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News: Vom Dicken an den Rand geschubst

Wenn die Großen sich breit machen, müssen die Kleinen weichen. Nach dieser Regel hat der Riesenplanet Neptun eine große Zahl von Kleinstplaneten mit seiner Schwerkraft ganz oder teilweise aus dem Sonnensystem geschleudert.
Neptun
Am Anfang war der Staub. Winzige Teilchen, die überall herumflogen, dabei zusammenstießen und sich zu ein wenig größeren Klümpchen vereinigten. Im kleinen Maßstab kennt jeder von uns diesen Vorgang aus den eigenen vier Wänden. Doch das ist nichts im Vergleich zu den Mengen, die sich in der Frühzeit unseres Sonnensystems in einer Scheibe rund um die Sonne angesammelt hatten. Vor rund vier bis fünf Milliarden Jahren wurden aus Staub Körnchen, aus Körnchen Brocken, diese zu Kleinstplaneten, und einige wuchsen weiter, bis sie richtige Planeten waren und sich auf einem davon sogar Leben bilden konnte. Andere Miniplaneten machten weniger Karriere und brachten es nur auf Durchmesser von einigen hundert oder immerhin über 1000 Kilometer. Als Asteroiden haben sie im Raum zwischen Mars und Jupiter eine Bleibe gefunden, wo nur die größten von ihnen mit Amateurteleskopen auszumachen sind.

Die geringe Leuchtkraft der kleinen Brocken aus Eis und Gestein war wohl auch Schuld, dass bis zum Jahr 1992 niemand den zweiten Ring von Kleinstplaneten entdeckt hatte: den Kuipergürtel. Weit außerhalb – noch hinter der Bahn des Neptuns – drehen sie ihre Runden. Mehr als zehn Erdenmassen müssten sie alle zusammen auf die Waage bringen, so schätzten Wissenschaftler damals. Denn diese Menge war mindestens notwendig, um eine Entstehung aus Staub in so gewaltiger Entfernung von der Sonne zu ermöglichen. Doch zur Überraschung der Fachwelt stellte sich heraus, dass die Gesamtmasse der Kuiper-Objekte nur rund ein Zehntel der Erdmasse ausmachte. Zu wenig für die gängige Theorie vom anwachsenden Staub. Und obendrein waren die Bahnen der Kleinstplaneten nicht annähernd kreisrund, sondern stark elliptisch, und lagen in einem relativ großen Winkel zur üblichen Ebene der Planetenbahnen. Der Kuipergürtel passte einfach nicht zu den gängigen Modellen.

Deshalb entwickelten Wissenschaftler bald alternative Ideen für seine Entstehung. Mit dem neuesten Beitrag der Astronomen Alessandro Morbidelli vom französischen Observatorium an der Cote d'Azur bei Nizza und Harold Levison vom US-amerikanischen Southwest Research Institute kann ein Modell eine ganze Reihe von Fragen klären. Danach reichte die frühzeitliche Scheibe von Kleinstplaneten etwa bis zur heutigen Neptunbahn und umfasste eine viel größere Gesamtmasse, als wir sie gegenwärtig beobachten. Die eigentlichen Planeten befanden sich noch näher an der Sonne. Angezogen von der Schwerkraft des Ringes entfernten sich Uranus und vor allem Neptun langsam von der Sonne und störten ihrerseits den Umlauf vieler Objekte, die in den meisten Fällen regelrecht aus dem Sonnensystem in die Tiefen des Weltalls geschleudert wurden. Ein kleiner Teil von ihnen fand jedoch eine neue stabile Bahn, die weiter außen lag, ziemlich verzerrt und im Vergleich zur normalen Ebene des Sonnensystems gekippt war – eben typisch für den Kuipergürtel.

Völlig zufrieden ist die Wissenschaftsgemeinschaft mit dieser Hypothese allerdings nicht. Denn das Modell setzt voraus, dass die Scheibe in der Jugendzeit des Sonnensystems einen relativ scharfen äußeren Rand hatte. Nur sprechen die wenigen vorhandenen Beobachtungen von anderen Planetensystemen in der Entstehungsphase eher für eine langsam ausdünnende Scheibe. Und überhaupt: Welcher Mechanismus wäre denkbar, um so ein zukünftiges System auf die richtige Form zurechtzustutzen? Offenbar gibt der Kuipergürtel seine Geheimnisse nicht so schnell preis. Kein Wunder – schließlich kennen wir ihn ja erst seit elf Jahren.

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