Kuipergürtel: Ultima Thule – New Horizons erforscht das Ende der Welt
Dreieinhalb Jahre nach ihrer extrem erfolgreichen Passage am Zwergplaneten Pluto im Juli 2015 hat die Raumsonde New Horizons ein neues Zielobjekt im Visier: Am 1. Januar 2019 um 6:33 Uhr MEZ wird sie in einem Abstand von nur 3500 Kilometern am Kuipergürtelobjekt (486958) 2014 MU69 vorbeifliegen. Da diese Katalogbezeichnung nicht gerade eingängig ist, gaben die an der Mission beteiligten Planer und Wissenschaftler dem Objekt den inoffiziellen Namen Ultima Thule. Nach einem altgriechischen Mythos lässt er sich sowohl zeitlich als auch räumlich gesehen mit dem »Ende der Welt« umschreiben.
Mit den Untersuchungen von New Horizons gerät erstmals ein kleines Mitglied des Kuipergürtels ins Blickfeld der Planetenforscher – und zwar eines, das sich seit seiner Entstehung vor rund 4,6 Milliarden Jahren kaum verändert hat. Spektrale Untersuchungen zeigen, dass es zu einem großen Teil aus Wassereis besteht, mit Beimengungen von Silikatmineralen und organischem Material in Form von Staub.
Aus solchen Objekten bildeten sich in der Folge die größeren Mitglieder des Kuipergürtels wie beispielsweise der Zwergplanet Pluto mit seinen fünf Monden. Allerdings haben sich diese beträchtlich größeren und massereicheren Himmelskörper durch innere geologische Aktivitäten gegenüber dem Ausgangsmaterial weiterentwickelt. Dies konnte nicht zuletzt auch New Horizons bei ihrem Vorbeiflug an Pluto eindrucksvoll belegen. Nun sind die Planetenforscher äußerst gespannt, wie Ultima Thule aus der Nähe aussieht.
Ein langer Weg zum Ende der Welt
Ultima Thule ist mit einer mittleren Entfernung vom 44-Fachen des Abstands Erde – Sonne noch einmal erheblich weiter von der Sonne entfernt als der Zwergplanet Pluto während des Vorbeiflugs im Juli 2015. Deshalb musste New Horizons weitere anderthalb Milliarden Kilometer zu ihrem neuen Ziel zurücklegen.
Der Kleinkörper wurde im Juni 2014 mit dem Weltraumteleskop Hubble bei einer gezielten Suche nach möglichen Zielen für New Horizons aufgespürt. Damals fahndeten die Astronomen nach solchen Objekten, die sich nach dem Plutovorbeiflug mit minimalem Einsatz des Bordantriebs von New Horizons erreichen ließen. Im Zuge dieser Suche wurden mehrere kleine Himmelskörper entdeckt. Ultima Thule war der erste von ihnen und stellte sich im Endeffekt als das am besten geeignete Objekt heraus. Der Himmelskörper umrundet die Sonne innerhalb von 293 Jahren auf einer um 1,9 Grad gegenüber der Erdbahnebene geneigten elliptischen Bahn mit einer Exzentrizität von 0,047. Beobachtungen mit Hilfe des Weltraumteleskops Hubble und Auswertungen von Sternbedeckungen von der Erde aus weisen darauf hin, dass das Objekt sehr unregelmäßig geformt ist. Der maximale Durchmesser beträgt 35 Kilometer.
Derzeit vermuten die Missionswissenschaftler um Alan S. Stern vom Southwest Research Institute im texanischen San Antonio, dass Ultima Thule eine längliche kartoffelartige Gestalt aufweist. Aber auch ein Doppelkörper von zwei sich gerade berührenden Objekten ist denkbar, ähnlich der bizarren Form des Kerns des Kometen 67P/Tschurjumow-Gerasimenko. Kurzzeitig hatte die Auswertung einer der Sternbedeckungen auf einen kleinen Mond hingewiesen, dieser stellte sich aber im Endeffekt als Rechenfehler im Auswerteprogramm heraus.
Anhand der Bilder von New Horizons erhoffen sich die Forscher Aufschluss über Oberflächenstrukturen wie Krater und Rillen. Mit dem im Infraroten und bei optischen Wellenlängen arbeitenden Spektrometer an Bord soll nach dem Vorhandensein von gefrorenen Gasen wie Ammoniak, Kohlenmonoxid und Methan auf der Oberfläche Ausschau gehalten werden.
Im Anflug auf Ultima Thule
Mitte August 2018 sichtete New Horizons mit der Kamera LORRI erstmals ihr neues Zielobjekt. Es befand sich genau dort, wo es nach den Berechnungen der Forscher am Himmel zu sehen sein sollte. Zu dieser Zeit trennten die Raumsonde 172 Millionen Kilometer, das ist die 1,15-fache Distanz Erde–Sonne, von Ultima Thule, so dass er nur als lichtschwacher beweglicher Punkt vor dem reich mit Sternen besetzten Hintergrund erschien. Obwohl LORRI, der »Long-range Reconnaissance Imager«, ein 20-Zentimeter-Spiegelteleskop verwendet, werden die Bilder von Ultima Thule wegen der geringen Größe auch noch zwei Tage vor dem Vorbeiflug nur wenig mehr als einen Punkt am Himmel zeigen.
