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News: Theorie und Praxis der Sphärenklänge

Selbst bei scheinbar einfachen Fragen ist die Theorie manchmal den experimentellen Möglichkeiten ihrer Zeit weit voraus. Ganze 121 Jahre hat es gedauert, bis Wissenschaftler die Vorhersagen des englischen Physikers Horace Lamb über das Schwingungsverhalten von Festkörperkugeln bestätigen konnten.
Die schönste Form von Schwingungen nennt der Mensch Musik. Saiten, Becken, Paukenfelle, Luftsäulen in Flöten, Posaunen, Oboen, Klarinetten und vieles mehr regen die Luft mit ihren Vibrationen zum Mitschwingen an und erreichen als – hoffentlich – Wohlklänge das Ohr des Zuhörers. Aber auch andere Gegenstände des Alltags schwingen. Brücken zum Beispiel können durch Marschkolonnen im Gleichschritt sogar an ihren eigenen Vibrationen zerbrechen. Hohe Türme und Gebäude schwanken im starken Wind um mehrere Meter hin und her. Selbst die Erde erzittert, wenn die Kontinentalplatten sich gegeneinander verschieben und seismische Wellen aussenden.

Bei so viel Schwingungen um uns herum sollte man denken, die Wissenschaft hätte das Thema bereits erschöpfend untersucht. Für ganz einfache Systeme wie klingende Geigensaiten trifft diese Annahme auch tatsächlich weitgehend zu. Doch schon die anscheinend nur wenig kompliziertere Kugel hat sich lange Zeit erfolgreich der experimentellen Forschung widersetzt. Und das, obwohl der englische Physiker Horace Lamb bereits 1882 eine Theorie aufgestellt hat, wie eine solide Festkörperkugel schwingt.

Danach vollzieht sie zwei Arten von Vibrationen, auch "Moden" genannt. Einerseits bläht sie sich auf und zieht sich zusammen, wobei sich die Kugel auch verformen kann. Bei diesen sphärischen Schwingungen scheint die Kugel gleichsam zu atmen. Andererseits verdrehen sich bei den Torsionsschwingungen ihre Regionen gegeneinander "wie bei einem Hund, der sich trocken schüttelt", erklärt der Physiker Meng Hua Kuok von der National University of Singapore. Klare Aussagen also, die nur noch im Labor überprüft werden mussten.

Besonders sehr kleine Kugeln sollten sich dafür eignen, denn sie schwingen mit höheren Frequenzen, die deutlicher voneinander getrennt sind, als dies bei großen Kugeln der Fall wäre. Doch winzige Nanokügelchen mit annähernd gleichem Durchmesser und einer nahezu perfekten Kugelgestalt herzustellen, lag lange Zeit jenseits des technisch Machbaren, und so ergaben die Experimente anstelle eines schönen Chores von Schwingungen eher eine nicht zu interpretierende Kakophonie.

Erst Kuok und seinen Kollegen wurden nun bei der Suche nach dem passenden Kügelchen fündig: Sie verwendeten kommerzielle künstliche Opale. Diese Edelsteine bestehen aus regelmäßig angeordneten Siliciumdioxid-Kügelchen mit Durchmessern zwischen 204 und 340 Nanometern. Innerhalb eines Kristalls waren die Kugeln jedoch alle gleich groß und beinahe perfekt rund – geeignete Kandiaten für ein schönes Schwingungsmuster.

Da die Ausmaße der Kugeln sich knapp unter der Wellenlänge von sichtbarem Licht bewegen, konnten die Wissenschaftler mit einem grünen Laserstrahl die Bewegungen der Opal-Bausteine verfolgen. Aufgrund der so genannten Brillouin-Streuung veränderte sich die Frequenz des reflektierten Laserlichts in einem bestimmten Verhältnis zu den akustischen Schwingungen der Kügelchen. Aus dem Spektrum des Streulichtes konnte das Team um Kuok so deren Oszillationen berechnen.

Die Ergebnisse des Experiments bestätigen Lambs Theorie. Sieben verschiedene Schwingungssignale fanden die Forscher, von denen jedes einer sphärischen oder Torsionsvibration entspricht.

Auch wenn der Versuch weder zum Bau von noch besseren Musikinstrumenten führt, noch eine genauere Erdbebenvorhersage ermöglicht, so haben die Singapurer Wissenschaftler immerhin "ein ideales System für solche Experimente" gefunden, sagt David Norris von der University of Minnesota. "Und es ist eine wunderbare Demonstration fürs Lehrbuch."

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