Stammzellforschung: Undifferenziert
Stammzellen sind unter Mediziner heiß begehrt - gelten sie doch als zelluläre Alleskönner. Die entscheidende Frage lautet allerdings: Wann geben sie ihren Urzustand auf und differenzieren sich zu den gewünschten Zelltypen?
Martin Evans hatte sich eigentlich für Krebs interessiert. In den 1970er Jahren stieß der britische Biologe auf eine ungewöhnliche Eigenschaft von Tumorzellen, welche die Forscher aus Mäuseembryonen isoliert hatten: In der Petrischale schienen sich die Zellen in nahezu alle Gewebetypen differenzieren zu können.
Neugierig geworden, suchte er nach Zellen, die das gleiche Entwicklungspotenzial besitzen, ohne den entarteten Charakter des Tumors. Tatsächlich wurde er fündig. In einem frühen Embryonalstadium, der Blastozyste, saßen ebenfalls die potenziellen Alleskönner: embryonale Stammzellen.
Die Isolierung der Stammzellen aus Mäuseembyronen 1981 gilt als Geburtsstunde der Stammzellforschung – und bescherte Evans den Medizin-Nobelpreis 2007. Schließlich bergen die Wunderzellen ein enormes Potenzial: Lassen sich doch mit ihnen durch Krankheit zerstörte Gewebe scheinbar problemlos ersetzen.
Die richtige Rezeptur
Inzwischen haben die Forscher zahlreiche Kochrezepte für die Kultivierung entwickelt: Verschiedenste Seren und Hormone sollen die Differenzierung zu den gewünschten Zelltypen einleiten. Mit anderen Hilfsmitteln wie Wachstumsfaktoren oder so genannten Feeder-Zellen, die das Wachstum von Zellkulturen unterstützen, versuchen die Forscher dagegen ihre Stammzellen im Urzustand zu halten, so dass sie sich fleißig teilen und damit immer wieder selbst erneuern.
Doch auch drei Jahrzehnte nach ihrer Entdeckung bleibt die Hege und Pflege der Stammzellen ein Glücksspiel.
Vielleicht waren die Forscher bislang schlicht auf dem falschen Dampfer. "Was wir bisher über die Kontrolle der Selbsterneuerung von Stammzellen geglaubt haben, ist falsch", meint Qi-Long Ying von der University of Southern California in Los Angeles. Zusammen mit Austin Smith von der University of Cambridge und weiteren Stammzellforschern hat Ying systematisch untersucht, unter welchen Bedingungen embryonale Mäusestammzellen sich differenzieren oder bleiben, was sie sind [1].
Einzelliger Urzustand
Das Ergebnis überraschte die Wissenschaftler: Die Stammzellen benötigten überhaupt keine Unterstützung von außen, um sich selbst zu erneuern. Im Gegenteil – sobald die Forscher den Differenzierungsprozess mit Chemikalien blockierten, begann eine rege Teilungstätigkeit.
Offensichtlich entspricht das Stadium der Vermehrung und Selbsterneuerung dem Urzustand einer Stammzelle, den sie freiwillig nicht so ohne Weiteres aufgibt. "Embryonale Stammzellen offenbaren damit eine Autarkie ähnlich wie Einzeller statt der gegenseitigen Abhängigkeiten, die Zellen mehrzelliger Organismen gewöhnlicherweise zeigen", schreiben die Autoren.
Doch was geschieht bei der Differenzierung? Wie bestimmt eine Stammzelle, die den Urzustand der Selbsterneuerung verlassen hat, welchen Weg sie einschlagen soll? Mit diesen Fragen beschäftigten sich die Wissenschaftler um Hannah Chang vom Children's Hospital in Boston und Sui Huang, der inzwischen an der kanadischen University of Calgary forscht [2].
Im Gegensatz zu Ying arbeiteten Chang und ihre Kollegen jedoch nicht mit embryonalen Stammzellen, sondern mit den adulten Konterparts, bei denen das Differenzierungspotenzial schon stark eingeschränkt ist. Hierzu gehören etwa die Stammzellen des Blutes, aus denen so genannte Vorläuferzellen entstehen, die wiederum entweder zu roten oder zu weißen Blutkörperchen reifen.
Die Mischung macht's
Bislang galt auch hier die These: Die Mischung macht's. Wachstumsfaktoren wie Erythropoietin – besser bekannt unter dem Kürzel EPO – fördern die Bildung der roter Erythrozyten; andere Stoffe wie der Granulozyten/Makrophagen-Kolonie stimulierende Faktor (GM-CSF) unterstützen dagegen die Reifung zu weißen Leukozyten. Doch ganz so einfach ist es nicht.
