Direkt zum Inhalt

News: Reisen im Schlaf

Hydrothermalquellen stellen in ihrer Lebensvielfalt wahre Oasen inmitten der Tiefsee dar. Rätselhaft blieb dabei immer, wie die hier lebenden Organismen die großen Distanzen überwinden können, um neue Quellen zu besiedeln. Jetzt entdeckten Meeresbiologen, dass die Larven des Wurms Alvinella pompejana im kalten Wasser zwar überleben, aber ihre Entwicklung stoppen. In diesem Ruhezustand können sie dann durch Strömungen zu neuen untermeerischen Schloten verfrachtet werden und sich hier zu ausgewachsenen Tieren weiterentwickeln.
Die Entdeckung der Hydrothermalquellen auf dem Grunde der Ozeane in den siebziger Jahren war eine Sensation. Im Gegensatz zu den eher langweiligen, artenarmen Lebensgemeinschaften des Meeresbodens der Tiefsee lebt hier in mehreren tausend Metern Wassertiefe eine Tierwelt, die den Biologen bis dahin völlig unbekannt war. Existenzgrundlage ist der aus heißen Schloten austretende Schwefelwasserstoff, den Bakterien zur Energiegewinnung oxidieren. Und von diesen Bakterien, die teilweise als Symbionten in anderen Organismen leben, ernähren sich wiederum exotische Muscheln, Krebse und Würmer. Die Lebewelt der Hydrothermalquellen stellt damit ein von der Sonnenenergie unabhängiges Ökosystem dar.

Die untermeerischen Schlote entstehen und vergehen jedoch in relativ kurzer Zeit. Die Organismen müssen also Wege gefunden haben, neue Hydrothermalquellen zu besiedeln, wobei sie Distanzen von mehreren hundert Kilometern überwinden. Wie schaffen sie das?

Um diese Frage zu klären, hat sich Florence Pradillon von der Pariser Université Pierre et Marie Curie zusammen mit anderen Wissenschaftlern den Borstenwurm Alvinella pompejana angeschaut. Dieser Polychaet, der seinen Namen dem Tiefseetauchboot Alvin verdankt, gilt als typischer Bewohner der heißen Tiefseequellen. In einem weiten Temperaturbereich von 20 bis 80 Grad Celsius fühlt er sich wohl. Bei den sonst in der Tiefsee vorherrschenden Temperaturen von etwa zwei Grad Celsius kann er dagegen nicht existieren.

Die Wissenschaftler untersuchten nun die Larven von Alvinella bei unterschiedlichen Temperaturen. Zu ihrer Überraschung entdeckten sie, das die Wurmlarven die breite Temperaturtoleranz ihrer Elterntiere nicht teilen. Temperaturen über 20 Grad Celsius führten bereits nach einem Tag zum Absterben der Larven. Im kalten Wasser von zwei Grad Celsius können sie – im Gegensatz zu ihren Eltern – problemlos überleben.

Ein völlig anderes Bild zeigte sich bei der Larvalentwicklung: Bei Temperaturen zwischen 10 und 15 Grad Celsius durchliefen die Larven mehrere Furchungsstadien, bei zwei Grad kaltem Wasser tat sich dagegen nichts. Andererseits konnten die Wissenschaftler die Furchung dieser ruhenden Larven mit warmen Wasser wieder anregen.

Dieses unterschiedliche Temperaturverhalten während der Entwicklung nutzt Alvinella vermutlich, um neuen Lebensraum zu erobern. Die an den heißen Schloten lebenden Würmer geben ihre Embryos an das Wasser ab. Diese sinken zu Boden, erreichen kühlere Temperaturbereiche zwischen 10 und 15 Grad Celsius und können sich dort weiter entwickeln. Manche werden jedoch durch Meeresströmungen erfasst und im freien, kalten Wasser weiter transportiert. Hierbei stoppen die Larven ihre Entwicklung und überleben in einer Art Ruhezustand. Mit etwas Glück erreichen einige von ihnen schließlich eine neue Thermalquelle – die darauf wartet, von ihnen besiedelt zu werden.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.