Stellarphysik: Sternwinde und Exoplaneten
Bei Suchmissionen von Weltraumteleskopen wie Kepler und TESS wurde eine beträchtliche Anzahl von Exoplaneten entdeckt, die sehr nahe um ihre kühlen Wirtssterne kreisen. Diese Nähe – bis zu hundertmal kleiner als der Abstand zwischen Erde und Sonne – beeinflusst das Weltraumwetter in der Umgebung. Das führt zu höheren Temperaturen auf den Planeten, was wiederum Auswirkungen auf ihr Klima hat. Die große Nähe könnte auch dazu führen, dass die Planeten mit der Zeit einen Teil ihrer Atmosphäre verlieren – ein Phänomen, das auch als atmosphärisches Entweichen bezeichnet wird. Daher ist es vorteilhaft zu verstehen, welche Faktoren Sternwinde beeinflussen und bestimmen, wie stark sie sind.
In diesem Zusammenhang hat ein Forscherteam, bestehend aus Judy Chebly, Julián D. Alvarado-Gómez und Katja Poppenhäger vom Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP) in Zusammenarbeit mit Cecilia Garraffo vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics in Cambridge, eine neuartige Methode eingesetzt. Diese Studie ist die erste umfassende Analyse der Eigenschaften von stellaren Winden im Zusammenhang mit verschiedenen Typen von kühlen Sternen. Doch was versteht man eigentlich unter kühlen Sternen?
Kühle Sterne
Unsere Sonne gehört zur Gruppe von Sternen im Milchstraßensystem, die als kühle Sterne bezeichnet werden. Ihr gehören die meisten Sterne unserer Galaxis an. Sie sind nicht im alltäglichen Sinne kalt; kühl ist vielmehr als relativer Vergleich innerhalb der Bandbreite der Sterntemperaturen zu verstehen. Ihre Oberflächentemperaturen reichen typischerweise von etwa 2500 bis 6500 Grad Celsius, und sie werden in vier Klassen eingeteilt, die den Spektraltypen F, G, K und M entsprechen. Mit einer Temperatur von etwa 5500 Grad Celsius liegt die Sonne in der Mitte dieses Temperaturspektrums und gehört zur Gruppe G. Sterne, die leuchtkräftiger und größer als die Sonne sind, fallen in die Kategorie F, während K-Sterne etwas kleiner und kühler als die Sonne sind. Die kleinsten und leuchtschwächsten Sterne sind die M-Sterne, die auf Grund der Farbe ihres Lichtspektrums auch Rote Zwerge genannt werden. Ihre Temperaturen sind relativ niedrig im Vergleich zu den Temperaturen von heißen Sternen, die Oberflächentemperaturen bis zu einigen zehntausend Grad Celsius haben und als O- und B-Sterne bezeichnet werden. Jede Spektralklasse kann für eine genauere Klassifikation in Untergruppen von 0 bis 9 unterteilt werden. Für unsere Sonne ergibt sich so der Spektraltyp G2.
Daten und Simulationen
Beobachtungen zeigen, dass kühle Sterne erhebliche Mengen an hochenergetischen Röntgenstrahlen in ihren Koronen erzeugen, teilweise mehr als unsere Sonne. Das deutet darauf hin, dass diese Sterne über genügend Energie verfügen, Winde durch ähnliche Mechanismen zu erzeugen wie unsere Sonne (siehe »Sonnenwinde und Planeten«). Wir haben zwar wertvolle Erkenntnisse über den Sonnenwind gewonnen – unter anderem dank Missionen wie dem Solar Orbiter –, dennoch ist unser Wissen über vergleichbare Phänomene bei anderen, kühleren Sternen noch relativ begrenzt.
