News: Mit Ultraschall antiken Seefahrern auf der Spur
Im 8. Jahrhundert v. Chr. erholte sich Griechenland von dem tiefen Niedergang, der nach dem Ende der mykenischen Kultur eingetreten war. Der Überseehandel lebte wieder auf. Er zielte zunächst auf Italien und führte zur Gründung erster Kolonien, d. h. "Filialen" von Stadtstaaten des Mutterlandes, auf Sizilien und dem italienischen Festlande. Im 7. Jahrhundert richteten Griechenstädte in Ionien (heute dem ägäischen Teil der Türkei) ihr Interesse auf östlich gelegene Länder. Besonders bezog Milet das Schwarzmeergebiet in seine Interessenssphäre ein. Unter seinen zahlreichen Kolonien wurden die drei ältesten im 7. Jahrhundert gegründet: Sinope an der türkischen Nordküste, Olbia in der Ukraine an der Bug-Mündung und Istros, von den Römern und heute Histria genannt, in der rumänischen Dobrudscha.
Während Sinope wohl den Verkehr mit den erzreichen Kaukasusländern sichern sollte und in Olbia vermutlich zunächst Getreide für das schon zu dieser Zeit nicht mehr autarke Griechenland beschafft wurde, sind die Motive für die Gründung Histrias schwerer auszumachen. Sein Name bezieht sich auf die Donau (griech. Istros, lat. Hister) und sollte vielleicht auf den Umschlagplatz für Waren, die den Fluß hinabkamen, hinweisen. Histria dürfte aber auch eine wichtige Raststation für milesische Olbia-Fahrer gewesen sein, liegt es doch ca. 50 km nördlich von Tomi/Constanta und damit etwa halbwegs zwischen Olbia und dem Bosporus. Sicher ist, daß die Stadt später immer ein beachtlicher Hafenplatz gewesen ist, nicht nur für lokale Fischerboote. In der römischen Kaiserzeit zeigen Münzen in der Stadt einen Leuchtturm, und in der Spätantike waren hier auch römische Kriegsschiffe stationiert. All diese Quellen lassen keinen Zweifel, daß Histria einen bedeutenden Hafen besaß.
Heute ist an der Geländeoberfläche nichts mehr von einem Hafen zu erkennen. Der Grund dafür sind natürliche Veränderungen. Seit der Spätantike ist der Spiegel des Schwarzen Meeres weit genug angestiegen, um Histria heute am Wasser liegen zu lassen – doch nicht am Schwarzen Meer, sondern einem ausgedehnten seichten Haff, dem Sinoë-See, der vom Meer durch eine lange, schmale Nehrung abgetrennt ist. Ebenso folgenschwer ist, daß die antike Geländeoberfläche durch riesige Sandmassen "übermodelliert" und verschleiert worden ist, die sich seit der Spätantike abgelagert haben.
So überrascht es nicht, daß sich die jahrzehntelangen Bemühungen um die Lokalisierung des Hafens vorwiegend auf Spekulationen beschränken mußten. Anfangs fehlten technische Methoden, durch den Sand-"Schleier" die antiken Oberflächen zu untersuchen. Und als sie schließlich existierten, boten die finanziellen Bedingungen in Rumänien keine Möglichkeit, sie dort unter eigener Regie anzuwenden. Aus diesem Grunde wandte sich das Archäologische Institut der Rumänischen Akademie der Wissenschaften an die Erlangener Archäologen – mit der Bitte, Prospektionsarbeiten (Erkundungsarbeiten) mit modernen Mitteln zu organisieren. Daraus entwickelte sich ein Forschungsprojekt, das von der Fritz-Thyssen-Stiftung und insbesondere auch der Deutschen Gesellschaft zur Förderung der Unterwasserarchäologie (DEGUWA) unterstützt wurde. Die DEGUWA stellte einige Mitglieder zu unentgeltlichen Arbeiten vor Ort.
Ohne diese personelle Verstärkung wäre das Vorhaben von vornherein undurchführbar gewesen. Denn im Gegensatz zu den meisten europäischen Ländern und den USA spielen spezifisch unterwasserarchäologische Fragestellungen und Methoden im Lehr- und Forschungsbetrieb deutscher Universitäten keine Rolle, weil dieses über alle Epochen, Kulturen und Regionen ausgreifende Wissenschaftsgebiet nicht in den herkömmlichen, seit einem halben Jahrhundert unveränderten Kanon der archäologischen und historischen Fächer paßt. Fachleute sind deshalb bei uns Mangelware, lassen sich doch Ausbildung und Erfahrung fast nur im Ausland erwerben.
Mit Hilfe der beiden genannten Institutionen wurde 1996 eine kurze erste Forschungskampagne durchgeführt. Sie beschritt methodisch zwei Wege. Einerseits wurde mit geophysikalischen Methoden die heute unter Sand begrabene Landzone zwischen dem Akropolishügel (Akropolis: gr. für Oberstadt) und der frühen Wohnstadt untersucht. Es konnte nachgewiesen werden, daß dazwischen eine tiefe, sich beckenartig erweiternde Rinne lag, die zweifellos den gesuchten Hafen bildete.
