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Very Large Telescope in Chile: Das Nobelpreis-Teleskop wird 25

Mitten in einer der trockensten Wüsten der Erde, der Atacama im Norden Chiles, liegt eines der größten und produktivsten optischen Observatorien der Welt: das Very Large Telescope (VLT). Seit 25 Jahren betreibt hier die Europäische Südsternwarte ESO Spitzenforschung. Der Autor hat mehr als 20 Jahre vor Ort als Ingenieur gearbeitet und gewährt in die Arbeit und Technik des Paranal-Observatoriums den Einblick eines Insiders.
Nachtansicht der Teleskope des Very Large Telescope in Chile
Giganten unter südlichem Sternenhimmel | Dem nächtlichen Besucher der Teleskopplattform auf dem Paranal bietet sich ein atemberaubendes Panorama aus gigantischer Technik und eindrucksvollem südlichen Sternenhimmel. Von links nach rechts erkennt man die Dome der großen 8-Meter-Teleskope (Unit Telescopes, UTs) UT1, UT2, UT3. Dann folgt das VLT Survey Telescope (VST), das einen kleineren 2,6-Meter-Spiegel besitzt. Ganz rechts steht das vierte große Teleskop UT4 mit aktiven Lasern.

Als ich im Jahr 1996 zum ersten Mal über die staubige und sehr holprige Schotterpiste zum Berg Paranal in der chilenischen Atacamawüste fuhr, ahnte ich nicht, dass ich dort über 20 Jahre meines Arbeitslebens verbringen würde. Für mich als Elektroingenieur und ambitionierten Fotografen hat Paranal bis heute nichts von seiner Magie verloren. Die Szenerie der silber glänzenden Kuppeln voll komplexer Technik, gelegen auf einem einsamen Berg inmitten einer marsähnlichen Landschaft, könnte glatt aus einem Sciencefiction-Film stammen. Und die Laserstrahlen des Teleskops, die nachts von hier in den Himmel strahlen, machen diesen Eindruck perfekt.

Der Berg Paranal liegt etwa 120 Kilometer Luftlinie südlich der Küsten- und Minenstadt Antofagasta in einer der trockensten Gegenden der Erde. Mit seinen 2635 Metern Höhe ist er zugleich auch einer der weltweit allerbesten Standorte für ein Observatorium der Superlative. Seit gut 25 Jahren betreibt die Europäische Südsternwarte ESO hier das Very Large Telescope (siehe »Giganten unter südlichem Sternenhimmel«). Neben den vier Einzelteleskopen (englisch: unit telescopes, UTs) des VLT mit monolithischen Spiegeln von jeweils 8,2 Meter Durchmesser befinden sich auf dem Plateau noch vier so genannte Hilfsteleskope (englisch: auxiliary telescopes, ATs) mit einem Spiegeldurchmesser von jeweils 1,8 Metern für die Interferometrie sowie zwei Survey-Teleskope mit 4,1 und 2,6 Meter Hauptspiegeldurchmesser (siehe »Bereit für die Nacht« und »Gleich gehtʼs los«).

Bereit für die Nacht | Die Teleskope des VLT stehen bei Sonnenuntergang bereit für die kommende Beobachtungsnacht. Im Vordergrund ist das Schienennetz zu sehen, auf dem die kleineren Hilfsteleskope (Auxiliary Telescopes, ATs) tagsüber zwischen den 30 Stationen des Interferometers umkonfiguriert werden können. Das Licht der vier ATs wird durch unterirdische Röhren und Tunnel im flachen Interferometergebäude im Zentrum zusammengeführt.
Gleich gehtʼs los | Ein Blick aus der Nähe auf eines der vier Hilfsteleskope des Interferometers, welches im Abendlicht auf seinen Einsatz wartet. Im Hintergrund links ist ein weiteres Hilfsteleskop zu erkennen; rechts befindet sich der Dom des UT1.

In unmittelbarer Nähe baut die ESO zudem gerade das Extremely Large Telescope (ELT), welches mit einem segmentierten 39-Meter-Primärspiegel bei Fertigstellung das größte jemals gebaute optische Teleskop sein wird. Das Gammastrahlen-Observatorium CTA South (CTA steht für Cherenkov Telescope Array) wird hier ebenfalls in den nächsten Jahren entstehen.

Die Bedingungen für astronomische Beobachtung sind in dieser marsähnlichen Landschaft einzigartig: Mehr als 300 klare Nächte im Jahr, ein sehr gutes Seeing – also geringe Luftunruhe und somit hohe Bildschärfe –, eine Luftfeuchtigkeit von meist um die fünf Prozent, ein dunkler Himmel ohne Lichtverschmutzung und ein geringer Tag-Nacht-Temperaturunterschied sind die Schlüsselparameter, die diesen Standort so besonders machen.

