gravitationswellen beeinflusst werden. Solche Gravitationswellen waren zunächst eine Folge aus Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie. Sie sollten immer dann entstehen, wenn kompakte Massen beschleunigt werden – bei der Explosion einer Supernova etwa, bei der Kollision von Neutronensternen oder beim Verschmelzen von Schwarzen Löchern. Oder eben bei der inflationären Phase unmittelbar nach dem Urknall. Und die Theorie vom inflationären Universum sagt genau vorher, wie sich Gravitationswellen, die sich als Erschütterungen der Raumzeit in alle Richtungen ausbreiten, in der Polarisation der kosmischen Hintergrundstrahlung bemerkbar machen sollten.
Der Schlüssel: B-Moden in der Polarisation
Wie unterscheidet sich nun die Polarisation, die durch Dichteunterschiede erzeugt wurde, von jener, die auf den Einfluss von Gravitationswellen zurückzuführen ist? Dazu müssen wir berücksichtigen, dass es – grob gesagt – zwei unterschiedliche Moden der Polarisation gibt: E-Moden und B-Moden. Die Messung dieser beiden Moden gibt Auskunft über die jeweilige Polarisationsursache. E-Moden rühren von Unterschieden in der Dichte der Materie her; erstmals gemessen wurden sie im Jahr 2002. Weit schwieriger zu registrieren sind B-Moden, die infolge von Veränderungen im Raumzeitgewebe entstehen. Erstmals gelang das im Sommer 2013 mit Hilfe des South Pole Telescope in der Antarktis. Die gemessenen B-Moden waren in diesem Fall auf den Gravitationslinseneffekt zurückzuführen, wie er bei der Beobachtung ferner Galaxien eine Rolle spielt: Die gewaltigen Massen von Galaxienhaufen krümmen die Raumzeit, wodurch das Licht noch fernerer Galaxien wie durch eine Linseabgelenkt wird.
Die Mitglieder des BICEP2-Teams waren nun auf der Suche nach B-Moden in der Polarisation der kosmischen Hintergrundstrahlung, die von Gravitationswellen aus der inflationären Phase des Universums herrührten. Diese Gravitationswellen sollten dem kosmischen Hintergrund eine wirbelartige Struktur der Polarisation aufgeprägt haben. In Veröffentlichungen vom 17. März legten sie die ersten Belege für einen solchen Nachweis vor.
Das BICEP-Experiment
Für ihre Messungen nutzten die Wissenschaftler das BICEP-Experiment. BICEP steht für Background Imaging of Cosmic Extragalactic Polarization und bezeichnet eine Serie von Experimenten zur Messung der Polarisation der Strahlung im kosmischen Mikrowellenhintergrund. Speziell wird in den Messungen nach den B-Moden der Polarisation gesucht. Durchgeführt wird die Beobachtungskampagne BICEP an der Amundsen-Scott-Forschungsstation am Südpol mit einem relativ kleinen Teleskop, das ein großes Himmelsareal um den südlichen Himmelspol herum erfasst. Die Höhe der Station von 2800 Metern über dem Meeresspiegel und die trockene Luft in der Antarktis bieten gute Voraussetzungen, um von der Erde aus die kosmische Mikrowellenhintergrundstrahlung zu erforschen.
Das Experiment ist in drei aufeinanderfolgende Stufen geteilt: BICEP1 war ein Prototypinstrument mit 98 Detektoren, das von Anfang 2006 bis Ende 2008 das Areal um den Himmelssüdpol bei Frequenzen von 100 und 150 Gigahertz beobachtete. BICEP2 war eine Weiterentwicklung, in der man das Teleskop mit 512 Detektoren bestückte. Die Messfrequenz lag bei 150 Gigahertz. Die Ergebnisse der dreijährigen Messkampagne (von Anfang 2010 bis Ende 2012) liegen nun vor; in ihnen haben die Wissenschaftler der BICEP-Kollaboration die durch Gravitationswellen aufgeprägten Signale aus der Frühphase des Universums in Form der B-Moden gefunden. BICEP3 wird gegenwärtig installiert; das Instrument wird dann 2560 Detektoren enthalten, die bei der Frequenz von 100 Gigahertz arbeiten.
Wie die Sprecher des BICEP-Teams auf einer Pressekonferenz am 17. März sagten, haben sie ihre Daten mehrere Jahre lang sorgfältig analysiert, um mögliche Fehlerquellen und andere Ursachen auszuschließen. Nach eigenen Angaben waren sie überrascht über die Stärke des aufgetretenen Signals. Ihre Ergebnisse hätten sie aber noch ein Jahr zurückgehalten und sich erst zu Veröffentlichung entschlossen, als eines der Nachfolgeexperimente von BICEP2 die gleichen Resultate zu liefern begann.
In der Tat müssen zu einem endgültigen Nachweis der "primordialen B-Moden" die Daten durch andere Experimente bestätigt werden. Und die Konkurrenz auf diesem Gebiet ist durchaus groß. Neben einigen Experimenten, die ebenfalls von US-amerikanischen Forschergruppen betrieben werden, sind es vor allem die noch nicht veröffentlichten Polarisationsdaten des Planck-Satelliten, die den Befund bestätigen oder widerlegen können.
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