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News: Stellare Bleifabrik

Für die Entstehung von Elementen jenseits des Eisens muss die Natur schon ziemlich schwere Geschütze auffahren: Zum Beispiel große Sterne, die ihr Leben in einer Supernovaexplosion auslöschen. Aber auch kleinere Sterne, wie unsere Sonne, können schwere Elemente produzieren, und zwar, bevor sie am Ende ihres Lebens die äußeren Hüllen ins All schleudern. Jetzt wurden solche Sterne, in denen einst große Mengen von Blei entstanden, zum ersten Mal nachgewiesen.
Kurz nach dem Urknall gab es nur Wasserstoff und Helium. Erst nachdem aus diesen Gaswolken die ersten Sterne entstanden waren, kam es in ihnen auch zur Bildung schwererer Elemente – genau wie in unserer Sonne, in der Wasserstoff zu Helium fusioniert, und später dann Helium zu Kohlenstoff und so weiter. Bei der Fusion verschmelzen positiv geladene Atomkerne und werden so zu massereicheren Elementen. Doch die immer größeren Kerne haben immer höhere Ladungen und stoßen sich also zunehmend stärker ab. Ab einer bestimmten Masse ist diese Fusion daher unmöglich, und diese Grenze liegt im Bereich der Masse des Eisens. Alle schwereren Elemente können deshalb nicht das Produkt von Kernfusionen sein.

Sie entstehen vielmehr infolge des Zuwachses von Neutronen in den Atomkernen. Diese ungeladenen Teilchen werden nicht abgestoßen und können somit leicht in die Kerne eindringen. Dieser Neutronen-Einfangprozess kann auf zweierlei Weise erfolgen: im Zuge einer Supernovaexplosion (r-Prozess; von engl. rapid: schnell), aber auch in vergleichsweise kleinen Sternen, nachdem in ihnen das Heliumbrennen einsetzte (s-Prozess; von engl. slow: langsam). Die derzeitigen Modelle gehen davon aus, dass derzeit rund die Hälfte aller kosmischen Elemente schwerer als Eisen im Zuge des s-Prozesses entstehen.

Der s-Prozess setzt bei Sternen ein, die 0,8- bis 8-mal die Masse der Sonne haben, kurz bevor sie ihre äußere Hülle ins All schleudern und auf diese Weise die prächtigen planetarischen Nebel bilden. Am Ende bleibt ein weißer Zwerg – ein Schicksal, das in rund sieben Milliarden Jahren auch unsere Sonne ereilen wird. Diese Sterne entwickeln sich dann vermutlich zu den so genannten AGB-Sternen (Asymptotic Giant Branch), in denen Wasserstoff und Helium in zwei konzentrischen Schalen verbrennen.

Seit vielen Jahren versuchen Forscher, mehr über den s-Prozess im Inneren dieser AGB-Sterne zu erfahren. Besonders intensiv müsste er in solchen Sternen ablaufen, die relativ geringe Metallgehalte aufweisen. Denn je weniger Eisenkerne vorhanden sind, umso größer ist die Zahl der pro Eisenkern zur Verfügung stehenden Neutronen. In diesen metallarmen Sternen können alle Elemente bis zum Blei und Wismut entstehen. Überzählige Neutronen führen dann nur noch zur Bildung instabiler Elemente, die wenig später wieder zum Blei zerfallen. Im Vergleich zu Sternen mit einem normalen Metallgehalt, müsste in ihnen also ein besonders hohes Blei-Eisen-Verhältnis zu messen sein; Blei müsste gegenüber Eisen angereichert sein.

Ziel ist demnach, metallarme Sterne mit hohen Bleigehalten zu finden. Das große Problem der Forscher ist jedoch, dass es in unserer näheren Umgebung kaum geeignete AGB-Sterne gibt. Zudem sind die Spektrallinien des Bleis notorisch schwach und verschwinden leicht vor dem Hintergrund anderer Elemente.

Und dennoch haben Sophie Van Eck von der Université Libre de Bruxelles und ihre Kollegen nun zum ersten Mal solche bleireichen Sterne entdeckt. Drei Stück haben sie in rund 1600 Lichtjahren Entfernung ausfindig gemacht, und in allen ist der Bleigehalt sehr ähnlich. Direkt gemessen haben die Forscher die Spektren jedoch nicht, denn aus den einstigen AGB-Sternen sind längste Weiße Zwerge geworden.

Das Besondere an HD 187861, HD 196944 und HD 224959 ist vielmehr, dass sie mit jenen Weißen Zwergen Doppelsysteme bilden, und da jeder dieser Zwerge mal ein AGB-Stern war, liefen in ihm einst die s-Prozesse ab. Und als der Stern seine äußere Hülle ins All schleuderte und einen planetarischen Nebel bildete, geriet ein Teil der schweren Elemente in die Atmosphäre des Kompagnons, eines so genannten CH-Sterns (nach dem vorherrschenden CH-Molekül). Diese Sterne sind nicht sehr hell und noch lange nicht so weit, dass sie selbst schwere Elemente erzeugen könnten. Doch das Coude Echelle Spectrometer des European Space Observatory im spanischen La Silla hat in allen drei Fällen Spektren mit klaren und kräftigen Bleilinien geliefert – Zeugen vom Ende der Weißen Zwerge.

Im Folgenden lernten die Forscher eine Menge über den s-Prozess. Demnach fusionieren Kohlenstoff-13-Kerne mit Helium-4-Kernen zu Sauerstoff-16, wobei ein Neutron freigesetzt wird. Dieses überschüssige Neutron ist schließlich der Grundstock zur Bildung von Elementen, die schwerer sind als Eisen. Die Urquelle aller Elemente jenseits des Eisens ist also das Kohlenstoff-13-Isotop, das seinerseits durch die Kollision von Kohlenstoff-12 mit Wasserstoffkernen entsteht. Das Problem ist allerdings, wo die Kohlenstoff-12- und Wasserstoff-Isotope herkommen sollen, denn vor allem der Wasserstoff müsste längst durch Fusion zu anderen Elementen verbraucht sein. Es könnte daher sein, dass es innerhalb des AGB-Sterns zu komplexen Umwälzungen zwischen äußeren und inneren Schichten kommt; aber was dort genau geschieht, kann niemand so recht sagen.

Nur eines ist sicher, jeder dieser CH-Sterne zeugt davon, dass in jedem ihrer Partner, den Weißen Zwergen, einst 7,4·1022 Kilogramm Blei entstanden, was immerhin etwa der Masse des Mondes entspricht. Einen Teil davon schleuderten die Sterne schließlich ins All, und wer weiß, vielleicht steckt ja ein bisschen davon nun in unseren Autobatterien.

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