25 Jahre VLT

Der erste Blick ins All, in der Astronomie »First Light« genannt, konnte beim UT1 im Mai 1998 gefeiert werden. Die anderen drei UTs folgten in den beiden darauf folgenden Jahren. Nach dem First Light durchlief jedes Teleskop eine monatelange Wissenschaftsverifikation, bei der penibel alle Funktionen getestet wurden. Nur das gewährleistet, dass die neuen Wissenschaftsmaschinen alle Spezifikationen und damit die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen. Anschließend wurden die wissenschaftlichen Instrumente installiert, und auch sie mussten das »Commissioning« (Inbetriebnahme) und eine »Science Verification« (Wissenschaftsverifikation) genannte Phase durchlaufen. Erst danach waren die neuen Teleskope für die Forschung einsatzbereit. Im Jahr 2000 waren alle vier 8-Meter-Teleskope mit den ersten Instrumenten ausgestattet und liefen im Forschungsbetrieb.

Zusammenschalten
von Anfang an geplant

Was das Paranal-Observatorium im optischen Spektralbereich einzigartig macht, ist das Interferometer, welches es erlaubt, entweder die vier UTs oder alternativ die vier ATs zu einem Array zusammenzuschalten und damit die Bildauflösung nochmals deutlich zu erhöhen. In dieser Anwendungsform wird es VLTI (Very Large Telescope Interferometer) genannt. Es kam im März 2001 erstmalig zum Einsatz. Warum dieser enorme Aufwand?

Da die Auflösung eines Teleskops direkt proportional zu seinem Durchmesser ist, würden Astrophysiker gern Geräte mit immer größeren Spiegeln bauen. Dem sind natürlich technische und finanzielle Grenzen gesetzt, und deshalb nutzt man einen technischen Kniff. Überlagert man das Licht mehrerer Teleskope in einem Punkt, so erhält man ein virtuelles Riesenteleskop mit einem Durchmesser, der dem größten Abstand zwischen den einzelnen Teleskopen entspricht. Voraussetzung ist allerdings, dass das Licht kohärent ist, die Wellen also in gleicher Phase (»Wellenberg auf Wellenberg, Wellental auf Wellental«) am Detektor überlagert werden. Nur dann bekommt man ein charakteristisches Interferenzmuster, auch »Fringes« genannt.

In der Radioastronomie wird diese Technik seit vielen Jahrzehnten genutzt, zum Beispiel am Very Large Array in den USA, denn die Radiowellenlängen liegen im Zentimeter- oder Millimeterbereich. Es ist daher technisch einfacher, sie kohärent zu überlagern. Bei Lichtwellen jedoch – das VLTI arbeitet im Nahinfrarotbereich, demnach bei etwas höheren Wellenlängen als rotes Licht – ist die Herausforderung wesentlich größer, denn die nötige Präzision der Überlagerung liegt hier im Bereich von Bruchteilen eines tausendstel Millimeters. Ein Interferometer liefert zudem kein direktes Bild. Dieses muss erst aus den Interferenzmustern rekonstruiert werden. Man benötigt dazu zahlreiche Beobachtungen, die mit verschiedenen Array-Konfigurationen aufgenommen werden. Die Teleskope müssen dazu in unterschiedlichen Abständen und Winkeln zueinander – den so genannten Basislinien (englisch: baselines) – positioniert werden; je mehr, desto besser.

Als das Very Large Telescope konzipiert wurde, hatte man von vornherein das Interferometer mit eingeplant. Dazu wurde ein System aus Tunneln und Lichtröhren unterirdisch unter der Plattform der Teleskope angelegt. Da die jeweils gleiche Lichtwelle eines Sterns nicht exakt gleichzeitig auf die einzelnen Teleskope auftrifft (es sei denn, der Stern steht exakt senkrecht über den Teleskopen), müssen diese Differenzen kompensiert werden, so dass die Wellen am Ende wieder alle synchron auf dem Detektor im VLTI-Gebäude auftreffen. Das geschieht im 140 Meter langen, unterirdischen Tunnel, der Delay Line: Über Spiegel, die sich auf hochpräzisen Schienenfahrzeugen bewegen, werden die Lichtwege zwischen Teleskopen und Instrumentendetektor entsprechend verlängert oder verkürzt, je nach Position des Fahrzeugs. Da während einer Belichtung die Teleskope dem Stern nachfolgen, verändert sich zudem ständig die Weglänge des Lichts und muss durch langsame Nachführbewegung der Fahrzeuge automatisch kompensiert werden. So können heute die vier mobilen Hilfsteleskope auf 30 Stationen in unterschiedlichen Abständen und Winkeln relativ zueinander platziert werden, wodurch praktisch die Auflösung eines 140-Meter-Teleskops erzielt werden kann. Das virtuelle Teleskop ist so groß wie die Plattform auf dem Paranal.

