Direkt zum Inhalt

News: Unterrichtsschlummer

In der Wiege findet statt, wovon jeder Prüfling träumt: Lernen im Schlaf. Denn Neugeborene können Vokale besser unterscheiden, wenn sie im tiefen Schlummer damit beschallt werden. Über den Sinn solcher Unterrichtsstunden werden sich Psychologen jedoch sicher weiter streiten.
Selbst im Schlaf arbeitet das Gehirn noch auf Hochtouren. Während sich der Körper ausruht, leistet sich das Denkorgan nur kurze Erholungspausen: Tageseindrücke werden verarbeitet, Situationen noch einmal durchgespielt, Erinnerung verfestigt. Nur mit dem Lernen, so geschickt das auch wäre, hapert es etwas. Das Buch unter dem Kopfkissen oder die elektronische Stimme im Hintergrund tragen kaum dazu bei, den eigenen Wissensschatz zu vergrößern.

Auch der Kopf von Neugeborenen ist rund um die Uhr beschäftigt. Und bei ihnen haben nächtliche Unterrichtsstunden tatsächlich Erfolg, wie Marie Cheour von der University of Turku und ihre Kollegen nun nachweisen konnten. Sie spielten einer Gruppe von wenige Tage alten Kindern eines Nachts für zweieinhalb bis fünf Stunden Vokallaute vor. Dabei definierten sie den Laut "ü" als Standard, den sie in 80 Prozent der Fälle abspielten, und ergänzten ihn in den restlichen Fällen durch "i" und einen Zwischenlaut aus beiden.

Ob bei den Kleinen ein Lerneffekt auftrat, überprüften die Forscher anhand der Mismatch Negativity (MMN). Dabei handelt es sich um eine elektrophysiologische Reaktion des Gehirns, die automatisch eine Abweichung eines Reizes in einer Reihe von Standardsignalen anzeigt, ohne dass die Versuchsperson überhaupt aufmerksam sein muss.

Und der Sprachunterricht schien erfolgreich. Am Abend davor weckten die unterschiedlichen Laute keine abweichenden Reaktionen in der Gehirnaktivität der Neugeborenen. Am nächsten Morgen und selbst am nächsten Abend reagierte das Gehirn der Kinder auf ein "i" jedoch anders als auf ein "ü" – die MMN zeigte die typische Spannungsänderung. Die Gehirne von Säuglingen ohne Training blieben hingegen unbeeindruckt.

Sollen frischgebackene Eltern nun also die Wiege mit Schulungsgerät umstellen? Solche Methoden, mit denen Kinder von kleinauf in der Entwicklung lernen sollen, werden immer wieder diskutiert. Sprachunterricht schon während der Schwangerschaft, Musik direkt durch die Bauchdecke – der Nachwuchs sollte nach Ansicht mancher Wissenschaftler so früh wie möglich mit Informationen versorgt werden, denn das Lernpotenzial sei umso größer, je jünger die Schüler sind.

Andere Forscher widersprechen heftig, warnen vor einer Reizüberflutung, welche die weitere Entwicklung der Kleinen stark beeinträchtigen kann. Ob nun Schaden oder Nutzen überwiegen, ist beim derzeitigen Stand der Forschung jedenfalls noch nicht endgültig entschieden. Und ob ein sieben Tage altes Kind, das schon "i" und "ü" unterscheiden kann, später zum Sprachgenie heranwächst, lässt sich auch erst in ein paar Jahren beantworten.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.