Molekulare Interaktionen: Sich einfach lösen
Chemie kann so schön einfach sein: H+ plus H20 gibt H3O+. Doch Moment, sagte nicht ein kluger Naturwissenschaftler, eine Theorie sei am besten so einfach wie möglich - aber nicht einfacher? Offenbar gilt das sogar für das Wirken eines einsamen Protons in einem Meer von Wasser.
Eine Säure? Eigentlich ein chemisches Allerweltsding, über das wirklich jeder etwas weiß, bekannt dem Krimileser (wie entledige ich mich einer überzähligen Leiche?), dem Koch (Essig, unverzichtbar bei allerlei Salatanmache) und dem Chemikernachwuchs nach ein Paar Mittelstufen-Stunden. Letzterer wird schon früh in Details eingeweiht: Verantwortlich für das Saure einer Säure sind Protonen – je mehr davon frei in einer wässrigen Lösung schwimmen, desto stärker wird diese eben zur Säure. Das kann dann durchaus noch mit beliebig komplizierten Schlagwörtern angereichert werden wie "Protonenaktivitätsexponent" oder "negativ dekadischer Logarithmus der Protonenaktivität" – aber letztlich war's das dann auch schon. Ganz einfach: Ein Proton, also ein Wasserstoff, dem sein eines Elektron verloren ging, gelöst in Wasser, Punkt.
Wissensdurstig das Proton nur einen klitzekleinen Schritt weiter ins Wasser zu begleiten, ist allerdings seit Jahrzehnten für jeden echten Chemietheoretiker aufreibend und spannend. Was zwischenmolekular nämlich genau passiert bei der Liaison von Proton und Wasser, ist von niemandem bislang genau verstanden und beobachtet worden.
Sicher sind dabei bis dato zwei Dinge: Zum einen, dass das positiv geladene Proton, wie alle Teilchen mit Ladung, von Wassermolekülen umhüllt, also hydratisiert wird. Das ist eine simple Folge gegenseitiger Anziehung: Die negativ teilgeladenen Sauerstoffatome im dipolischen Wassermolekül ziehen die positiv geladenen Protonen an. Konträr dagegen die elektromagnetischen Vorlieben der eher positiven Wasserstoffatome der H2O-moleküle, die sich abweisend dem Proton gegenüber zeigen und stattdessen verbindende so genannte Wasserstoffbrücken mit Sauerstoffatomen anderen Wassermoleküle bilden.
Sicher ist zum anderen auch, dass das, was in älteren Mittelstufen-Schulbüchern zum Thema Proton im Wasser steht, etwas zu stark vereinfacht ist – also falsch. Das zunächst postulierte anschauliche "Hydronium-Ion" H3O+, entstanden aus H20 durch zwanglose Anlagerung des einen Protons an ein Wassermolekül, existiert wohl nicht eigenständig. Der Wirklichkeit schon näher kommt eine Art Tauziehen um das Proton: Alle negativ teilgeladenen Sauerstoffatome der näheren Wasserumgebung zupfen an dem positiven Proton in ihrer Mitte.
Jeffrey Headrick von der Yale-Universität und Kollegen der Universitäten von Georgia und Pittsburgh wollten den Theorienstreit beilegen und fuhren schweres wissenschaftliches Geschütz auf. Wie schon Zundel vor Jahren, maßen sie Protonen und Wasser mit Infrarot-Spektroskopie, allerdings viel genauer und kontrollierter. Moderne technische Kniffe ermöglichten ihnen, das Spektrum von genau einem einzelnen Proton im Komplex mit einer definierten Zahl einzelner (bis zu elf) Wassermoleküle durchzumessen. Resultat: Ein Proton interagiert recht unterschiedlich, je nachdem, ob es in einem Cluster von zwei, drei, vier oder bis zu sieben weiteren Wassermolekülen umgeben ist.
Erkennbar wird das bei der gewählten Methode am Spektrum der vom jeweiligen Wasser-Protonen-Cluster absorbierten Wellenlängen im Infrarot. Sie verraten zum Beispiel, wie sich ein Proton in Gegenwart von sechs Wassermolekülen verhält: Genau wie das von Zundel vorhergesagte Kation H5O2+ mit vier symmetrisch assoziierten Wassermolekülen. Ganz anders aber, wenn nur vier H2O dem Proton Gesellschaft leisten. In diesem Fall beweist das Absorptionsspektrum, dass sich tatsächlich ein Hydronium-Ion à la Eigen bildet, welches von drei Wassermolekülen umgeben und stabilisiert wird – die positive Ladung verteilt sich dabei recht gut auf alle Beteiligten.
