Psychologie: Mein Heiligtum nur gegen Deines
Manchmal helfen Detail-Einblicke von innen, um den großen Überblick von außen nicht zu verlieren - gerade bei medial grell beleuchteten Themen wie dem Nahost-Konflikt. Er gilt in Meinungsumfragen seit Jahren "als größte Bedrohung für den Weltfrieden", die Hoffnung auf schnelle Fortschritte zu der nächsten angekündigten "dauerhaften" Lösung ist bislang immer enttäuscht worden. Und Experten aller Disziplinen fragen sich nicht erst seit gestern, woran das liegt.
Die Schuldigen am ewig schwelenden Nahostkonflikt sind nicht einfach in wenigen Zeilen zu benennen. Verantwortlich sind natürlich die vor Ort handelnden Parteien ohne Interesse an einer Lösung und globale Machtgruppen mit ganz eigenen Zielen. Wohl auch eine Ursache sind die oft mangelhaften Lösungsvorschläge. Sie entstehen, wenn zu viele Interessengruppen zu viele andere gleichzeitig zufriedenstellen wollen, wobei "andere", in diesem komplexen seit mehr als einem Jahrhundert schwelenden Konfliktgemenge zudem vereinfacht als "Israelis und Palästinenser" oder "Araber und Juden" kategorisiert werden.
Und vielleicht liegt das Scheitern der Bemühungen auch ein wenig daran, dass Interesse und Motivation dieser vielen künstlich gruppierten Einzelnen gar nicht so richtig verstanden werden. Letzteres klingt angesichts der zu oft blutigen Realität, in der diese Betroffenen leben, ein wenig akademisch – durchaus überlegenswert ist es dennoch, finden Forscher um Jeremy Ginges von der New School for Social Research.
Ginges ist Psychologe und ärgerte sich mit seinem Team darüber, dass schon im Rahmen seines Faches tatsächlich noch rein akademische Annahmen darüber, wie "Palästinenser" und "Israelis" auf Konfliktlösungsangebote reagieren könnten, häufig auf sehr mangelhaften Annahmen basieren. Psychologische Modellforschung auf dem Gebiet des kulturellen Konfliktmanagements gründe schließlich oft auf Laborexperimenten, bei denen sich Freiwillige – gerne rekrutiert aus der selten repräsentativen Schnittmenge gebildeter nordamerikanischer Universitätsstudenten – in einen angenommen politischen Konflikt hineindenken sollen, um dann auf verschiedene Vermittlungsangebote zu reagieren.
Glaubst Du wirklich?
Derartiges mag verwertbare Resultate liefern, wenn es in der gedachten Ausgangssituation virtuell um nicht mehr geht als viel virtuelles Geld oder ein wenig Bestrafung. Aber der Versuch, auf diesem Weg echte Handlungen und Entscheidungen in realen und komplexen lebensbedrohlichen Konflikten zu simulieren, geht häufig an der Wirklichkeit vorbei.
Ein kaum simulierbarer psychologischer Aspekt ist zum Beispiel die echte, emotionale Beteiligung, die etwa durch starke religiöse Überzeugungen gespeist wird – oder durch die lebenslange Sozialisation im Umfeld eines Langzeitkonfliktes wie dem im Nahen Osten. Diese führt unumgänglich dazu, die Dinge aus einem subjektiven Blickwinkel zu betrachten und bewerten, der mit dem eines objektiven Außenseiters oder gut meinenden Freiwilligen nicht immer vereinbar ist. Dazu muss nicht einmal, ein Extremfall persönlicher Vorgeschichte, ein Familienmitglied bei einem Selbstmordattentat gestorben sein.
Den Forschern um Ginges bot sich nun die Chance, diese methodischen Schwächen psychologischer Datenerhebung zu umgehen: Sie erhielten die Gelegenheit, Experimente mit realen Konfliktteilnehmern in Israel durchzuführen. Dabei sammelten die Wissenschaftler Felddaten in Fragebögen zusammen, die sie Israelis und Palästinensern vorgelegt hatten.
