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Trinkwasseraufbereitung: Revolution mit Hindernissen

Graphen soll Meerwasser schneller als je zuvor entsalzen. Doch statt billigem Trinkwasser produziert die Folie bisher vor allem unerfüllte Erwartungen.
Wasserentsalzungsanlage

Materialwissenschaftler lieben das Material, weil es so unglaublich stabil ist. Physiker lieben es, weil es so gut elektrisch leitet und seine optischen Eigenschaften beeindruckend sind. Jetzt lieben es auch noch die Durstigen: Graphen entsalzt nämlich auch Wasser. Theoretisch ist das schon länger bekannt – in den Berechnungen dazu erreichte Graphen immer Bestnoten als Wasserfilter. Nur praktische Tests dazu waren rar.

Das ändert sich. Bei weltweit 748 Millionen Menschen ohne sauberes Trinkwasser und einem stetig wachsendem globalem Wasserbedarf ist Trinkwasser längst eine wichtige Ressource – weswegen seine Gewinnung aus dem Meerwasser an Bedeutung gewinnt. So ließ sich der US-Konzern Lockheed Martin, eigentlich eher für Militärflugzeuge bekannt, "sein" Graphen als Wasserfilter inzwischen patentieren. Doch nicht nur die Amerikaner, auch die EU pumpt Geld in das vielseitige Material: Innerhalb der Flaggschiff-Initiative "Graphen" beschäftigt sich eine eigene Arbeitsgruppe mit den Membran-Eigenschaften der Kohlenstofffolie. Mit im Boot sitzt auch hier die Industrie: "Die Firmen interessieren sich stark für die potentiellen Anwendungen von Graphen. Deswegen arbeiten wir mit BASF und dem Nanomembranhersteller CNM Technologies zusammen. Dort können wir die Filtrationseigenschaften unserer Graphen-Nanomembranen in der industriellen Umgebung testen", erzählt Andrey Turchanin von der Friedrich-Schiller-Universität Jena, der Leiter des Verbunds.

So dünn wie ein Atom

Doch die neuesten Forschungsergebnisse zur Wasserentsalzung mittels Graphen kommen weder von der EU noch von Lockheed Martin – sie kommen vom Oak Ridge Laboratory im US-Bundesstaat Tennessee. Die dortige Forschergruppe um Shannon Mahurin konnte Graphen so herstellen und modifizieren, dass es als Membran eine annähernd hundertprozentige Trennung von Wasser und Salz ermöglicht. Dafür brauchte es zwar länger als berechnet, aber der Wassertransport ist immer noch eine Größenordnung schneller als der bisheriger Materialien. Möglich ist das, weil die Forscher nur eine einzige atomare Schicht nutzen, statt mehrere Graphen-Schichten aufeinander zu stapeln. Solche ultradünnen Membranen sollen den so genannten "ballistischen Transport" ermöglichen: Weil die Wassermoleküle beim Durchtritt durch die Membranlöcher nur einen kurzen Weg zurücklegen, stoßen sie kaum an die Membranwände – der Transport findet quasi ohne Widerstand und Streuung statt. Das macht ihn so schnell.

Die Anforderung an die Struktur des Graphens ist dadurch aber besonders hoch. So schieden die Forscher das Graphen zuerst auf einer Kupferfolie ab, von der sie es dann wieder abtrennten. Danach brachten sie winzige Löcher in die Folie ein – die müssen eine optimale Größe haben, weil sie sonst entweder den Wasserfluss behindern oder aber die Salzionen hindurchlassen. Ohne die Poren geht es gar nicht – Graphen ist selbst für Gase undurchlässig. Deswegen haben die Forscher die Folie einem Sauerstoffplasma ausgesetzt; reagieren die geladenen Sauerstoffionen mit dem Kohlenstoff, erzeugen sie so die winzigen Löcher.

Graphen mit Loch | Im Rastertunnelmikroskop ist selbst die Bienenwaben-förmige Struktur von Graphen noch erkennbar – und ein Loch in der Membran (rot eingekreist), durch welches Wassermoleküle hindurch passen.

Idealen Bedingungen sind in der Praxis leider aus

Durch ihre durchlöcherte Kohlenstofffolie ließen die Forscher nun Salzwasser fließen: Mal floss es einfach hindurch, mal bildete Graphen die Verbindung zwischen zwei Behältern mit Wasser unterschiedlicher Salzkonzentrationen. Bei allen Experimentieranordnung gab es ein nahezu perfektes Filterverhalten. Nur die Durchflussraten variierten im Bereich mehrerer Größenordnungen. "Das gibt uns Rätsel auf", sagt Ivan Vlassiouk, ein Wissenschaftler aus der Forschergruppe. "Wir vermuten derzeit, dass einige Löcher im Graphen von Salzionen 'verstopft' werden, weil wir dort eine höher konzentrierte Salzlösung genutzt haben." Dabei entsprach ihre Konzentration noch nicht einmal dem Gehalt, der typischerweise im Meerwasser herrscht: Mit bis zu einem Prozent Salzgehalt gleicht die Laborlösung eher dem des milderen Brackwassers als dem des 3,5-prozentigen Meerwassers.