In den Folgemonaten nutzte das Team von New Horizons LORRI dazu, im unmittelbaren Umfeld des kleinen Himmelskörpers nach möglichen Gefahren für die Raumsonde Ausschau zu halten. Dazu zählen unter anderem Monde, Staubansammlungen oder kometenähnliche Aktivität, die durch aus dem Inneren von Ultima Thule austretende Gase verursacht werden könnte. Allerdings fanden sich keine Hinweise darauf. Tatsächlich ließe sich auch noch zwei Wochen vor dem Vorbeiflug die Bahn der Raumsonde durch ein kurzes Schubmanöver des Bordantriebs abändern: Derzeit strebt die NASA eine Minimaldistanz von 3500 Kilometern zu Ultima Thule an, sie kann aber auch auf 10 000 Kilometer heraufgesetzt werden. Des Weiteren dienen die beim Anflug gewonnenen Bilder des Kuipergürtelobjekts dazu, dessen Sonnenumlaufbahn noch präziser zu bestimmen, um so einen optimalen Vorbeiflug zu ermöglichen.
Wegen der großen Distanz von Ultima Thule zu uns benötigen die Funksignale der Sonde rund sechs Stunden bis zur Erde. Das Kuipergürtelobjekt ist 6,6 Milliarden Kilometer von uns entfernt; das entspricht dem 44-fachen Abstand Erde – Sonne, also 44 Astronomische Einheiten. Mit den ersten Bildern begann für New Horizons ab August 2018 die offizielle Annäherungsphase (englisch: approach phase) des Vorbeiflugs, die bis zum 24. Dezember 2018 andauert. Ihr schließt sich die Kernphase an, die bis zum 3. Januar 2019 läuft. Die wichtigsten Messdaten und die besten Bilder wird New Horizons in einem Zeitraum von nur 48 Stunden um die dichteste Annäherung herum aufnehmen. Da sich die Sonde relativ zu Ultima Thule mit rund 14 Kilometer pro Sekunde bewegt, ist sie nur wenige Stunden in dessen unmittelbarer Nähe.
Wegen der geringen Sendeleistung des Bordsenders ist die Übertragungsrate aus der Distanz von Ultima Thule mit rund einem Kilobit pro Sekunde viel zu gering, um die Daten live zur Erde zu funken. Zudem ist die Hauptantenne fest an der Raumsonde angebracht und kann der Erde nicht nachgeführt werden, wenn New Horizons gerade Bilder aufnimmt oder Messungen durchführt. Deshalb werden die Daten zunächst an Bord gespeichert und erst nach und nach zur Erde gefunkt. Das letzte Bit des Vorbeiflugs soll uns erst im Herbst 2020 erreichen.
Erste Bilder kurz nach der Passage
Allerdings bleiben wir nicht ganz im Dunkeln: Rund dreieinhalb Stunden nach der dichtesten Annäherung unterbricht New Horizons für eine kurze Zeit ihre Messungen, richtet sich zur Erde aus und überträgt während einer kurzen Sendung die ersten Daten. Sie geben Auskunft über den technischen Zustand der Sonde und über die Größe der an Bord gespeicherten Datenmenge. Und schon an den beiden Folgetagen erlauben weitere Datenübertragungen Einblicke in die besten Bilder von Ultima Thule. Sie sollen eine Auflösung von bis zu 34 Metern pro Bildpunkt erreichen.
Nach dem 3. Januar 2019 muss New Horizons seine Datenübermittlungen unterbrechen, da die Sonde vom 4. bis zum 7. Januar in Konjunktion zur Sonne stehen wird, aus Sicht der Erde also ganz nahe bei ihr. Dann sind keine verlässlichen Funkverbindungen möglich, da die natürlichen Radioemissionen der Sonne die Signale stören. Den überwiegenden Teil der Jahre 2019 und 2020 wird New Horizons damit verbringen, ihre hoffentlich reiche Datenausbeute zur Erde zu übermitteln. Zwischendurch gibt es immer wieder kurze Phasen, in denen sie mit ihrer Kamera LORRI andere weit entfernte Mitglieder des Kuipergürtels beobachtet, um mehr über diese fernen Körper herauszufinden. Die Mission von New Horizons ist derzeit bis Ende April 2021 finanziert. Sollte die Sonde dann aber noch in einem technisch guten Zustand sein, so könnte sich eine weitere Verlängerung anschließen – allerdings gibt es hierzu noch keine konkreten Planungen.
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