Fliegende Windturbinen: Strom aus dem Höhenwind
Keine hohen Türme, die die Landschaft prägen, kein surrender Lärm von riesigen Rotorblättern: Fliegende Windkraftanlagen ernten Energie aus größerer Höhe als die konventionellen erdnahen Windräder. Nur ein dünnes Seil verbindet sie mit dem Boden. Einige fliegen wie Drachen, andere drehen wie angeleinte Segelflugzeuge ihre Runden in Wolkennähe. Ihr großer Vorteil: Sie liefern auch dann elektrischen Strom, wenn es am Boden windstill ist. Können sie zu einer Alternative zu konventionellen Windrädern werden?
Google glaubt wohl daran. Es übernahm 2013 das US-amerikanische Flugwindunternehmen Makani und gab für die Entwicklung dieser Technologie über 30 Millionen US-Dollar in seiner Forschungsabteilung X aus. Alphabet – inzwischen Googles Mutterunternehmen – hat Makani Power im Februar 2019 aus Googles X-Labor ausgegründet, damit es mit fliegenden Windturbinen Geld verdient.
Seit Mitte August 2019 heben vor Norwegens Küste die ersten Flieger auf einer Offshore-Testanlage ab. Auch wenn gleich der zweite Testflug in einem Crash endete, soll die Technik ab 2020 vermarktet werden. Unterstützt werden diese hochfliegenden Pläne vom Ölkonzern Shell. Makanis Flieger sieht aus wie ein kleines Segelflugzeug – allerdings ohne Piloten oder Passagiere.
Vor dem Abheben hängt er senkrecht in einer Halteposition. Er startet wie ein Helikopter senkrecht nach oben und nutzt zum Aufsteigen seine Propeller. Ist sein Halteseil abgerollt, stellt er sich in den Wind und segelt auf einer kreisförmigen Flugbahn in 300 Meter Höhe. Die sich im Wind drehenden Propeller erzeugen dabei den Strom, ganz wie bei konventionellen Windkraftanlagen. Das Halteseil leitet den elektrischen Strom zur Bodenstation. Laut Angaben von Makani soll ihr M600 eine Leistung von 600 Kilowatt bringen.
Hoch hinaus
Wenige Tage zuvor hatte ein Youtube-Video von Makani die Flugfähigkeit schon bewiesen. Ihr Prototyp startete in der amerikanischen Wüste. Sein Vorteil in der Offshore-Variante: Er braucht kein übliches Betonfundament, sondern ist nur an einer Art überdimensionalen Boje befestigt, die über eine Leine mit dem Meeresboden verbunden ist. Das geht, da allein die Zugkräfte gebändigt werden müssen.
Doch nicht nur der US-Konzern Google, etwa 70 Unternehmen weltweit sollen an den fliegenden Windanlagen arbeiten. Und auch die EU gibt Geld für diese Höhenwindprojekte aus. Allein in Europa forschen über zehn Start-ups und Universitäten an den fliegenden Windanlagen. In der Schweiz arbeitet die ETH Zürich daran. In Deutschland sind diese abgehobenen Windfänger dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie an die zehn Millionen Euro Fördergeld wert. So unterstützt, rechnen Forschende der Leibniz Universität Hannover, TU Berlin, RWTH Aachen und der Universität Freiburg am optimalen Design. Erste Prototypen sind schon in Deutschland gestartet.
Der Energieversorger E.on investiert ebenfalls in diese Technologie und testet in Irland mit der niederländischen Firma Ampyx Power seit 2016 fliegende Windkraftanlagen. Sie arbeiten an einem Test- und Demonstrationsfeld für eine »möglicherweise bahnbrechende Technologie für die Erzeugung erneuerbaren Stroms aus Wind«, so der Essener Konzern. Auch sie planen, in Kürze in der Irischen See eine Anlage mit einem Megawatt Leistung in Betrieb zu nehmen.
Sie alle wollen an den Wind in höheren Lagen, über die Höhe von 200 Metern hinaus, die konventionelle Windräder inzwischen erreichen. Dort weht er stetiger und stärker. Der Luftzug wird hier nicht durch Gebäude oder Wälder abgebremst, also gibt es auch bei Windflaute am Boden eher eine verlässlich steife Brise.
Strom aus dem Jetstream?
