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Paläontologie: Vogel entpuppt sich als Reptil

Bernstein ist eine Schatzkammer für die Wissenschaft. Doch manchmal führen die eingeschlossenen Tierreste auch in die Irre. Das zeigt ein Fund aus Südasien.
Das eingeschlossene Reptil Oculudentavis naga

Manchmal helfen die besten Untersuchungsmethoden nicht: Im März 2020 veröffentlichten Jingmai O'Connor vom Institut für Paläontologie und Paläoanthropologie der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking und ihr Team eine Studie, laut der sie ein rund 100 Millionen Jahre altes und nur kolibrigroßes Tier in Bernstein aus Myanmar gefunden hatten. Ursprünglich wurde es zu den Dinosauriern oder Vögeln gestellt, doch wenige Monate später zog die Gruppe ihre Studie wieder zurück: Es gab berechtigte Zweifel an der Zuordnung, stattdessen hätte es sich auch um eine Eidechse handeln können. Ein weiterer Fund und die dazugehörige Studie von Arnau Bolet vom Institut Català de Paleontologia Miquel Crusafont in Barcelona und seiner Gruppe in »Current Biology« könnte das Rätsel nun endgültig lösen.

Bolet und Co untersuchten ein weiteres in Bernstein eingeschlossenes Exemplar, das sich als neue Art herausstellte, aber nah mit dem ersten Fund verwandt ist. Oculudentavis naga, so der Name, überdauerte mit einem vollständigen Schädel, Teilen des Skeletts und weichem Gewebe sowie Schuppen in dem versteinerten Baumharz. Das Tier stammt wie Oculudentavis khaungraae aus der gleichen Region in Myanmar und ist 99 Millionen Jahre alt.

Mit Hilfe von Computertomografen wurden die zwei Exemplare Knochen für Knochen untersucht. Dabei entdeckten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bestimmte Knochenmerkmale, die dafür sprechen, dass beide Arten tatsächlich zu den Eidechsen gehören. Die Tiere seien jedoch so eigentümlich, dass es ohne diese genaue Analyse quasi unmöglich gewesen sei, sie eindeutig zu bestimmen, sagt Bolet.

Schädelknochen der beiden Arten im Vergleich | Die lange, schnabelähnliche Schnauze und das gequetschte Schädeldach führten Wissenschaftler in die Irre und zu dem Schluss, dass es sich um einen Vogel oder vogelartigen Dinosaurier handeln könnte (oben: Oculudentavis naga, unten: Oculudentavis khaungraae).

Vor allem die Schädelform führte zu Verwirrungen und Fehlschlüssen: Die lang gezogene Schnauze erinnerte an einen Vogelschnabel, auch ein sehr kleiner Kurzschwanzflugsaurier kam als Möglichkeit in Frage. Die neue Studie fand jedoch einige typische Kennzeichen für Eidechsen. So sitzen die Zähne tatsächlich fest am Kiefer und nicht in Aushöhlungen wie bei Dinosauriern. Auch die Augenhöhlen und Schulterknochen sowie die vorhandenen Schuppen sprachen für Eidechsen. Der hockeyschlägerartige Schädelknochen räumte schließlich alle Zweifel aus: Er findet sich bei allen Schuppenkriechtieren, zu denen die Eidechsen gehören.

Schuld an der ursprünglichen Verwirrung war der Versteinerungsprozess: Er quetschte den Schädel von Oculudentavis khaungraae und deformierte ihn, weshalb die Schnauze stark einem Schnabel glich und das Hirndach zusammengedrückt wurde. Dieser Bereich wurde dann ebenfalls vogelähnlicher. Dies war zwar auch bei Oculudentavis naga der Fall, doch blieben hier noch andere Körperreste erhalten. Die Gattung sei deshalb keinesfalls näher mit Vögeln verwandt, schreibt die Gruppe.

Beide Arten weisen zudem deutliche Unterschiede auf. Oculudentavis naga besaß wahrscheinlich einen aufrechten Kamm auf der Schnauze auf und lose Haut unter dem Kinn, die bei Erregung aufgeblasen werden konnte. Noch könne aber nicht festgestellt werden, wo sich die Gattung auf dem Reptilienstammbaum einordnen lässt, schreiben Bolet und Co.

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