Direkt zum Inhalt

News: Nahe des Nullpunktes

Mit der Temperatur hat es der Physiker nicht leicht. Klar ist, dass bei null Kelvin oder minus 273,15 Grad Celsius Schluss ist. Tiefer geht es nicht. Bei der Bestimmung von Temperaturen zwischen null und einem Kelvin tut er sich indes recht schwer. Hier gab es bislang keine allgemein gültige Messlatte, nach der er sich richten konnte. Nun ist die Stufenleiter der Internationalen Temperaturskala nach unten verlängert worden. Mit der neuen Tieftemperaturskala ist es jetzt möglich, Temperaturen unterhalb 0,65 Kelvin exakt zu messen.
Vor genau 100 Jahren, am 14. Dezember 1900, hielt Max Planck einen Vortrag, der eine physikalische Revolution in Gang setzte. Er stellte der staunenden Öffentlichkeit seine Idee vor, dass Strahlungsteilchen Energie nur in einzelnen Paketen, so genannten "Quanten", aufnehmen können. Damit begann das Zeitalter der Quantenphysik. Deren theoretische Erkenntnisse – so unglaublich sie immer noch erscheinen – gehören heute zu den am besten bewiesenen Teilgebieten der Physik. Und sie stehen vor dem Sprung in die praktische Anwendung: Erste Erfolge in der Quantenkryptographie, eine Verschlüsselungstechniken für den abhörsicheren Computer der Zukunft, lassen mit Spannung auch auf die Bereiche schauen, die bisher eher für die Grundlagenforschung interessant sind. Dazu gehört die Untersuchung von so genannten Fermi-Flüssigkeiten. 3He wird bei sehr tiefen Temperaturen zu einer solchen Quanten-Flüssigkeit, in der sich die Teilchen ganz absonderlich verhalten.

Um theoretische Modellvorstellungen dazu auch im Experiment bestätigen zu können, muss man die ultratiefen Temperaturen exakt messen können. Dafür gab es bisher aber keine allgemein verbindliche Temperaturskala. Unterhalb von 0,65 Kelvin – wo die Internationale Temperaturskala von 1990 (ITS-90) endet – herrschte ein verwirrendes Durcheinander: Die Wissenschaftler mussten sich mit mehren Skalen behelfen, die sich im Millikelvin-Bereich um bis zu sechs Prozent unterschieden. Jetzt gilt hier nur noch eine einzige Skala. Mitte Oktober nahm das Internationale Komitee für Maß und Gewicht (CIPM) eine neue Internationale Temperaturskala an, die in den Bereichen dicht am absoluten Nullpunkt endlich Klarheit schafft. Sie deckt den Bereich von 0,9 Millikelvin bis ein Kelvin ab, überschneidet sich im oberen Bereich also mit der ITS-90 und beruht auch auf demselben erfolgreichen Prinzip: Sie nutzt die Eigenschaft eines Elements, immer bei exakt derselben Temperatur von einem Aggregatzustand in einen anderen überzugehen. Oft ist diese Eigenschaft druckabhängig, so dass man eine Kurve erhält – in diesem Fall die Schmelzdruckkurve des Heliums oder genauer: die international vereinbarte Beziehung zwischen der Temperatur und dem Schmelzdruck des Heliums. Jetzt braucht man nur noch den Druck zu messen und kennt die genaue Temperatur.

Um die Temperaturskala zu erstellen – und dies gehört zu den Aufgaben der nationalen Metrologie-Institute wie der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) – braucht man exakte Messungen mit primären Thermometern. Das sind Messinstrumente, die nicht Materialeigenschaften, wie zum Beispiel beim Quecksilberthermometer, sondern ausschließlich fundamentale physikalische Beziehungen nutzen. Bei der neuen Tieftemperaturskala ist es eine Kombination von verschiedenen Messverfahren: unter anderem Rauschthermometrie – angewandt in der PTB und im amerikanischen Metrologie-Institut NIST – und Kernorientierungsthermometrie – angewandt im NIST und an der University of Florida. Diese Messungen zu kombinieren hat den Vorteil, dass Fehler minimiert werden, aber den Nachteil, dass im unteren Messbereich die Werte noch nicht perfekt übereinstimmen. Daher trägt die neue Skala zunächst den Namen "Provisorische Tieftemperaturskala". Schon jetzt kann sie aber nicht nur den Grundlagenforschern, sondern auch den Herstellern von Kryostaten – den Geräten, die die sehr tiefen Temperaturen erzeugen – gute Dienste leisten: Die Hersteller können jetzt genauer angeben, welche Temperaturen ihre Geräte wirklich erreichen.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.