Sonnenwinde und Planeten
Die innerste Schicht der Sonnenatmosphäre wird als Photosphäre bezeichnet. Sie ist die sichtbare Oberfläche der Sonne, die wir mit bloßem Auge sehen können. Der äußerste Teil, die Korona, ist bei einer totalen Sonnenfinsternis als glühender weißer, ringförmiger Kranz sichtbar, der die dunkle Scheibe des Mondes umgibt. Während die Photosphäre eine Temperatur von etwa 5500 Grad Celsius hat, steigen die Temperaturen in der Korona auf eine bis drei Millionen Grad Celsius – ein Paradoxon, das Astrophysikerinnen und Astrophysiker lange Zeit zu entschlüsseln versuchten (siehe SuW 1/2024, S. 19).
Die Wärmestrahlung der Korona wird auf die Teilchen in der Umgebung übertragen, die thermische Energie gewinnen und sich von der Schwerkraft der Sonne lösen können. Die so freigesetzten Teilchen werden als Sonnenwind bezeichnet. Auf ihrer Reise durch den interplanetaren Raum trifft der Sonnenwind unweigerlich auf die Planeten unseres Sonnensystems, einschließlich unserer Heimat, der Erde. Das wunderschöne Schauspiel der Auroren – polare Nord- und Südlichter – wird durch die Wechselwirkung der geladenen Teilchen des Sonnenwinds mit dem Erdmagnetfeld erzeugt. Damit beschert uns dieser Wind zwar schöne Farben, aber er ist auch schädlich: Er könnte eine stabile Atmosphäre zerstören, was nach Ansicht der Wissenschaftler auf dem Mars geschehen ist. Hier auf der Erde sind wir in der glücklichen Lage, durch das Erdmagnetfeld geschützt zu werden. Dieser magnetische Schild lenkt die Sonnenwinde ab und erhält damit unsere Atmosphäre.
Es ist schwierig, stellare Winde direkt zu beobachten. Stattdessen versuchen Astronominnen und Astronomen, sie indirekt nachzuweisen. Dazu beobachten sie die Auswirkungen der Winde auf das spärliche vorhandene Gas und den Staub im interstellaren Raum zwischen den Sternensystemen – das interstellare Medium (ISM). Wenn die Winde mit dem interstellaren Gas zusammenstoßen, bilden sie eine Wasserstoffwand, die beobachtbare Absorptionseffekte erzeugt. Diese Methode wird als Lyman-Alpha-Absorptionstechnik bezeichnet. Sie ist jedoch stark abhängig von der Position des Sterns in Bezug auf uns und den Eigenschaften des ihn umgebenden ISM. Daher bietet das Verfahren nur einen Einblick in eine begrenzte Anzahl an Sternen. Aus diesem Grund werden zusätzlich Computersimulationen und Modelle eingesetzt, um die verschiedenen Eigenschaften der Sternwinde vorherzusagen, ohne dass Astronomen sie direkt beobachten müssen.
Um dieses Ziel zu erreichen, verwendete das Team modernste numerische Simulationen, die in den Supercomputing-Einrichtungen des AIP in Potsdam und des Leibniz-Rechenzentrums (LRZ) in Garching durchgeführt wurden. Für die Berechnungen wurde das Space Weather Modeling Framework (SWMF) verwendet – ein fortschrittliches Programm, in dem mehrere Modelle zusammengeführt werden, die verschiedene Teilaspekte des Weltraumwetters simulieren. Dazu zählen beispielsweise magnetohydrodynamische Modelle der Magnetosphäre und der Sonnenkorona oder dreidimensionale Berechnungen der planetaren Ionosphäre. Das SWMF wurde von der University of Michigan entwickelt und kann das Weltraumwetter auf der Erde zuverlässig vorhersagen.
