News: Nahe des Nullpunktes
Um theoretische Modellvorstellungen dazu auch im Experiment bestätigen zu können, muss man die ultratiefen Temperaturen exakt messen können. Dafür gab es bisher aber keine allgemein verbindliche Temperaturskala. Unterhalb von 0,65 Kelvin – wo die Internationale Temperaturskala von 1990 (ITS-90) endet – herrschte ein verwirrendes Durcheinander: Die Wissenschaftler mussten sich mit mehren Skalen behelfen, die sich im Millikelvin-Bereich um bis zu sechs Prozent unterschieden. Jetzt gilt hier nur noch eine einzige Skala. Mitte Oktober nahm das Internationale Komitee für Maß und Gewicht (CIPM) eine neue Internationale Temperaturskala an, die in den Bereichen dicht am absoluten Nullpunkt endlich Klarheit schafft. Sie deckt den Bereich von 0,9 Millikelvin bis ein Kelvin ab, überschneidet sich im oberen Bereich also mit der ITS-90 und beruht auch auf demselben erfolgreichen Prinzip: Sie nutzt die Eigenschaft eines Elements, immer bei exakt derselben Temperatur von einem Aggregatzustand in einen anderen überzugehen. Oft ist diese Eigenschaft druckabhängig, so dass man eine Kurve erhält – in diesem Fall die Schmelzdruckkurve des Heliums oder genauer: die international vereinbarte Beziehung zwischen der Temperatur und dem Schmelzdruck des Heliums. Jetzt braucht man nur noch den Druck zu messen und kennt die genaue Temperatur.
Um die Temperaturskala zu erstellen – und dies gehört zu den Aufgaben der nationalen Metrologie-Institute wie der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) – braucht man exakte Messungen mit primären Thermometern. Das sind Messinstrumente, die nicht Materialeigenschaften, wie zum Beispiel beim Quecksilberthermometer, sondern ausschließlich fundamentale physikalische Beziehungen nutzen. Bei der neuen Tieftemperaturskala ist es eine Kombination von verschiedenen Messverfahren: unter anderem Rauschthermometrie – angewandt in der PTB und im amerikanischen Metrologie-Institut NIST – und Kernorientierungsthermometrie – angewandt im NIST und an der University of Florida. Diese Messungen zu kombinieren hat den Vorteil, dass Fehler minimiert werden, aber den Nachteil, dass im unteren Messbereich die Werte noch nicht perfekt übereinstimmen. Daher trägt die neue Skala zunächst den Namen "Provisorische Tieftemperaturskala". Schon jetzt kann sie aber nicht nur den Grundlagenforschern, sondern auch den Herstellern von Kryostaten – den Geräten, die die sehr tiefen Temperaturen erzeugen – gute Dienste leisten: Die Hersteller können jetzt genauer angeben, welche Temperaturen ihre Geräte wirklich erreichen.
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