Gleichzeitig wurde das ufernahe Flachwasser der Lagune mit einem mehrfrequenzigen Sonargerät vom Typ SoSoJena sondiert, das nicht allein den Seegrund anzeigen, sondern zugleich mit seinem Niederfrequenzteil den Untergrund erkunden kann. Auf diese Weise wurde 100 – 170 m östlich des Ufers des Akropolishügels eine etwa nordsüdlich verlaufende Steinansammlung lokalisiert, die von den örtlichen Fischern irreführenderweise als "Chaussee" bezeichnet wird und von der man vermutete, sie könnte eine antike Hafenmole gebildet haben. Die Taucharchäologen der DEGUWA (Deutsche Gesellschaft für Unterwasserarchäologie) untersuchten in Stichproben das Steinmaterial und stellten fest, daß sich darunter ortsfremder Kalkstein befindet. Dieselbe Steinart ist für den Unterbau der archaischen Lehmziegelmauer westlich der Wohnstadt verwendet worden. Darum wird es sich bei der "Chaussee" nicht um den Teil eines Hafens, sondern um eine Befestigung handeln, die vor der Entstehung der Lagune den Akropolishügel im Osten umgeben hat.
Im Juli 1998 konnte eine weitere Kampagne mit dem Sonargerät und Mitarbeitern der DEGUWA durchgeführt werden. Der Gerätebestand war um einen Lasertheodoliten und Funktelefone ergänzt worden, die den direkten Kontakt zwischen den Tauchern in der Lagune und der Basis an Land ermöglichten, wo die drahtlos übermittelten Meßdaten des Sonars simultan ausgewertet und gespeichert wurden. Dieses wurde je nach Windstärke und Wellengang teils auf einem eigens entworfenen, ferngesteuerten Katamaran, teils in einem Boot über die Untersuchungsfläche geführt.
Dank der guten Ausrüstung konnte eine Flachwasserzone erkundet und genau vermessen werden, welche den mehrfachen Umfang des 1996 untersuchten Areals beträgt und von der Ost- und Nordseite der Akropolis bis zur Nordseite der Wohnstadt reicht. Dabei ließen sich vor der Akropolis in Tiefen um 1 m unter dem Seegrund zahlreiche "Spuren" ermitteln, die erheblich kompakter, also härter sind als der bedeckende Sand. Etliche von ihnen erscheinen so regelmäßig, daß sie auf antike Gebäude zurückgehen können. Der Beweis dafür ließe sich nur durch aufwendige Unterwasserausgrabungen erbringen, die im gegenwärtigen Projekt nicht vorgesehen sind. So muß es vorerst bei der sehr wahrscheinlichen Annahme bleiben, daß die mit dem Sonar untersuchten Zonen einst dicht bebaut waren.
Für die sogenannte "Chaussee" brachte die neue Untersuchung und Vermessung nicht nur zuverlässige Angaben über ihre Ausdehnung, sondern ließ auch erkennen, daß es sich nicht (wie es 1996 geschienen hatte) nur um eine einzige breite, amorphe Steinansammlung handelt. Jetzt konnten mehrere lineare Stein-Verdichtungen identifiziert werden, die am Südende in sehr spitzem Winkel fächerförmig auseinanderstreben. Dies könnte auf mehrere Bauphasen der vermuteten Mauer hinweisen.
Schließlich lieferte das Sonar tief unter dem Seegrunde die Fortsetzung der 1996 geophysikalisch nachgewiesenen Hafenrinne in nordöstlicher Richtung. Offen ist noch, ob sie direkt zum Meer oder zu einem einstigen Arm des Donaudeltas geführt hat, der weiter nach Süden gereicht hätte als der heute südlichste St. Georgs-Arm. Obwohl Karten die Tiefe der Sinoë-Lagune – a priori unglaubwürdig – stereotyp mit 1,5 m angeben, scheint sich in Satellitenfotos eine tiefe Rinne anzudeuten. Diese könnte ein antiker "Histria-Arm" des Donaudeltas sein, der später vom Strom abgeschnitten wurde.
Die Suche nach einem solchen frühen Donau-Arm, der den Namen Istros bzw. Histria direkter erklären könnte als viele anderslautende Spekulationen, würde ein ganz neues, aufwendiges Foschungsprojekt implizieren. Schon jetzt läßt sich aber die Aussage vertreten, daß milesische Seefahrer im 7. Jahrhundert v. Chr. für die Gründung ihrer Kolonie eine besonders günstige Stelle gewählt haben, die ein durch den vorgelagerten Akropolishügel geschütztes, entweder direkt oder über einen Donauarm mit dem Meer verbundenes Hafenbecken besessen hat.
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