Eine genauere Untersuchung ergab zunächst, dass sich die Stammzellen im Gehalt des Proteins Sca-1 drastisch unterschieden. Bei manchen lag die Konzentration um den Faktor 1000 höher als bei anderen. Und dieser Proteingehalt beeinflusste wiederum den Differenzierungsweg: Stammzellen mit einer niedrigen Sca-1-Konzentration entwickelten sich nach EPO-Zugabe siebenmal häufiger zu roten Blutkörperchen als die Sca-1 reichen Zellen, die wiederum verstärkt den Weg zum Leukozyten einschlugen.
Bekannt war außerdem, dass zwei genetische Kontrollproteine – die Transkriptionsfaktoren GATA1 und PU.1 – die Richtung zu rot oder weiß mit beeinflussen. So lag die Vermutung nahe, dass lediglich die Mischung der drei Proteine das Schicksal der Stammzellen bestimmt.
Im Wandel der Zeit
Die Forscher versuchten nun, entsprechende Zellen zu isolieren, um sie weiter zu züchten – und scheiterten. Die Abkömmlinge der Sca-1 reichen Stammzellen behielten nicht ihre hohe Proteinkonzentration; entsprechend verweigerten sich die Nachfahren der Zellen mit geringem Sca-1-Gehalt. Vielmehr zeigten die Tochterzellen abermals eine gleichmäßige Verteilung der Proteingehalte, die sich offenbar mit der Zeit änderte.
Demnach scheint eine Stammzelle zunächst undifferenziert in einem "Potenzialtopf" zu ruhen. Von hier aus schwankt ihr Zustand zu unterschiedlichen Richtungen:
Die Kunst besteht nun, zum richtigen Zeitpunkt die richtige Stammzelle herauszufischen, die sich dann zur gewünschten Zellart wandelt. "Ich mache nichts Kompliziertes", erklärt Chang, "sondern ich nutze nur das, was die Natur schon hat."
Neugierig geworden, suchte er nach Zellen, die das gleiche Entwicklungspotenzial besitzen, ohne den entarteten Charakter des Tumors. Tatsächlich wurde er fündig. In einem frühen Embryonalstadium, der Blastozyste, saßen ebenfalls die potenziellen Alleskönner: embryonale Stammzellen.
Die Isolierung der Stammzellen aus Mäuseembyronen 1981 gilt als Geburtsstunde der Stammzellforschung – und bescherte Evans den Medizin-Nobelpreis 2007. Schließlich bergen die Wunderzellen ein enormes Potenzial: Lassen sich doch mit ihnen durch Krankheit zerstörte Gewebe scheinbar problemlos ersetzen.
Die richtige Rezeptur
Inzwischen haben die Forscher zahlreiche Kochrezepte für die Kultivierung entwickelt: Verschiedenste Seren und Hormone sollen die Differenzierung zu den gewünschten Zelltypen einleiten. Mit anderen Hilfsmitteln wie Wachstumsfaktoren oder so genannten Feeder-Zellen, die das Wachstum von Zellkulturen unterstützen, versuchen die Forscher dagegen ihre Stammzellen im Urzustand zu halten, so dass sie sich fleißig teilen und damit immer wieder selbst erneuern.
Doch auch drei Jahrzehnte nach ihrer Entdeckung bleibt die Hege und Pflege der Stammzellen ein Glücksspiel.
"Was wir bisher über die Kontrolle der Selbsterneuerung von Stammzellen geglaubt haben, ist falsch"
(Qi-Long Ying)
Oft tun sie eben nicht das, was man von ihnen erwartet – mitunter entarten sie sogar zu einem gefährlichen Tumor. Insbesondere die Vermehrung der noch undifferenzierten Zellen scheitert häufig. (Qi-Long Ying)
Vielleicht waren die Forscher bislang schlicht auf dem falschen Dampfer. "Was wir bisher über die Kontrolle der Selbsterneuerung von Stammzellen geglaubt haben, ist falsch", meint Qi-Long Ying von der University of Southern California in Los Angeles. Zusammen mit Austin Smith von der University of Cambridge und weiteren Stammzellforschern hat Ying systematisch untersucht, unter welchen Bedingungen embryonale Mäusestammzellen sich differenzieren oder bleiben, was sie sind [1].
Einzelliger Urzustand
Das Ergebnis überraschte die Wissenschaftler: Die Stammzellen benötigten überhaupt keine Unterstützung von außen, um sich selbst zu erneuern. Im Gegenteil – sobald die Forscher den Differenzierungsprozess mit Chemikalien blockierten, begann eine rege Teilungstätigkeit.