Ergebnis also: Eigen und Zundel haben irgendwie beide Recht gehabt mit ihren Theorien. Unter natürlichen Bedingungen – also in Wasser auch außerhalb der Laborumgebung – dürfte ein Proton ständig von einer unterschiedlichen Anzahl der herumflitzenden Moleküle umgeben sein, und je nach Nachbarschaft flugs zwischen mehr oder weniger Eigen- oder Zundel-ähnlichen Zuständen hin und her pendeln. Dabei, zeigten die Forscher, dürften eine Reihe von verschiedenen Zwischenstufen auftreten. Diese alle gehen mit unterschiedlichen Absorptionsspektren einher und waren im Experiment auch tatsächlich im Kleinen nachzuvollziehen: Sind beispielsweise drei Wassermoleküle und ein Proton in einem räumlichen Cluster – sich also unter natürlichen Bedingungen in einer zeitlich begrenzten Konstellation einmal "nahe" – dann rücken die zwei Wassermoleküle einem zentralen Hydronium-Ion mit weniger gut verteilter (also stärkerer positiver Teilladung) für den Augenblick etwas aneinander – sichtbar an einer charakteristischen Verschiebung bestimmter Spektrenpeaks. Fehlt noch ein Wassermolekül mehr in der zeitweiligen Umgebung, entsteht flugs eine Variante des Zundel-Ions, allerdings dann ohne flankierende Begleitung wie dem Konstrukt aus sechs H2O und dem Proton.
Theorie und Praxis lassen sich damit nun besser unter einen Hut bringen. Wirft man alle von den Wissenschaftlern gemessenen Absorptionspektren – von dem kleinen Cluster mit zwei Wassermolekülen plus Proton bis zu dem großen mit gleich elf H20 um das Proton zusammen, dann überlagern sich die Spektren und man erhält etwa das Bild, welches sich auch beim Messen von leicht saurem Wasser einstellt: Ein Gewimmel von Absorptionen, aus denen sowohl die Charakteristika von Zundel- als auch von Eigen-Kationen herauszulesen sind. Im Wasser-Protonen-Mix einer Säure sind eben beide Formen und verschieden Übergänge möglich, die ständig ineinander übergehen. "Pánta rhei", sagen kluge Naturforscher seit rund 2500 Jahren zu derartigem, "alles fließt".
Wissensdurstig das Proton nur einen klitzekleinen Schritt weiter ins Wasser zu begleiten, ist allerdings seit Jahrzehnten für jeden echten Chemietheoretiker aufreibend und spannend. Was zwischenmolekular nämlich genau passiert bei der Liaison von Proton und Wasser, ist von niemandem bislang genau verstanden und beobachtet worden.
Sicher sind dabei bis dato zwei Dinge: Zum einen, dass das positiv geladene Proton, wie alle Teilchen mit Ladung, von Wassermolekülen umhüllt, also hydratisiert wird. Das ist eine simple Folge gegenseitiger Anziehung: Die negativ teilgeladenen Sauerstoffatome im dipolischen Wassermolekül ziehen die positiv geladenen Protonen an. Konträr dagegen die elektromagnetischen Vorlieben der eher positiven Wasserstoffatome der H2O-moleküle, die sich abweisend dem Proton gegenüber zeigen und stattdessen verbindende so genannte Wasserstoffbrücken mit Sauerstoffatomen anderen Wassermoleküle bilden.
Sicher ist zum anderen auch, dass das, was in älteren Mittelstufen-Schulbüchern zum Thema Proton im Wasser steht, etwas zu stark vereinfacht ist – also falsch. Das zunächst postulierte anschauliche "Hydronium-Ion" H3O+, entstanden aus H20 durch zwanglose Anlagerung des einen Protons an ein Wassermolekül, existiert wohl nicht eigenständig. Der Wirklichkeit schon näher kommt eine Art Tauziehen um das Proton: Alle negativ teilgeladenen Sauerstoffatome der näheren Wasserumgebung zupfen an dem positiven Proton in ihrer Mitte.