Die Befragten gehörten dabei den unterschiedlichen Parteien an, die im Falle angedachter politischer Lösungen etwas zu verlieren hatten: 601 waren jüdische Siedler in der von Israel besetzten Westbank – sie müssten in Nahost-Konflikt lösenden Planspielen ihre Ortschaften sowie den alttestamentarischen Anspruch auf das Siedlungsgebiet "Samaria" größtenteils aufgeben, um einen lebensfähigen palästinensischen Staat möglich zu machen. 535 Teilnehmer waren palästinensische Flüchtlinge, die auf einem uneingeschränkten Rückkehrrecht in alle von Israel beherrschten Gebiete beharren. Zudem befragten Ginges und Kollegen auch 719 palästinensische Studenten, die sich der Hamas-Partei oder noch radikaleren islamistischen Gruppen nahe fühlten, aus deren Reihen die meisten Selbstmordattentäter stammen. Natürlich hatten alle Teilnehmer den für psychologische Schlussfolgerungen notwendigen, im sozialen Umfeld gewachsenen emotionalen Hintergrund zum Nahost-Konflikt entwickelt – und eindeutige religiös-ideologische Überzeugungen.
Zunächst das ernüchterndste und nicht überraschende Resultat der Befragung: Keine der Gruppen, denen auf den Fragebögen verschiedene Vorschläge zur politischen Lösung des Konfliktes gemacht wurden, war mehrheitlich zu irgendwelchen Kompromissen bereit, bei denen sie eine Handbreit auf die Vorstellungen des Gegners zugehen müssten. Auch nicht sehr verblüffend: Dies galt im besonderen Maß für Befragte, die unumstößliche religiöse Überzeugungen als Grundlage ihres Handelns angegeben hatten – etwa (für jüdische Siedler) das gottgegebene Besitzrecht der Westbank oder (für Palästinenser), das Recht, Ostjerusalem mit seinen heiligen Stätten zur Hauptstadt eines zukünftigen Staates zu machen.
Lösungsvorschläge, die solche religiös begründeten Grundsätze verletzen, riefen bei den streng religiös argumentierenden Beteiligten denn auch Abscheu, Rachegedanken und emotionale Reaktionen hervor – im Fragebogen äußerte sich das etwa bei Palästinensern in einem höheren Grad von "Freude, wenn ein Selbstmordattentat bekannt wird", bei Israelis stieg der Grad an "Bereitschaft, eine sofortige gewalttätige Gegenmaßnahme intensiv zu unterstützen".
Und was ist Dir heilig?
Tatsächlich aber scheinen sowohl gläubige Juden als auch gläubige Moslems unter ganz bestimmten Umständen immerhin bereit zu sein, den Verzicht auf eigene religiöse Grundsätze weniger stark zu bekämpfen, wenn damit eine Konfliktlösung zu erreichen wäre. Voraussetzung ist aber, dass eine entsprechende Kompensation des Gegners auf gar keinen Fall materieller Natur sein darf, sondern ebenfalls mit religiösen Zugeständnissen einhergeht. Denn tatsächlich stieg bei beiden Seiten die Abscheu gegen einen Vorschlag noch weiter an, wenn dieser Kompromiss zusätzlich durch Geldzahlungen an die verzichtende Partei unterfüttert werden sollte.
Zu glauben, Geld könne den Verzicht auf religiöse Überzeugung beschleunigen, ist demnach ein absoluter Trugschluss, so Ginges und Kollegen. Stattdessen lässt sich zwischen den Zeilen der Fragebögen aber auch herauslesen, dass es toleriert wird, wenn einem eigenen Verzicht auf religiöse Prinzipien ein ebensolcher Verzicht der religiösen Gegner vorausgeht. In solchen Fällen, in denen religiös argumentierende Hardliner wahrnahmen, dass ihre ebenso auf religiös-immaterieller Grundlage argumentierenden Gegner ideelle Zugeständnisse machen, nahmen sie diese als durchaus schwer wiegend an. Nicht, dass dies ihre Kompromissbereitschaft generell erhöhte, wie bereits gesagt – immerhin aber sank der bekundete Grad der Abneigung gegen die Lösung deutlich.