Offensichtlich entspricht das Stadium der Vermehrung und Selbsterneuerung dem Urzustand einer Stammzelle, den sie freiwillig nicht so ohne Weiteres aufgibt. "Embryonale Stammzellen offenbaren damit eine Autarkie ähnlich wie Einzeller statt der gegenseitigen Abhängigkeiten, die Zellen mehrzelliger Organismen gewöhnlicherweise zeigen", schreiben die Autoren.
Doch was geschieht bei der Differenzierung? Wie bestimmt eine Stammzelle, die den Urzustand der Selbsterneuerung verlassen hat, welchen Weg sie einschlagen soll? Mit diesen Fragen beschäftigten sich die Wissenschaftler um Hannah Chang vom Children's Hospital in Boston und Sui Huang, der inzwischen an der kanadischen University of Calgary forscht [2].
Im Gegensatz zu Ying arbeiteten Chang und ihre Kollegen jedoch nicht mit embryonalen Stammzellen, sondern mit den adulten Konterparts, bei denen das Differenzierungspotenzial schon stark eingeschränkt ist. Hierzu gehören etwa die Stammzellen des Blutes, aus denen so genannte Vorläuferzellen entstehen, die wiederum entweder zu roten oder zu weißen Blutkörperchen reifen.
Die Mischung macht's
Bislang galt auch hier die These: Die Mischung macht's. Wachstumsfaktoren wie Erythropoietin – besser bekannt unter dem Kürzel EPO – fördern die Bildung der roter Erythrozyten; andere Stoffe wie der Granulozyten/Makrophagen-Kolonie stimulierende Faktor (GM-CSF) unterstützen dagegen die Reifung zu weißen Leukozyten. Doch ganz so einfach ist es nicht.
Eine genauere Untersuchung ergab zunächst, dass sich die Stammzellen im Gehalt des Proteins Sca-1 drastisch unterschieden. Bei manchen lag die Konzentration um den Faktor 1000 höher als bei anderen. Und dieser Proteingehalt beeinflusste wiederum den Differenzierungsweg: Stammzellen mit einer niedrigen Sca-1-Konzentration entwickelten sich nach EPO-Zugabe siebenmal häufiger zu roten Blutkörperchen als die Sca-1 reichen Zellen, die wiederum verstärkt den Weg zum Leukozyten einschlugen.
Bekannt war außerdem, dass zwei genetische Kontrollproteine – die Transkriptionsfaktoren GATA1 und PU.1 – die Richtung zu rot oder weiß mit beeinflussen. So lag die Vermutung nahe, dass lediglich die Mischung der drei Proteine das Schicksal der Stammzellen bestimmt.
Im Wandel der Zeit
Die Forscher versuchten nun, entsprechende Zellen zu isolieren, um sie weiter zu züchten – und scheiterten. Die Abkömmlinge der Sca-1 reichen Stammzellen behielten nicht ihre hohe Proteinkonzentration; entsprechend verweigerten sich die Nachfahren der Zellen mit geringem Sca-1-Gehalt. Vielmehr zeigten die Tochterzellen abermals eine gleichmäßige Verteilung der Proteingehalte, die sich offenbar mit der Zeit änderte.
Ein Blick auf die Genaktivitäten zeigte dann, dass mehr als 3900 Gene je nach Sca-1-Gehalt unterschiedlich rege abgelesen wurden – und diese Aktivitäten schwankten ebenfalls zeitlich. "Sogar wenn Zellen anerkannterweise genetisch identisch sind und zum selben Klon gehören, unterscheiden sich die einzelnen Mitglieder dieser Population je nach Zeitpunkt", erläutert Huang. "Diese Heterogenität wurde als zufälliges 'Messrauschen' oder, wie kürzlich, als 'Genexpressionsrauschen' abgetan. Doch nun erweist es sich als äußerst wichtig – als die Grundlage für die Multipotenz der Stammzellen."
Demnach scheint eine Stammzelle zunächst undifferenziert in einem "Potenzialtopf" zu ruhen. Von hier aus schwankt ihr Zustand zu unterschiedlichen Richtungen:
"Ich nutze nur das, was die Natur schon hat"
(Hannah Chang)
Produziert sie viel des Trankriptionsfaktors PU.1, strebt sie eine Leukozyten-Zukunft an; GATA1 fördert dagegen den Hang zum Erythrozyten. Die äußere Zugabe von EPO genügt dann, die Potenzialschwelle zu überwinden und tatsächlich zum roten Blutkörperchen zu reifen. (Hannah Chang)
Die Kunst besteht nun, zum richtigen Zeitpunkt die richtige Stammzelle herauszufischen, die sich dann zur gewünschten Zellart wandelt. "Ich mache nichts Kompliziertes", erklärt Chang, "sondern ich nutze nur das, was die Natur schon hat."
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