Wo genau auf der Erde überhaupt geeigneter Wind dafür weht, hat Cristina Archer an der University of Delaware mit ihrem Forscherteam im Fachjournal »Renewable Energy« dokumentiert. Sie kamen auf eine nutzbare Energie von mehreren Terawatt Leistung. Und je höher, desto besser. Denn die Leistung steigt proportional zur dritten Potenz der Windgeschwindigkeit. Verdoppelt sich die Geschwindigkeit, so steigt die Leistung um das Achtfache, bei einem dreifachen Tempo erhöht sich die im Wind enthaltene Leitung auf das 27-Fache. Ein riesiges Potenzial für die Höhenwindnutzung?
Einige träumen deswegen bereits davon, in den Jetstream in zehn Kilometer Höhe vorzudringen, hier wehen energiereiche Winde mit 40 Metern pro Sekunde. Auf dem Boden sind es gerade mal durchschnittlich fünf. So hoch hinaus wollte es der Australier Bryan Roberts, Professor für Automatisierungstechnik an der University of Technology Sydney, mit seiner Firma Sky Windpower bis 2010 schaffen. Er hat eine Kreuzung aus Helikopter und Drachen erschaffen. Doch bis heute gibt es nur einen kleinen Demonstrator, der, auf der Ladefläche eines Lasters befestigt, mit dem Fahrtwind Strom erzeugt. So etwas sei »erst realistisch, wenn es ein fast masseloses, billiges und widerstandsfreies Seil gibt«, urteilt Alexander Bormann, Geschäftsführer von EnerKite, zu diesen hochfliegenden Visionen.
Wie sich der Stand der Technik entwickelt hat und wie es weitergehen kann, darüber tauschen sich seit 2009 Tüftler und Tüftlerinnen alle zwei Jahre auf der »Airborne Wind Energy Conference« aus. Dabei beschränkt sich ihre Fantasie nicht auf Typen wie Drachen- oder Segelflieger. Es gibt auch ballonartige Objekte, gefüllt mit Helium, oder Drohnen, die den Powerwind in großer Höhe anzapfen sollen. Das nächste Treffen soll am 15. und 16. Oktober 2019 im schottischen Glasgow stattfinden.
Moritz Diehl, einer der Mitbegründer des Branchentreffens, hatte 2017 zur Konferenz nach Freiburg geladen. Er ist Professor für Regelungstechnik an der Universität in Freiburg und forscht an der optimalen Flugkurve solcher fliegenden Windturbinen. Auch wenn es die Flieger noch nicht kommerziell gibt, simuliert Diehl schon mal den optimalen Flug mit Differenzialgleichungen in Modellen. Im realen Betrieb würde idealerweise ein digitaler Zwilling am Boden die Flugbahn berechnen und den Kurs in luftiger Höhe alle 100 Millisekunden neu justieren. Und wenn einmal Sturm aufzieht, kann der Flieger in einer tieferen, windstilleren Zone in Warteschleifen seine Runden drehen, ohne dass er komplett zurück an den Boden muss.
Tücken der Technik
Doch nicht nur das Wetter muss stimmen, allzu viele Hindernisse wie Bebauung oder Flugzeugverkehr dürfen den Höhenfliegern nicht ins Gehege kommen. Und so sollen sie in unwirtlichen Gegenden wie Alaska eingesetzt werden, um teure Dieselgeneratoren abzulösen, oder bei Notfällen nach Naturkatastrophen oder militärischen Einsätzen in abgelegenen Gegenden, die nicht an das Stromnetz angeschlossen sind, oder auf Inseln. Moritz Diehl betrachtet dabei auch den Flächenverbrauch: »Flugwindkraftanlagen können pro Quadratmeter Flügelfläche so viel Strom erzeugen wie ein Solarfeld mit mehr als 500 Quadratmetern Fotovoltaikfläche«.
Ein großer Vorteil der fliegenden Windanlage ist ihr Gewicht: Sie bringen bis zu 95 Prozent weniger Masse auf die Waage. Ohne Beton und große Mengen Stahl soll so »konkurrenzlos preiswerter Ökostrom« mit Stromgestehungskosten von vier Cent pro Kilowattstunde möglich sein, sagt Alexander Bormann, Geschäftsführer von EnerKite. Andere prognostizieren sogar zwei Cent.