Experimente mit "echtem" Meerwasser statt einer Labormischung nennt Vlassiouk den nächsten Schritt – und zeigt, wie weit Graphen von der industriellen Anwendung eigentlich noch weg ist. Unbehandeltes Meerwasser enthält neben Salzen auch viele organische Verbindungen und Mikroorganismen. Besonders die Mikroorganismen sind in der Wasseraufbereitung ungern gesehen, da sie sich auf den Membranen ansammeln und deren Poren verstopfen. Von ultradünnem Graphen erwartet man zwar, dass dieses "Biofouling" nicht stark ausgeprägt ist, denn Organismen werden es schwer haben, sich auf der glatten Oberfläche festzusetzen; aber der Nachweis dafür fehlt. Auch der Herstellungsprozess für das "durchlöcherte" Graphen ist alles andere als tauglich für die Industrie: Schließlich verwendeten die Forscher des Oak Ridge Laboratorys für ihre Tests lediglich Schnipsel von fünf Mikrometern Durchmesser.

Und wie entsalzt du dein Wasser?

Wasser lässt sich auf verschiedene Arten vom Salz befreien: Man kann es mehrstufig verdampfen und kondensieren lassen, es durch ein Temperaturgefälle zum gasförmigen Übertritt durch eine Membran anregen – oder man kann hohen Druck anlegen, um es im flüssigen Zustand vom Salz zu trennen. Letzteres wird als Umkehrosmose bezeichnet. Sie ist der potentielle Einsatzort von Graphen. Das Meerwasser wird dabei durch die Membran gepresst, die nur das Salz zurückhält. Der Druck dafür muss bei rund 55 bis 65 Bar liegen, um den so genannten osmotischen Druck des Wassers zu überwinden. Dieser ist allein vom Salzgehalt abhängig. Je höher die Konzentration, umso größer muss der Druck sein.

In der Realität prallt diese thermodynamische Betrachtung der Osmose mit aufmerksamkeitsheischenden Marketingsprüchen von Lockheed Martin zusammen: Bis zu 100-mal effizienter und energiesparender könnten Entsalzungsanlagen durch Graphen werden, so ein Ingenieur der Firma. Dieser Behauptung gegenüber steht ein "Science"-Artikel von Menachem Elimelech und William Phillip, Wissenschaftler der Yale University und der Notre Dame University. Sie schauten sich den Energieverbrauch einer Entsalzungsanlage genauer an: Fünf Wattstunden benötigt eine typische Anlage, um einen Liter Wasser aufzubereiten – weniger als ein handelsüblicher Wasserkocher braucht, um die gleiche Menge Wasser zu erhitzen. Moderne Entsalzungsanlagen mit Energierückgewinnungssystemen können den Verbrauch sogar auf bis zu zwei Wattstunden reduzieren. Rund die Hälfte dieser Energie sei thermodynamisch notwendig, um die Umkehrosmose überhaupt stattfinden zu lassen – man braucht sie allein dafür, um genug Druck aufzubauen. An diesem Druck kann auch Graphen nichts ändern: Ab einem bestimmten Punkt sind nicht die Kinetik – und damit die Wasserflussrate – der limitierende Faktor, sondern schlichtweg die thermodynamischen Gesetze. Eine typische Anlage brauche in der Praxis demnach schon 1,56 Wattstunden pro Liter, um überhaupt die Umkehrosmose zu stemmen.

Werbung vs. Wissenschaft

Gute Anlagen arbeiten heute schon nahe an diesem Limit – auch ohne Graphen. Hohe Flussraten durch Membranen empfindet Elimelech daher als "vernachlässigbaren Effekt für den Energieverbrauch". Natürlich könne man Kosten sparen, indem man die Fläche der Membranen kleiner mache – und genau den gleichen Durchfluss erzielt – aber dann müsste man alle bestehenden Module auf die kleineren Membranen anpassen. Ob sich das lohnt? Die Autoren sehen bei den Membranen einen anderen wichtigen Optimierungsbedarf: bei der Resistenz gegenüber Mikroorganismen. Sie ist der Grund, das Membranen an Leistung verlieren und häufig ausgetauscht werden müssen. Hier könnte die Verbindung von Graphen mit Sauerstoff, das Graphenoxid, als Schutz fungieren, wenn es auf der eigentlichen Membran aufgebracht ist. Wie sich eine einzelne Graphenschicht verhält, ist nicht nur bisher unbekannt, sondern ihre höhere Durchflussrate könnte das Risiko des Biofoulings noch erhöhen, weil diese in kürzerer Zeit mehr Material einbringt.

Statt die Umkehrosmose durch Graphen zu optimieren, sehen die Autoren Elimelech und Phillip in den Schritten außerhalb der Umkehrosmose das größere Energie-Einsparungspotential der Entsalzungsanlagen. Das heißt, in allen vor- und nachgeschalteten Prozessen: das Pumpen des Meerwassers in die Anlage, Vorfiltrationen, Desinfektionen und ähnliches. Lockheed Martin schätzt in seinem Prospekt zur Graphenmembran die Einsparungen inzwischen offenbar realistischer ein: Zehn bis 20 Prozent sind dort angegeben. Selbst das wäre natürlich immer noch enorm. Typische Großanlagen bereiten jeden Tag etwa 20 Millionen Liter Wasser auf. Die Einsparungen lägen schnell im Megawattstunden-Bereich – so viel, wie mehrere deutsche Haushalte im ganzen Jahr an Strom verbrauchen.

"Natürlich stecken wir mit Graphen noch in der Grundlagenforschung", gibt Turchanin von der EU-Flaggschiff-Initiative bereitwillig zu. "Aber ich bin sehr optimistisch für die Zukunft. Ultradünne Membranen, bei denen der Transport praktisch keine Zeit mehr kostet – das ist etwas ganz Neues. Etwas, das es vorher nicht gab." Doch im Moment ist die Wahrheit, das Graphen dort steht, wo es auch in allen anderen Anwendungen feststeckt: Irgendwo zwischen beflügelter Theorie und Grundlagenforschung. Wundermaterialien brauchen eben ihre Zeit.

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