News: Totgesagte leben länger
Zu den vergleichsweise stabilen Vertretern gehören die so genannten aromatischen Verbindungen, zu denen beispielsweise auch der bekannte Sechsring Benzol gehört. Wie sich herausstellte, sind diese ringförmigen – cyclischen – Systeme deutlich beständiger als verwandte Moleküle, die eine offene, langgestreckte Struktur besitzen wie beispielsweise das 1,3,5-Hexatrien. Und das gilt immer, wenn die Zahl der Pi-Elektronen, also der Ladungsträger, die sich in einem Orbital senkrecht zur Bindungsachse aufhalten, einer ganz bestimmten Regel – der Hückel-Regel – gehorcht. Denn dann verteilen sich die Pi-Elektronen über das ganze Molekül und sorgen für besonders guten Zusammenhalt.
Tragen die Moleküle jedoch nur zwei Pi-Elektronen weniger, als es die Hückel-Regel empfiehlt, dann sind die Ringkohlenwasserstoffe im Vergleich zu ihrer offenen Verbindungen, weniger stabil. Derartige Verbindungen bezeichnen Chemiker als antiaromatisch.
Ein Beispiel aus dem Lehrbuch für ein solches Molekül ist das so genannte Cyclopentadienyl-Kation, das elektronisch so instabil sein sollte und als derart reaktionsfreudig gilt, dass es eigentlich überhaupt nicht existieren dürfte. "Ich habe bestimmt ein Dutzend Mal in meiner Vorlesung zur Organischen Chemie erklärt, dass dieses Molekül instabil ist und nicht existiert. Aber wie sich herausstellte, hatte das Molekül eine andere Vorstellung", gesteht Josephson Lambert von der Northwestern University in Evanston ein.
Denn dem Chemiker gelang es zusammen mit seinen Kollegen Lijun Lin und Vitaly Rassolov, eine stabile Abart der Verbindung zu schaffen, das Pentamethylcyclopentadienyl-Kation. In einem Kristall gebunden oder in Lösung war es bei Raumtemperatur und an normaler Atmosphäre sogar über mehrere Wochen haltbar. Eine kleine Sensation, wenn man bedenkt, dass das letzte stabile, antiaromatische Moleküle – Cyclooctatetraen – bereits im Jahre 1913 entdeckt wurde.
Doch woher nimmt nun das Kation, dessen verwandtes Anion im Übrigen aromatisch ist, seine Langlebigkeit? Wie Strukturuntersuchungen zeigten, ist das fünfeckige Molekül alles andere als symmetrisch – ein erster Hinweis auf die Ursache. Denn offensichtlich verteilen sich die Pi-Elektronen hier nicht gleichmäßig über das Molekül, sondern sind lokalisiert, also fest einigen wenigen Atomen zuzuordnen.
Normalerweise sind es gerade die verteilten, delokalisierten Elektronen, die ein Molekül stabilisieren, doch bei antiaromatischen Verbindungen ist die Wirkung gerade ins Gegenteil verkehrt: Hier sorgen die lokalisierten Elektronen für den Zusammenhalt.
"Wir haben gar nicht realisiert, dass es auch eine lokalisierte Alternative gibt", erklärt Lambert, "nun müssen wir die Eigenschaften der Antiaromaten nocheinmal überdenken." Die Forscher wollen im nächsten Schritt das Molekül mit anderen Verbindungen reagieren lassen, um seine Chemie genauer zu studieren.
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