Bei der für die interferometrische Wellenüberlagerung geforderten Präzision von wenigen milliardstel Metern (Nanometern) können schon sehr geringe Vibrationen, wie sie zum Beispiel Kühlaggregate oder Ventilatoren produzieren, Störungen verursachen. Mehrere Jahre und zahllose Ingenieurstunden waren nötig, bis das VLTI schließlich stabil funktionierte. Heute ist es praktisch jede Nacht in Betrieb und hat über die Jahre viele spektakuläre wissenschaftliche Ergebnisse geliefert (siehe »Vier wissenschaftliche Highlights mit dem Very Large Telescope«).

(Stand September 2024)

FORS (FOcal Reducer and low dispersion Spectrograph) kann sowohl Bilder im Visuellen erzeugen als auch zur Spektroskopie mit niedriger Auflösung genutzt werden. Viele ikonenhafte VLT-Bilder von Nebeln und Galaxien wurden mit FORS aufgenommen. Es ist sogar möglich, die Schwingungsformen der Lichtwellen (Polarisationen) zu messen. Daraus können Fachleute die Orientierungen von Magnetfeldern in den Quellen bestimmen. FORS2 ist das Nachfolgeinstrument von FORS1, das im Jahr 2009 außer Betrieb gestellt wurde.

MOONS (Multi-Object Optical and Near-infrared Spectrograph) ist ein neues Instrument, das erst im Jahr 2024 am UT1 in Betrieb genommen wird. Es ist mit rund 1000 Glasfasern ausgestattet, die am Himmel eine Fläche von etwa 500 Quadratbogenminuten abdecken – das sind mehr als zwei Drittel der Vollmondfläche. Die Lichtleiter speisen im Visuellen und im Nahinfraroten einen Spektrografen.

KMOS (K-band Multi Object Spectrograph) ist ein Nahinfrarotspektrograf, der seit Dezember 2012 am UT1 eingesetzt wird, vor allem, um die Entwicklung von Galaxien zu untersuchen. Dazu verfügt er über 24 Arme, an deren Spitze jeweils eine Aufnahmeeinheit sitzt. Mit jeder dieser Integral Field Units (IFUs) kann das Spektrum einer Galaxie gemessen werden (vergleiche MUSE).

X-shooter ist ein Spektrograf am UT2 und dient zur Messung von Spektren vom Ultravioletten bis ins Nahinfrarot. X-shooter ging im März 2009 an den Start.

FLAMES (Fibre Large Array Multi-Element Spectrograph): Mit diesem Spektrografen können gleichzeitig Hunderte von Sternen in einer nahen Galaxie mit hoher spektraler Auflösung aufgenommen werden. FLAMES hatte im Juli 2002 sein First Light, und auch bei ihm kommt die Integralfeldspektroskopie zum Einsatz (vergleiche KMOS und MUSE).

UVES (UltraViolet and Visual Echelle Spectrograph) ist ein Spektrograf am UT2, der im optischen und ultravioletten Wellenlängenbereich zwischen 300 und 1100 Nanometern Spektren aufnimmt. Die spektrale Auflösung beträgt bis zu 110 000. Die Zahl ist definiert als das Verhältnis vom kleinsten messbaren Wellenlängenunterschied und betrachteter Wellenlänge.

VISIR (VLT Imager and Spectrometer for mid-InfraRed) produziert am UT3 Bilder und Spektren von Himmelsobjekten im mittleren Infrarot, also bei etwas größeren Wellenlängen als im Nahinfrarot. Im Jahr 2004 hatte VISIR sein First Light.

SPHERE (Spectro-Polarimetric High-contrast Exoplanet REsearch) ist ein Spezialinstrument zur Untersuchung von Exoplaneten. Dazu verfügt es über einen Koronografen, der den hellen Wirtsstern ausblendet.

CRIRES+ am UT3 ist das Upgrade des Instruments CRIRES (CRyogenic high-resolution InfraRed Echelle Spectrograph), das am UT1 betrieben wurde. CRIRES+ wurde im Februar 2021 installiert. Es handelt sich um einen Infrarotspektrografen, der eine spektrale Auflösung von mehr als 100 000 erreicht (vergleiche UVES).

ERIS (Enhanced Resolution Imager and Spectrograph) hatte im Jahr 2022 sein First Light am UT4. Als Imager liefert er Bilder von Himmelsobjekten und als Spektrograf Spektren – beides im Infraroten.