Magnetfelder entfernter Sterne
In der Studie konzentrierte man sich auf Hauptreihensterne, die einen effektiven Temperaturbereich von 3000 bis 6300 Grad Celsius abdecken und eine Masse von weniger als dem 1,34-Fachen unserer Sonne haben. Die Forschenden wählten 21 Sterne aus, für welche die Magnetfelder auf ihrer Oberfläche aus Beobachtungen rekonstruiert werden konnten (siehe »Stellare Magnetfelder«). Das wird durch eine Methode erreicht, die als Zeeman-Doppler Imaging (ZDI) bekannt ist. Dabei werden Spektrallinien beobachtet, deren Form sich unter dem Einfluss eines Magnetfelds ändert (Zeeman-Effekt). Die Karte des Feldes auf der Sternoberfläche wird gewonnen, indem mehrere Schnappschüsse aufgenommen werden, während der Stern rotiert. Das ist vergleichbar mit der Aufnahme von Bildern eines Eiskunstläufers bei einer Drehung und dem anschließenden Verwenden dieser Bilder zum Erstellen eines Films. Die Stichprobe umfasste Sterne mit radialen Magnetfeldstärken zwischen 5 und 1500 Gauß. Diese Werte sind größer als die der Sonne (∼2 Gauß; 1 Gauß = 10–4 Tesla) und der Erde (∼0,3 Gauß). Die Spektraltypen der untersuchten Sterne reichen von F7 bis M6, und sie haben Rotationsperioden zwischen 0,71 und 42,2 Tagen. Die unserer Sonne beträgt ungefähr 27 Tage.
Sternwinde und habitable Zone
Die Forschungsergebnisse brachten einen bemerkenswerten Zusammenhang ans Licht: Sterne mit Magnetfeldern, die stärker sind als das unserer Sonne, weisen schnellere Sternwinde auf. In einigen Fällen übertrafen die Windgeschwindigkeiten das Fünffache der Geschwindigkeit des durchschnittlichen Sonnenwinds, die etwa 450 Kilometer pro Sekunde beträgt. Die Untersuchung lieferte auch wertvolle Einblicke in die Stärke der Sternwinde in den bewohnbaren Zonen. Das sind Bereiche um den Zentralstern, in denen Gesteinsplaneten flüssiges Wasser auf ihrer Oberfläche haben könnten, vorausgesetzt, sie haben eine Atmosphäre mit ähnlichem Oberflächendruck wie auf der Erde. Die Studie ergab hier gemäßigte Bedingungen – ähnlich denen auf der Erde in ihrem Abstand zur Sonne – bei Sternen vom Spektraltyp F und G. Zunehmend rauere Winde gibt es hingegen in den habitablen Zonen um die kleineren und kühleren Sterne des K- und M-Typs, die auf Grund ihrer häufig schnellen Rotation stärkere Magnetfelder haben. Das würde es Planeten erschweren, eine Atmosphäre zu halten, und beeinflusst damit entscheidend die potenzielle Bewohnbarkeit (siehe »Alfvén-Oberflächen«).
Das Team untersuchte, wie grundlegende stellare Parameter wie Schwerkraft, Magnetfeldstärke und Rotationsperiode die Schlüsseleigenschaften der Sternwinde, einschließlich ihrer Geschwindigkeit und Dichte, beeinflussen. Die Ergebnisse geben Einblick in die Windeigenschaften für Sterne verschiedener Spektralklassen und zeigen, dass eine frühere Annahme nicht haltbar ist: Sterne unterschiedlicher Spektralklassen haben nicht die gleichen, sondern sehr unterschiedliche Sternwinde und verlieren dadurch auch unterschiedliche Mengen an Masse. Darüber hinaus erwies sich das Betrachten der Alfvén-Oberfläche als entscheidend, weil sie bestimmt, welche magnetischen Wechselwirkungen es zwischen einem Stern und seinen Planeten geben kann. Falls das Magnetfeld eines Planeten tatsächlich als Schutzschild dient, müsste es stärker als das der Erde sein, um dem Sternwind eines kühlen K- oder M-Sterns standzuhalten.
Die Autorin bedankt sich bei Dr. Julián Alvarado-Gómez für Anregungen und Dr. Engin Keles für die Überprüfung der Übersetzung.
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