Im Nahost-Konflikt sind demnach Fortschritte zäh und nur mühsam zu erkaufen – auch das ist nicht wirklich etwas Neues. Kleinigkeiten könnten aber einen Unterschied machen, schreibt Ginges. Wahlumfragen hatten etwa gezeigt, dass der marginale Vorsprung der radikalen Hamas-Partei (44 Prozent der Wählerstimmen) gegenüber der gemäßigteren Fatah (41 Prozent) bei den palästinensischen Parlamentswahlen durch genau die Personengruppe zustande kam, die im Experiment durch gänzlich falsche Anreize aufgestachelt werden konnte. Wer weiß – die richtigen Zugeständnisse guten Willens hätten sie vielleicht nicht zu Freunden eines Friedensprozesses gemacht, immerhin aber auch nicht zu erbitterten Feinden.
Und vielleicht liegt das Scheitern der Bemühungen auch ein wenig daran, dass Interesse und Motivation dieser vielen künstlich gruppierten Einzelnen gar nicht so richtig verstanden werden. Letzteres klingt angesichts der zu oft blutigen Realität, in der diese Betroffenen leben, ein wenig akademisch – durchaus überlegenswert ist es dennoch, finden Forscher um Jeremy Ginges von der New School for Social Research.
Ginges ist Psychologe und ärgerte sich mit seinem Team darüber, dass schon im Rahmen seines Faches tatsächlich noch rein akademische Annahmen darüber, wie "Palästinenser" und "Israelis" auf Konfliktlösungsangebote reagieren könnten, häufig auf sehr mangelhaften Annahmen basieren. Psychologische Modellforschung auf dem Gebiet des kulturellen Konfliktmanagements gründe schließlich oft auf Laborexperimenten, bei denen sich Freiwillige – gerne rekrutiert aus der selten repräsentativen Schnittmenge gebildeter nordamerikanischer Universitätsstudenten – in einen angenommen politischen Konflikt hineindenken sollen, um dann auf verschiedene Vermittlungsangebote zu reagieren.
Glaubst Du wirklich?
Derartiges mag verwertbare Resultate liefern, wenn es in der gedachten Ausgangssituation virtuell um nicht mehr geht als viel virtuelles Geld oder ein wenig Bestrafung. Aber der Versuch, auf diesem Weg echte Handlungen und Entscheidungen in realen und komplexen lebensbedrohlichen Konflikten zu simulieren, geht häufig an der Wirklichkeit vorbei.
Ein kaum simulierbarer psychologischer Aspekt ist zum Beispiel die echte, emotionale Beteiligung, die etwa durch starke religiöse Überzeugungen gespeist wird – oder durch die lebenslange Sozialisation im Umfeld eines Langzeitkonfliktes wie dem im Nahen Osten. Diese führt unumgänglich dazu, die Dinge aus einem subjektiven Blickwinkel zu betrachten und bewerten, der mit dem eines objektiven Außenseiters oder gut meinenden Freiwilligen nicht immer vereinbar ist. Dazu muss nicht einmal, ein Extremfall persönlicher Vorgeschichte, ein Familienmitglied bei einem Selbstmordattentat gestorben sein.
Den Forschern um Ginges bot sich nun die Chance, diese methodischen Schwächen psychologischer Datenerhebung zu umgehen: Sie erhielten die Gelegenheit, Experimente mit realen Konfliktteilnehmern in Israel durchzuführen. Dabei sammelten die Wissenschaftler Felddaten in Fragebögen zusammen, die sie Israelis und Palästinensern vorgelegt hatten.
Die Befragten gehörten dabei den unterschiedlichen Parteien an, die im Falle angedachter politischer Lösungen etwas zu verlieren hatten: 601 waren jüdische Siedler in der von Israel besetzten Westbank – sie müssten in Nahost-Konflikt lösenden Planspielen ihre Ortschaften sowie den alttestamentarischen Anspruch auf das Siedlungsgebiet "Samaria" größtenteils aufgeben, um einen lebensfähigen palästinensischen Staat möglich zu machen. 535 Teilnehmer waren palästinensische Flüchtlinge, die auf einem uneingeschränkten Rückkehrrecht in alle von Israel beherrschten Gebiete beharren. Zudem befragten Ginges und Kollegen auch 719 palästinensische Studenten, die sich der Hamas-Partei oder noch radikaleren islamistischen Gruppen nahe fühlten, aus deren Reihen die meisten Selbstmordattentäter stammen. Natürlich hatten alle Teilnehmer den für psychologische Schlussfolgerungen notwendigen, im sozialen Umfeld gewachsenen emotionalen Hintergrund zum Nahost-Konflikt entwickelt – und eindeutige religiös-ideologische Überzeugungen.