HAWK-I (High Acuity Wide field K-band Imager) ist ein Nahinfrarot-Imager am UT4 mit einem recht großen Gesichtsfeld. So passt eine nahe Galaxie komplett auf das Bild, um beispielsweise ihre Spiralarme zu analysieren. Am 31. Juli 2007 fiel auf das Instrument das erste Licht.

MUSE (Multi Unit Spectroscopic Explorer) ist ein großer Integralfeldspektrograf (IFS) am UT4, der im März 2014 sein First Light hatte. Er gehört zu den VLT-Instrumenten der zweiten Generation. Mit ihm lassen sich Spektren über sein gesamtes Gesichtsfeld (eine Quadratbogenminute) aufnehmen. Für jedes Pixel wird ein Spektrum gemessen, also die Intensität der Strahlung als Funktion ihrer Wellenlänge. Integralfeldspektrografen liefern somit nicht nur ein »flaches 2-D-Bild«, sondern vielmehr einen 3-D-Datenkubus, in dem sehr viel Information steckt.

Die ESO stellt auf ihrer Website www.eso.org viele weitere Informationen zu den VLT- und VLTI-Instrumenten wie zum Beispiel GRAVITY bereit.

Trick mit wackligem Spiegel | Im Reinraum wird der adaptive Sekundärspiegel in seine Halterung montiert. Man sieht unten mehr als 1000 Dauermagnete, die auf die Rückseite des weniger als zwei Millimeter dünnen und flexiblen Spiegels geklebt sind. Oben befindet sich das Gegenstück mit den entsprechenden elektromagnetischen Spulen. Nach dem Lautsprecherprinzip werden die Aktuatoren 1000-mal pro Sekunde angesteuert, um die Turbulenz der Atmosphäre zu kompensieren.

Adaptive Optik und Laser

Erdgebundene Teleskope haben im Vergleich zu Weltraumteleskopen den bekannten Nachteil, dass das Sternenlicht zunächst durch die wabernde Atmosphäre muss, in der es verzerrt wird. Das ähnelt dem Phänomen, wenn Licht durch eine vom Wind gekräuselte Wasseroberfläche fällt. Moderne Technik ist aber heute zum Glück in der Lage, Abhilfe zu schaffen, und zwar mit der so genannten adaptiven Optik. Dazu wird das vom Hauptspiegel aufgefangene Licht über einen dünnen, deformierbaren Spiegel geleitet. Dieser Spiegel (englisch: deformable mirror, DM) ist mit einer Vielzahl von elektronischen Aktuatoren versehen, also Stellelementen, die ihn genau entgegengesetzt zur Welligkeit der Atmosphäre verformen (siehe »Trick mit wackligem Spiegel«). Auf diese Weise wird die Bildverzerrung praktisch eliminiert. Um die Bildanalyse und Korrektur mit der notwendigen Geschwindigkeit von bis zu 1000 Hertz zu bewerkstelligen, sind sehr leistungsfähige Computer nötig.

Das erste mit adaptiver Optik ausgestattete Instrument in Paranal war NAOS-CONICA. Dieses System kombiniert die adaptive Optik NAOS mit einer Nahinfrarot-Infrarotkamera/Spektrograf namens CONICA. Es wurde im Jahr 2001 in Betrieb genommen. Der deformierbare Spiegel hatte 185 Piezoaktuatoren. Die Stellstifte werden mit dem piezoelektrischen Effekt auf die richtige Länge gebracht, das heißt, eine an ein besonderes Material, zum Beispiel Quarz, angelegte Spannung verformt die Stifte. Im Vergleich dazu haben neuere Systeme heute mehr als 1000 Aktuatoren – dazu später mehr. Mit NAOS-CONICA wurde unter anderem über Jahre hinweg regelmäßig das unmittelbare Gebiet um das Schwarze Loch im Zentrum unserer Galaxis beobachtet. Diese Daten trugen entscheidend zum Nobelpreis des deutschen Astrophysikers Reinhard Genzel im Jahr 2020 bei. Auch das erste direkte Bild eines Exoplaneten wurde mit diesem Instrument aufgenommen.

Spektakel wie in »Star Wars« | Aus der Ferne betrachtet sind die Laser immer wieder eindrucksvoll anzuschauen. Vier Laserstrahlen von 30 Zentimeter Durchmesser werden hier vom Großteleskop UT4 aus in den Himmel geschossen. Sieht man genau hin, so erkennt man, wie die Strahlen am Ende zunächst schwächer werden, da die Lichtstreuung mit dünner werdender Atmosphäre nachlässt. Schließlich, in etwa 90 Kilometer Höhe, werden die eigentlichen Laserpunkte sichtbar – die künstlichen Sterne, die für die adaptive Optik benötigt werden.