Wer dabei gewinnt, und wie ein dynamisch aneinander herumzerrendes Konstrukt aus Wassermolekülen und Proton wirklich aussieht, daran scheiden sich die Geister. Zwei Theorien dominieren den Chemiker-Meinungsmarkt bei diesem Thema: Manfred Eigen vertritt die Auffassung, das eigentlich fragile Hydronium-Ion sei über Wasserstoffbrücken mit genau drei umliegenden Wassermolekülen zum so genannten "Eigen-Kation" H9O4+ stabilisiert. Georg Zundel meint dagegen, das Proton selbst bilde mit genau zwei Wassermolekülen ein "Zundel-Kation" H5O2+. Beide Theorien sind durch verschiedene Experimenten schon glaubhaft gestützt worden: das Eigen-Kation mit Hilfe thermodynamischer, Zundels Favorit durch infrarotspektroskopische Messungen. Aber wie können gleich beide Theorien stimmen?
Jeffrey Headrick von der Yale-Universität und Kollegen der Universitäten von Georgia und Pittsburgh wollten den Theorienstreit beilegen und fuhren schweres wissenschaftliches Geschütz auf. Wie schon Zundel vor Jahren, maßen sie Protonen und Wasser mit Infrarot-Spektroskopie, allerdings viel genauer und kontrollierter. Moderne technische Kniffe ermöglichten ihnen, das Spektrum von genau einem einzelnen Proton im Komplex mit einer definierten Zahl einzelner (bis zu elf) Wassermoleküle durchzumessen. Resultat: Ein Proton interagiert recht unterschiedlich, je nachdem, ob es in einem Cluster von zwei, drei, vier oder bis zu sieben weiteren Wassermolekülen umgeben ist.
Erkennbar wird das bei der gewählten Methode am Spektrum der vom jeweiligen Wasser-Protonen-Cluster absorbierten Wellenlängen im Infrarot. Sie verraten zum Beispiel, wie sich ein Proton in Gegenwart von sechs Wassermolekülen verhält: Genau wie das von Zundel vorhergesagte Kation H5O2+ mit vier symmetrisch assoziierten Wassermolekülen. Ganz anders aber, wenn nur vier H2O dem Proton Gesellschaft leisten. In diesem Fall beweist das Absorptionsspektrum, dass sich tatsächlich ein Hydronium-Ion à la Eigen bildet, welches von drei Wassermolekülen umgeben und stabilisiert wird – die positive Ladung verteilt sich dabei recht gut auf alle Beteiligten.
Ergebnis also: Eigen und Zundel haben irgendwie beide Recht gehabt mit ihren Theorien. Unter natürlichen Bedingungen – also in Wasser auch außerhalb der Laborumgebung – dürfte ein Proton ständig von einer unterschiedlichen Anzahl der herumflitzenden Moleküle umgeben sein, und je nach Nachbarschaft flugs zwischen mehr oder weniger Eigen- oder Zundel-ähnlichen Zuständen hin und her pendeln. Dabei, zeigten die Forscher, dürften eine Reihe von verschiedenen Zwischenstufen auftreten. Diese alle gehen mit unterschiedlichen Absorptionsspektren einher und waren im Experiment auch tatsächlich im Kleinen nachzuvollziehen: Sind beispielsweise drei Wassermoleküle und ein Proton in einem räumlichen Cluster – sich also unter natürlichen Bedingungen in einer zeitlich begrenzten Konstellation einmal "nahe" – dann rücken die zwei Wassermoleküle einem zentralen Hydronium-Ion mit weniger gut verteilter (also stärkerer positiver Teilladung) für den Augenblick etwas aneinander – sichtbar an einer charakteristischen Verschiebung bestimmter Spektrenpeaks. Fehlt noch ein Wassermolekül mehr in der zeitweiligen Umgebung, entsteht flugs eine Variante des Zundel-Ions, allerdings dann ohne flankierende Begleitung wie dem Konstrukt aus sechs H2O und dem Proton.
Theorie und Praxis lassen sich damit nun besser unter einen Hut bringen. Wirft man alle von den Wissenschaftlern gemessenen Absorptionspektren – von dem kleinen Cluster mit zwei Wassermolekülen plus Proton bis zu dem großen mit gleich elf H20 um das Proton zusammen, dann überlagern sich die Spektren und man erhält etwa das Bild, welches sich auch beim Messen von leicht saurem Wasser einstellt: Ein Gewimmel von Absorptionen, aus denen sowohl die Charakteristika von Zundel- als auch von Eigen-Kationen herauszulesen sind. Im Wasser-Protonen-Mix einer Säure sind eben beide Formen und verschieden Übergänge möglich, die ständig ineinander übergehen. "Pánta rhei", sagen kluge Naturforscher seit rund 2500 Jahren zu derartigem, "alles fließt".
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