News: Kuscheln mit Muscheln
Siedend heißes Wasser und giftiger Schwefelwasserstoff - in dieser angenehmen Umgebung an Spalten im Meeresgrund gedeihen Tiefseemuscheln prächtig. Allerdings nicht allein: Die Muscheln überleben nur, weil chemoautotrophe Bakterien, die sie in ihren Kiemenzellen beherbergen, die Giftstoffe umwandeln. Jetzt entdeckten Biologen, daß die Beziehung zwischen Muscheln und Bakterien so eng ist, daß die beiden Spezies vielleicht eine gemeinsame Evolution durchmachen. Andere vermuten, daß die Bakterien ihre Identität als eigene Art völlig aufgeben und zu einer Organelle der Muschelzellen werden könnten.
In der Natur sind Symbiosen häufig: Blüten zum Beispiel versorgen Bienen mit Nektar, die Bienen wiederum bestäuben dafür die Blüten. Mitunter werden zwei Arten so abhängig voneinander, daß keine mehr ohne die andere bestehen kann. Wenn sich nun eine dieser beiden Spezies im Laufe ihrer Evolution in zwei Arten aufspaltet, muß die andere ihrem Beispiel folgen, wenn sie überleben will. Die Symbionten machen eine extreme Koevolution durch.
Das Team um Robert J. Vrijenhoek von der Rutgers University hielt die Tiefseemuscheln und ihre endosymbiontischen Bakterien für gute Kandidaten für eine Koevolution: Weder die Muschel noch die in ihren Zellen lebenden Bakterien wurden je getrennt voneinander gefunden. Zudem gibt es Belege, daß die Muscheln ihre Endosymbionten in ihren Eiern von einer Generation zur nächsten weitergeben.
Um seine Hypothese zu überprüfen, analysierte Peek mitochondriale DNA aus neun Muschelarten und Erbmaterial ihrer endosymbiotischen Bakterien. Dann bestimmte er für beide Organismen die Stammbäume, die statistisch am wahrscheinlichsten waren. Aus 135 135 Möglichkeiten ergaben sich für beide Arten jeweils neun Abstammungslinien – und es waren genau dieselben! Daraus schließt der Wissenschaftler, daß Tiefseemuscheln und ihre schwefeloxidierenden Bakterien anscheinend tatsächlich eine Koevolution durchliefen (Proceedings of the National Academy of Sciences vom 18. August 1998, Abstract).
Indirekt ist diese Erkenntnis auch bedeutsam für die Evolution von Zellorganellen, erklärt Charles Fisher von der Pennsylvania State University. Unter anderem von Mitochondrien wird nach der Endosymbiontenhypothese angenommen, daß auch sie ursprünglich Endosymbionten waren, die im Laufe der Zeit die Fähigkeit verloren haben, außerhalb ihrer Partnerzelle zu existieren. Die Bakterien in den Tiefseemuscheln sind vielleicht dabei, den gleichen Weg einzuschlagen, meint der Forscher.
Siehe auch
- Spektrum der Wissenschaft 6/96, Seite 60
"Die Herkunft der komplexen Zellen"
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