News: Vom Winde verweht
Die Wissenschaftler veröffentlichten die Ergebnisse ihrer Studie in Science in der Ausgabe vom 31. Juli 1998. Elf der untersuchten Inseln – alle hatten ungefähr ein Drittel der Größe eines Fußballfeldes – wurden von Winden mit einer Geschwindigkeit von 200 km/h heimgesucht. Acht weitere im Nordosten von Great Exuma wurden ebenfalls direkt von Lili getroffen, allerdings erst, nachdem der Sturm über Great Exuma hinweggefegt war. Die Lage ihrer Heimat spielte eine Rolle für das Schicksal der Organismen: Auf den elf südwestlichen, katastrophal getroffenen Inseln löschte Lili (Satellitenbild, 202 kB) Spinnen und Eidechsen vollständig aus und zerstörte die Vegetation beträchtlich. Die nordöstlichen Inseln beschädigte der Hurrikan weniger stark. Er dezimierte die Eidechsenpopulation um ungefähr ein Drittel, jene der Spinnen um fast 80 Prozent. Die Vegetation war ebenfalls betroffen, jedoch in viel geringerem Umfang als auf den anderen Inseln.
Die Wissenschaftler fanden Beweise für mehrere ökologischen Prinzipien. Eines davon ist, daß die Erholungsrate von Organismen stark ansteigt, wenn sie sich ausbreiten können – wie zum Beispiel Spinnen. Sie erzeugen einen Seidenfaden, an dem sie hängen und sich vom Wind in andere Gebiete tragen lassen, ein Phänomen, das man "Ballooning" nennt. Die Spinnenpopulationen erholten sich daher auch auf den Inseln rasch, auf denen sie ausgelöscht worden waren, im Gegensatz zu Eidechsen, die über keine derartigen Ausbreitungsmöglichkeiten verfügen.
Ein anderes Prinzip ist, daß größere Organismen, in diesem Falle Eidechsen, widerstandsfähiger gegenüber dem direkten Einfluß gemäßigter Störungen sind als kleinere Organismen. Auf den weniger zerstörten Inseln waren die Eidechsenpopulationen in geringerem Maße vom Hurrikan betroffen als die der Spinnen, welche sich jedoch aufgrund ihrers geeigneteren Vermehrungssystems viel rascher erholten.
Noch ein drittes Prinzip wiesen die Forscher nach. Das Risiko, daß eine Population aufgrund einer moderaten Störung ausstirbt, steht in Beziehung zur ihrer Größe – dies trifft allerdings nicht zu, wenn eine Katastrophe eintritt. In Zusammenhang damit erhielten die Biologen möglicherweise die ersten konkreten Beweise, welche Verwüstungen Hurrikane unter bodennah lebenden Inselorganismen anrichten. Schlimm ist nicht so sehr der Wind, sondern vielmehr das Wasser. Die Wissenschaftler fanden einen Seestern weit oben auf einer der südwestlichen und Sandablagerungen auf vielen der Inseln, auf denen Spinnen und Eidechsen ausgestorben waren. Das deutet auf eine Flutwelle mit einer Höhe von fünf bis sieben Metern hin – eine Reaktion auf den niedrigen Luftdruck, den der Hurrikan verursachte –, welche die Inseln überschwemmte, die nur ungefähr 1,5 Meter über dem Meeresspiegel liegen.
Alle untersuchten Inseln liegen innerhalb weniger Kilometer um Great Exuma, die höchstens 1,5 Kilometer breit ist, erklärt Losos. Während Wirbelstürme über Festland abgebremst werden, reicht diese Breite nicht aus, um einen Hurrikan wesentlich zu verlangsamen. Daher war die Windgeschwindigkeit des Hurrikans wahrscheinlich auf allen Inseln gleich. Allerdings gibt es die erwähnten Anzeichen, daß die südwestlichen Inseln einige Zeitlang unter Wasser lagen. Die nordöstlichen jedoch nicht, denn die Ausdehnung von Great Exuma reicht aus, um den Schwung einer Sturmflut zu stoppen. Als Konsequenz ertrank auf den südwestlichen Untersuchungsgebieten alles, das nicht vorher vom Wind weggetragen oder vom Wasser weggespült wurde.
Losos Ansicht nach hat die Studie einzigartige Aspekte. Wir haben Daten über die Ökosysteme der Inseln aus den drei Jahren vor dem Sturm, sagt er. Oft gingen Wissenschaftler in ein Ökosystem und untersuchten die Nachwirkungen einer Störung, ohne die Situation davor zu kennen. Dieses Team besaß nicht nur ältere Informationen, sondern auch Daten über die Populationen direkt vor und direkt nach dem Sturm. "Wir wissen genau, welche Wirkung der Hurrikan auf die Inseln hatte, weil wir nur einige Tage zuvor dort waren." Die Forscher kehrten sechs Wochen nach dem Hurrikan auf die Inseln zurück und dann ein Jahr lang in regelmäßigen Abständen, um die Tiere zu zählen und das Nachwachsen der Vegetation zu beobachten.
"Außerdem gab es schon seit langem eine Hypothese, daß der Grund dafür, daß man auf den kleinen Inseln diese weit verbreiteten Eidechsen nicht findet, die Hurrikane sind, die dort immer wieder vorbeikommen und die Tiere töten", erläutert Losos. Eidechsen gelangen nicht schnell von einer Insel zur nächsten, und wenn sie erst einmal fort sind, kommen sie nicht zurück. Diese Hypothese konnte das Team durch seine Studien untermauern.
In den vergangenen 20 Jahren gab es eine zunehmende Diskussion über die Rolle natürlicher Störungen, wie Überschwemmungen, Feuer und Stürme, bei der Strukturierung eines Ökosystems. Spielen sie eine wesentliche oder nur eine vorübergehende Rolle? Die Ergebnisse der Untersuchung von Spiller, Losos und Schoener lassen den Schluß zu, daß seltene Katastrophen langfristige Auswirkungen auf ein Ökosystem haben können.
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