Die adaptive Optik benötigt zur Wellenfrontanalyse einen relativ hellen Referenzstern nah am Beobachtungsobjekt. Über so einen natürlichen Leitstern (englisch: natural guide star, NGS) verfügen jedoch nur etwa drei Prozent aller Himmelsobjekte. Er erlaubt es dem Wellenfrontsensor, die Turbulenzen zu messen und zu analysieren. Aber auch hier hält die Technik wieder eine geniale Lösung bereit: einen starken Laserstrahl (siehe »Spektakel wie in ›Star Wars‹«). Der Laser auf Paranal hat eine Wellenlänge von 589 Nanometern (orangefarbenes Licht) und ist damit in der Lage, Natriumgas, welches sich in der oberen Atmosphäre befindet, zum Leuchten anzuregen. Auf diese Weise entsteht dort in etwa 90 Kilometer Höhe ein kleiner leuchtender Punkt, der für das Teleskop wie ein künstlicher Stern aussieht. Man zielt mit dem Laser in die Nähe des Beobachtungsobjekts und produziert so den Referenzstern (englisch: laser guide star, LGS), der für die adaptive Optik erforderlich ist. Im Januar 2006 wurde zum ersten Mal ein solcher Laserstrahl in den Himmel über Paranal geschossen. Nach anfänglichen technischen Problemen mit dem Laser der ersten Generation sind heute vier moderne Laser am UT4 praktisch jede Nacht in Betrieb.

Wissenschaftliche Instrumente

Jedes der vier UTs verfügt über drei Instrumente, die jeweils auf den beiden Nasmyth-Fokus-Plattformen sowie im Cassegrain-Fokus unter der Hauptspiegelzelle installiert sind (siehe »Aktuelle Instrumente am Very Large Telescope«). Weitere Instrumente befinden sich im Interferometergebäude und erhalten ihr Licht über den Coudé-Fokus der UTs. Durch entsprechende Positionierung eines planen dritten Spiegels im UT, M3 genannt, kann innerhalb von wenigen Minuten vom Kontrollraum aus der Fokus gewechselt und damit ein anderes Instrument ausgewählt werden. Die großzügig ausgelegten Nasmyth-Plattformen erlauben die Installation von Instrumenten imposanter Größe. Das Instrument MUSE zum Beispiel wiegt sieben Tonnen und hat das Format eines Kleinlasters.

MUSE (Multi-Unit Spectroscopic Explorer) ist in jeder Hinsicht eines der eindrucksvollsten Instrumente. Steigt man im UT4 die Treppe zur Nasmyth-Plattform hinauf, sieht man sich einem Gewirr aus metallenen Schläuchen, Kabeln, Vakuumventilen und Kryostaten gegenüber. MUSE besteht aus 24 Vakuumgefäßen für 24 Detektoren und 24 Spektrografen. Speziell entwickelte Optiken zerlegen das Bildfeld in einzelne Streifen, die jeweils zu den Spektrografen gelenkt werden. Man gewinnt so nicht wie üblich Spektren einzelner Objekte, sondern Spektren eines jeden einzelnen Punkts des gesamten beobachteten Bildfelds. Es handelt sich um einen Integralfeldspektrografen (englisch: integral field spectrograph, IFS). Als Ergebnis einer Beobachtung erhält man einen Datenwürfel, der ein zweidimensionales Bild des Objekts liefert, das in der dritten Dimension auf den gesamten Wellenlängenbereich aufgefächert ist. So lässt sich zum Beispiel mit einer einzigen Aufnahme die Drehbewegung eines ganzen Galaxienhaufens, aber auch jeder der einzelnen Galaxien um sich selbst untersuchen.

Ein weiteres Instrument der Superlative ist ESPRESSO (Echelle SPectrograph for Rocky Exoplanets and Stable Spectroscopic Observations). ESPRESSO ist darauf spezialisiert, Exoplaneten zu entdecken, und zwar indirekt durch Messung der Radialgeschwindigkeit des Sterns, um den sie kreisen. Jeder Planet verursacht durch seine Gravitation eine mehr oder weniger leichte Wackelbewegung seines Sterns, die von seiner Masse und Entfernung zum Stern abhängt. Durch den kreisenden Planeten bewegt sich ein Stern periodisch mal etwas auf uns zu und dann wieder von uns weg. Diese Bewegungen sind meist winzig, aber ESPRESSO kann sie messen. Das Instrument ist in der Lage, mit Hilfe der Rot- oder Blauverschiebungen der Spektrallinien des Sterns Radialgeschwindigkeitsänderungen von lediglich 10 Zentimetern pro Sekunde zu erfassen. Dies entspricht in etwa dem Effekt, den unsere Erde auf die Sonne hat. Um diese extreme Messgenauigkeit zu erreichen, muss ESPRESSO thermisch äußerst stabil sein: Seine Temperatur wird auf ein tausendstel Grad konstant gehalten. Es gibt im Moment kein anderes Instrument, das eine solche Messgenauigkeit erreicht.