Zunächst das ernüchterndste und nicht überraschende Resultat der Befragung: Keine der Gruppen, denen auf den Fragebögen verschiedene Vorschläge zur politischen Lösung des Konfliktes gemacht wurden, war mehrheitlich zu irgendwelchen Kompromissen bereit, bei denen sie eine Handbreit auf die Vorstellungen des Gegners zugehen müssten. Auch nicht sehr verblüffend: Dies galt im besonderen Maß für Befragte, die unumstößliche religiöse Überzeugungen als Grundlage ihres Handelns angegeben hatten – etwa (für jüdische Siedler) das gottgegebene Besitzrecht der Westbank oder (für Palästinenser), das Recht, Ostjerusalem mit seinen heiligen Stätten zur Hauptstadt eines zukünftigen Staates zu machen.
Lösungsvorschläge, die solche religiös begründeten Grundsätze verletzen, riefen bei den streng religiös argumentierenden Beteiligten denn auch Abscheu, Rachegedanken und emotionale Reaktionen hervor – im Fragebogen äußerte sich das etwa bei Palästinensern in einem höheren Grad von "Freude, wenn ein Selbstmordattentat bekannt wird", bei Israelis stieg der Grad an "Bereitschaft, eine sofortige gewalttätige Gegenmaßnahme intensiv zu unterstützen".
Und was ist Dir heilig?
Tatsächlich aber scheinen sowohl gläubige Juden als auch gläubige Moslems unter ganz bestimmten Umständen immerhin bereit zu sein, den Verzicht auf eigene religiöse Grundsätze weniger stark zu bekämpfen, wenn damit eine Konfliktlösung zu erreichen wäre. Voraussetzung ist aber, dass eine entsprechende Kompensation des Gegners auf gar keinen Fall materieller Natur sein darf, sondern ebenfalls mit religiösen Zugeständnissen einhergeht. Denn tatsächlich stieg bei beiden Seiten die Abscheu gegen einen Vorschlag noch weiter an, wenn dieser Kompromiss zusätzlich durch Geldzahlungen an die verzichtende Partei unterfüttert werden sollte.
Zu glauben, Geld könne den Verzicht auf religiöse Überzeugung beschleunigen, ist demnach ein absoluter Trugschluss, so Ginges und Kollegen. Stattdessen lässt sich zwischen den Zeilen der Fragebögen aber auch herauslesen, dass es toleriert wird, wenn einem eigenen Verzicht auf religiöse Prinzipien ein ebensolcher Verzicht der religiösen Gegner vorausgeht. In solchen Fällen, in denen religiös argumentierende Hardliner wahrnahmen, dass ihre ebenso auf religiös-immaterieller Grundlage argumentierenden Gegner ideelle Zugeständnisse machen, nahmen sie diese als durchaus schwer wiegend an. Nicht, dass dies ihre Kompromissbereitschaft generell erhöhte, wie bereits gesagt – immerhin aber sank der bekundete Grad der Abneigung gegen die Lösung deutlich.
Im Nahost-Konflikt sind demnach Fortschritte zäh und nur mühsam zu erkaufen – auch das ist nicht wirklich etwas Neues. Kleinigkeiten könnten aber einen Unterschied machen, schreibt Ginges. Wahlumfragen hatten etwa gezeigt, dass der marginale Vorsprung der radikalen Hamas-Partei (44 Prozent der Wählerstimmen) gegenüber der gemäßigteren Fatah (41 Prozent) bei den palästinensischen Parlamentswahlen durch genau die Personengruppe zustande kam, die im Experiment durch gänzlich falsche Anreize aufgestachelt werden konnte. Wer weiß – die richtigen Zugeständnisse guten Willens hätten sie vielleicht nicht zu Freunden eines Friedensprozesses gemacht, immerhin aber auch nicht zu erbitterten Feinden.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.