Damit liegen sie laut Schätzung der Bundesnetzagentur unter den sechs Cent, die der Strom bei modernen konventionellen Windrädern kostet. Relevant sei aber die Verfügbarkeit im Jahresmittel, sagt Bormann, denn der erdnahe Wind weht nicht so beständig. Das Testgelände des deutschen Unternehmens EnerKite liegt in Kleinmachnow südwestlich von Berlin. Seine Konstruktion namens EnerKite entspricht dabei der von Flugdrachen.
Das Gerät schraubt sich wie ein Drachen beim Steigen mit dem Winddruck in die Höhe und wickelt mit seiner Zugkraft ein Halteseil ab, das an einer Seilwinde am Boden befestigt ist. Dabei dreht sich die Seiltrommel und treibt den am Boden stehenden Strom erzeugenden Generator an. Ist der Flieger in seiner maximalen Höhe angekommen, gleitet er in einer zweiten Phase im Sturzflug auf eine geringere Höhe, das Seil rollt sich wieder auf, und der Zyklus beginnt von vorne. Wie eine Angel, die immer wieder ausgeworfen und eingeholt wird.
Bormann ist einmal pro Woche auf dem Testfeld. Sein Prototyp mit 100 Kilowatt Leistung sollte noch im Jahr 2019 starten. 100 Kilowatt, das entspricht der Leistung von 400 E-Bikes oder 40 Dampfbügeleisen. 2020 sollte er marktreif sein und eine halbe Million Euro kosten. Die Idee hatte auch schon Wubbo Ockels, Ex-Astronaut und Professor an der Technischen Universität im niederländischen Delft. Mit seinem »Laddermill« – Leiterdrachen – sollten gleich mehrere Drachen hintereinander an einer Schnur fliegen, um so in den Megawattbereich vorzustoßen. Immerhin, die größten konventionellen Windkraftanlagen mit einer Höhe von 200 Metern erzeugen bald eine elektrische Leistung von zwölf Megawatt.
Meist zu optimistisch
Ganz utopisch scheint diese Leistung für die fliegenden Leichtgewichte nicht zu sein. Das Förderziel des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi): der Einstieg in die fliegende Megawattklasse. Einen Teil der Zuarbeit leistet das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), indem es die Flügel robuster macht. Ein anderes viel versprechendes Konzept für die Windfänger sieht Diehl in multiplen Fliegern. Ein langes Halteseil zweigt in der Höhe ab, und dort können dann zwei Flieger »umeinander tanzen«. Damit wäre eine Leistung von vier Megawatt in Höhen von 600 Metern vorstellbar, denn der störende Luftwiderstand durch das Seil wirkt sich nur auf den oberen Teil des Seils aus, so Diehl.
Die bislang mickrige Leistung der fliegenden Windturbinen ist allerdings nicht das Hauptproblem. »Die größte Herausforderung, die es bis dahin noch zu meistern gibt, ist das automatisierte Starten und Landen«, sagt Diehl. Die Segler kommen zwar mit böigem Wind oder einem freien Fall von drei Sekunden allein klar, aber bei Sturm oder Gewitter müssen sie eingeholt werden. Dass das auch in der Praxis funktioniert, will das Leibniz Institut für Antriebssysteme und Leistungselektronik in Hannover zusammen mit dem Unternehmen SkySails Power bis 2020 zeigen. Einige Monate im Dauerbetrieb soll ihre vollautomatische Flugwindkraftanlage mit einer Nennleistung von 100 Kilowatt absolvieren, um diesen Beweis zu erbringen.
Die Technik sei eben immer noch nicht ausgereift, hieß es 2018 in einer Studie der EU, und es sei unklar, wann es die ersten kommerziellen Anlagen wirklich gibt. Aber die fliegenden Windturbinen hätten genügend Potenzial, um weitere Forschung daran lohnenswert zu machen.
Seit Jahren schon betonen Hersteller, kurz vor der Markteinführung zu stehen, andere prophezeiten sogar bereits, mit den Marktpreisen für Elektrizität konkurrieren zu können. Die Wirklichkeit sieht anders aus: Trotz regelmäßiger Ankündigungen gibt es bislang kein kommerzielles fliegendes Kraftwerk – der Praxisbeweis steht noch aus. »Wir sind in der Branche meist zu optimistisch«, meint Alexander Bormann. Auch er geht inzwischen mit seinem EnerKite eher von 2023 aus.
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