Ein Spiegel wie neu | Alle zwei Jahre wird die reflektierende Beschichtung der 8-Meter-Spiegel im Mirror Maintenance Building erneuert. Zunächst reinigen Optiker von Hand einige Flecken, wie zum Beispiel kleine Öltropfen. Anschließend wird in der halbautomatischen Waschanlage aus Hochdruckdüsen die Spiegelfläche mit demineralisiertem Wasser vorgereinigt. In einem weiteren Schritt entfernt man schließlich mit Säure die Aluminiumbeschichtung. Nachdem die neue Aluminiumschicht aufgetragen wurde, erfolgt eine Inspektion, bevor der Spiegel wieder in das Teleskop eingebaut wird.

Ein Hauch von Aluminium

Eine der regelmäßigen Wartungsarbeiten in Paranal ist die Erneuerung der reflektierenden Beschichtung der 8-Meter-Spiegel (siehe »Ein Spiegel wie neu«). Etwa alle zwei Jahre werden die nur knapp 18 Zentimeter dünnen und 22 Tonnen schweren Glaskeramikscheiben mitsamt der Spiegelzelle aus dem Teleskop ausgebaut und mit einem Speziallift auf einer Luftkissenplattform aus dem Teleskopgebäude herausgefahren. Anschließend geht es im Schritttempo auf einem Schwertransporter ins 3,5 Kilometer entfernte Basecamp (siehe »Im Schritttempo durch die Wüste«). Dort im Mirror Maintenance Building (MMB) angekommen, positioniert man die Spiegelzelle unter einer speziellen Maschine, dem M1 Handling Tool (MHT). Es dauert einen kompletten Arbeitstag, bis die empfindliche, aus Zerodur gefertigte Spiegelscheibe aus der Zelle ausgebaut, herausgehoben (siehe »Zerodurscheibe am Haken«) und schließlich in der riesigen Schüssel des Vakuumtanks abgelegt ist. Nichts darf hier schiefgehen, denn die Spiegel sind praktisch nicht zu ersetzen.

Im Schritttempo durch die Wüste | Auf einem hydraulisch nivellierten Spezialtransporter wird der Spiegel mitsamt der Spiegelzelle vom Gipfel in das 3,5 Kilometer entfernte Basislager zum Wartungsgebäude, dem Mirror Maintenance Building, gefahren.
Zerodurscheibe am Haken | Ein spannender Moment im Wartungsgebäude MMB: Der Spiegel wurde gerade aus der Spiegelzelle (im Hintergrund) ausgebaut und schwebt nun an 15 Haken hängend über der unteren Halbschale des Vakuumtanks der Verspiegelungsanlage. Dort wird er auf einer speziellen, »Whiffletree« genannten Auflage abgelegt. Sie sorgt dafür, dass die Last der empfindlichen, 22 Tonnen schweren Zerodurscheibe gleichmäßig auf alle Unterstützungspunkte verteilt wird.

Nachdem der Spiegel in den Reinraum der Halle gefahren wurde, beginnt nun die Reinigung der Oberfläche. Eine halbautomatische Waschanlage sprüht zunächst von einem rotierenden Arm aus zahlreichen Düsen Wasser auf den Spiegel, um ihn von Staub zu befreien. Anschließend wird mit Salzsäure die Aluminiumbeschichtung abgelöst. Die Keramikscheibe ist ab diesem Moment kein Spiegel mehr; man sieht stattdessen die charakteristische halbtransparente bräunliche Farbe des Zerodurs. Es folgen weitere Reinigungs- und Trocknungszyklen, denn die Oberfläche muss perfekt sauber sein, damit die neue Beschichtung gut haftet und die maximale Reflektivität erzielt wird. Die Vakuumkammer kann nun geschlossen werden, und es wird, üblicherweise über Nacht, die Luft abgepumpt, bis ein Hochvakuum erreicht ist.

Zur Neubeschichtung wird das Sputter-Verfahren, auch Kathodenzerstäubung genannt, verwendet. Dazu wird im Vakuum eine Platte hochreinen Aluminiums mit Argonatomen beschossen. Die dadurch herausgelösten Aluminiumatome lagern sich in einer sehr gleichmäßigen, nur etwa 90 Nanometer dünnen Schicht auf der Oberfläche des Spiegels ab. Der Beschichtungsvorgang selbst dauert nur etwa 20 Minuten, und der Spiegel sieht danach aus wie neu. Im Anschluss werden alle Komponenten wieder in umgekehrter Reihenfolge zusammengebaut. Nach gut einer Woche harter Arbeit des technischen Teams können die Astronominnen und Astronomen wieder mit einem hocheffizienten Teleskop beobachten. Die gesamte Prozedur ist so speziell und eindrucksvoll, dass vor einigen Jahren ein »National Geographic«-Filmteam extra nach Paranal reiste, um darüber einen Dokumentarfilm zu produzieren.

Das Riesenauge öffnet sich | Kurz vor Sonnenuntergang wird das Großteleskop UT4 für die Nacht vorbereitet. Die Höhenachse wird auf 20 Grad heruntergeneigt, bevor sich die riesigen Tore darüber öffnen. Dadurch wird der direkte Blick auf den Hauptspiegel M1 frei. Oben links ist der gut ein Meter große Sekundärspiegel zu sehen.

Das Team

Ein modernes Großobservatorium wie Paranal, welches zudem noch gut 120 Kilometer von der nächsten Stadt entfernt gelegen ist, benötigt eine lückenlose Infrastruktur und Logistik. Das Basecamp am Fuße des Berges umfasst eine eindrucksvolle Palette von Gebäuden und Einrichtungen, wie die Residencia mit 120 Zimmern, Wohncontainer, Bürogebäude, Krankenstation, Besucherzentrum, Lagerhallen, Integrationshalle, hervorragend ausgestatteter mechanischer Werkstatt, Spiegelwartungsgebäude mit Reinraum und Aluminisierungsanlage, Sporthalle, Tankstelle und mehr. Vor Kurzem wurde außerdem das neue Spiegelwartungsgebäude für das Riesenteleskop ELT fertig gestellt, in dem in Zukunft die rund 800 hexagonalen ELT-Spiegelsegmente beschichtet werden.

Im Kontrollraum | Ein modernes Großteleskop erfordert viele Bedienungsbildschirme. Die Anzeige oben links zeigt seinen Betriebsstatus, rechts daneben sind Daten der Kuppel zu sehen, die über zahlreiche Ventilationsöffnungen verfügt, damit Teleskop und Spiegel auf optimale Temperaturen gehalten werden können. Die beiden unteren Bildschirme zeigen den Leitstern und den Status der aktiven Optik des Spiegels M1, der mit 150 Aktuatoren ständig in Form gehalten werden muss.

Im Durchschnitt sind zu jedem Zeitpunkt etwa 150 Menschen vor Ort anwesend, davon ein großer Teil im Bereich Technik und Wartung (siehe »Im Kontrollraum«). Die meisten arbeiten in einem so genannten 8/6-Schichtsystem, was bedeutet, dass man acht Tage in Paranal verbringt und anschließend sechs Tage daheim ist. Hochmotivierte und spezialisierte Ingenieure und Technikerinnen, unter anderem aus den Bereichen Software, Mechanik, Instrumente, Elektro, Elektronik und Optik, sind zum Teil auch nachts auf Abruf erreichbar, denn wenn es irgendwo in der Technik hakt, ist eine schnelle Störungsbeseitigung entscheidend. Astronomen haben meist monatelang auf ein paar Beobachtungsnächte gewartet und sind über Ausfälle nicht erfreut.

Eine der täglichen Aufgaben des MSE Department – MSE steht für Maintenance/Support/Engineering, also Wartung/Unterstützung/Ingenieurwesen – mit seinen fast 80 Mitarbeitenden lautet: Jeden Abend bei Sonnenuntergang müssen alle Teleskope hochgefahren und mit geöffneter Kuppel betriebsbereit an die Nachtschicht übergeben werden. Während des Tages analysiert man die technischen Probleme der vorangegangenen Nacht und versucht, sie zu beheben. Ziel ist es, die technische Ausfallzeit auf ein Minimum zu reduzieren.

Ständiges Optimieren

Des Weiteren gibt es Projektarbeit, um beispielsweise die Technik immer auf dem neuesten Stand zu halten. Instrumente werden im Schnitt etwa alle zehn Jahre durch eine neue, modernere und leistungsfähigere Generation ersetzt, welche die Effizienz und Beobachtungsmöglichkeiten der Teleskope in immer neue Höhen schraubt. Inzwischen sind bereits einige Instrumente der dritten Generation in Betrieb. Auch die Teleskope selbst werden ständig modernisiert. Im UT4 zum Beispiel wurde der komplette Sekundärspiegel mit seiner Steuereinheit ausgetauscht und durch einen adaptiven Spiegel ersetzt. Mit seinen 1,2 Metern Durchmesser und über 1000 Aktuatoren ist es der größte jemals gebaute adaptive Spiegel. Auch der Laser im UT4 wurde vor einigen Jahren komplett modernisiert und von einem Einzellaser auf vier Systeme aufgerüstet. Die anderen drei UTs werden ebenfalls bald mit einem Laser versehen. Die Entwicklung und Implementierung von solchen sehr komplexen neuen Systemen werden meist in Zusammenarbeit mit dem ESO Headquarter in Garching bei München durchgeführt.

Vier wissenschaftliche Highlights mit dem Very Large Telescope

Nach 25 Jahren hat das VLT einige kleine und große Höhepunkte für die astronomische Forschung hervorgebracht. Ganz vorn steht eindeutig die immer bessere Vermessung der Bahnen der S-Sterne um das Zentrum unserer Galaxis. Auf Keplerorbits umkreisen die schnellsten Sterne des Milchstraßensystems ihr dunkles Herz (siehe »Auf Schleuderkurs«). Aus den Bahnen konnte das Team um Reinhard Genzel vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching bei München das extrem massereiche Schwarze Loch im Zentrum unserer Heimatgalaxis nachweisen. Es befindet sich im Sternbild Schütze und ist assoziiert mit der Radioquelle Sagittarius A*. Das Schwarze Loch vereint in sich 4,3 Millionen Sonnenmassen und ist 27 000 Lichtjahre von uns entfernt. Genzels Durchbruch wurde mit dem Physik-Nobelpreis des Jahres 2020 gewürdigt.

Auf Schleuderkurs | Die mit dem VLT gemessenen Sternbahnen um das zentrale extrem massereiche Schwarze Loch unserer Galaxis wurden hier in einer Grafik zusammengefasst. Sie umkreisen die Radioquelle Sgr A*, die mit dem Schwarzen Loch assoziiert ist. Mit Hilfe des dritten keplerschen Gesetzes kann aus der Umlaufdauer eines S-Sterns und der räumlichen Größe seiner Bahn die Masse des Schwarzen Lochs berechnet werden.

Inzwischen sind mehr als 5500 Planeten außerhalb des Sonnensystems bekannt. Im Jahr 2004 schaffte es ein Team, mit dem VLT und seiner adaptiven Optik zum ersten Mal direkt einen solchen Exoplaneten abzubilden (siehe »Direkt erwischt«). Er besitzt fünf Jupitermassen und umkreist den Braunen Zwerg 2M 1207 in einer Entfernung von zirka 55 Astronomischen Einheiten. Das System im Sternbild Hydra hat eine Distanz von 230 Lichtjahren zur Erde.

Direkt erwischt | Mit dem Instrument NACO am Großteleskop UT4 wurde im Jahr 2004 erstmals ein Exoplanet (links) direkt aufgenommen. Er umkreist den nicht viel größeren Braunen Zwerg 2M 1207 (rechts).

Die Teleskope am VLT können interferometrisch zusammengeschaltet werden. Mit diesem Verfahren, VLTI genannt, gelang es in den Jahren 2007 und 2008, das berühmte Trapez aus Sternen im Orionnebel weiter aufzulösen. Der Stern Theta-1 Orionis C entpuppte sich dabei als Doppelstern. Der Orionnebel ist 1350 Lichtjahre von uns entfernt.

In der Kosmologie haben seit dem Hubble Deep Field North die Tiefenfeldbeobachtungen eine hohe Relevanz. Mit derart lang belichteten Aufnahmen kleiner Himmelsausschnitte kann die Entwicklung von Galaxien nachgezeichnet werden. Der ehemalige Direktor der Landessternwarte Heidelberg, Immo Appenzeller, initiierte das FORS Deep Field. Dabei kamen die beiden VLT-Instrumente FORS1 und FORS2 zum Einsatz. FORS steht für FOcal Reducer and low dispersion Spectrograph. Anfang der 2000er Jahre erschienen mehrere wissenschaftliche Veröffentlichungen mit Analysen der Galaxien bis zu einer kosmologischen Rotverschiebung von z ≈ 5.

Weitere Highlights, die mit dem VLT und anderen ESO-Teleskopen erreicht werden konnten, finden Sie auf dieser Website suw.link/2410-esotop10.

Durch die regelmäßigen Modernisierungen konnten über die Jahre die Effizienz, Auflösung und Qualität der wissenschaftlichen Daten kontinuierlich verbessert werden. Sie sorgen dafür, dass Paranal auch weiterhin eine Spitzenposition unter den Großobservatorien einnimmt.

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