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Parasitologie: Von der Quappe zum Krüppel

Ein fünfeinhalbbeiniger Frosch robbt mühsam durchs Gras. Ein schlechter Horrorfilm? Nein - harte Realität. Missbildungen bei Amphibien sind zu einem weltweiten Problem geworden, dessen Ursachen Forscher erst Schritt für Schritt enträtseln. Nun haben Wissenschaftler ein neues Puzzleteil ins Spiel gebracht.
Missgebildeter Frosch
Mitte der 1990er Jahre machte eine Schulklasse in Minnesota einen Ausflug zu einem Tümpel. "Stillgewässer" stand auf dem Exkursionsplan. Die Lehrerin fing einen Leopardfrosch, doch als sie bemerkte, dass mit seinen Beinen etwas nicht stimmte, setzte sie ihn zurück ins Wasser. Aber auch das nächste Tier taugte nicht, um den Kindern die Froschanatomie nahezubringen. Erschrocken bemerkte die Gruppe schließlich, dass mehr als die Hälfte der dortigen Frösche überzählige oder fehlende Gliedmaßen hatte.

Seit dieser Entdeckung wird auf der ganzen Welt immer häufiger von verkrüppelten Fröschen berichtet. Allein in Nordamerika haben Forscher solche Fehlbildungen bei etwa sechzig Amphibienspezies beobachtet, in einigen lokalen Lebensgemeinschaften sind – einer Studie des National Wildlife Health Centers zufolge – sogar bis zu sechzig Prozent der Individuen betroffen.

Frosch mit Missbildungen | Eine hohe Nährstoffbelastung von Gewässern fördert das Algenwachstum, das wiederum die Vermehrung der Wasserschnecke – einem Zwischenwirt eines parasitischen Saugwurms – begünstigt. Die Parasitenlarven befallen Kaulquappen und beeinträchtigen die Entwicklung der Beine.
Wegen ihrer enormen geografischen Verbreitung haben die Krüppelfrösche die Aufmerksamkeit vieler Wissenschaftler auf sich gezogen. Was ist es, das die Entwicklung der Gliedmaßen heranwachsender Kaulquappen derart beeinträchtigt? Wissenschaftler verdächtigten Fressfeinde, die den Quappen Verletzungen zufügen. Auch Pestizide und UV-Strahlung sind seit Langem in Diskussion.

Ende der 1990er Jahre haben Wissenschaftler schließlich entdeckt, dass ein parasitischer Saugwurm Missbildungen bei Amphibien verursacht. Seine Larven bohren sich in Kaulquappen und bilden Zysten in den wachsenden Gliedmaßen. Die Tiere entwickeln daraufhin überzählige oder zu wenige Beine. Doch warum besonders in den letzten Jahren der Parasitenbefall zugenommen hat, blieb weiterhin ein Rätsel.

Eine Forschergruppe um Pieter Johnson von der Universität Colorado hat nun einen möglichen Zusammenhang aufgedeckt. Die Wissenschaftler bestückten 36 künstlich angelegte Tümpel mit Kaulquappen des Amerikanischen Grünfrosches (Rana clamitans), Wasserschnecken (Planorbella trivolvis) und Algen. Schließlich gaben die Wissenschaftler Eier des Saugwurms Ribeiroia ondatrae sowie Sticksoff und Phosphor, die zentralen Wirkstoffe gebräuchlichen Pflanzendüngers, in unterschiedlicher Dosierung dazu.

Die Antwort der Miniatur-Ökosysteme war eindeutig: Je mehr Nährstoffe in den Kunsttümpeln schwammen, desto rasanter wuchsen die Algen – zur Freude der Schnecken, die sich an dem nassen Grün weideten und folglich immer zahlreicher wurden. Da die Kriechtiere wiederum ein beliebtes Refugium für eine Sorte von Saugwurmlarven (Miracidien) sind, die sich in ihren Wirten in eine andere Larvenform (Zerkarien) umwandeln, nahm auch deren Zahl mit steigender Nährstoffkonzentration zu. Und – wie nicht anders zu erwarten – blieb auch der letzte Tümpelbewohner von den juvenilen Parasiten nicht verschont: In der Nährbrühe wurden zwei- bis fünfmal so viele Kaulquappen von den Zerkarien durchbohrt, wie in den nährstoffarmen Gewässern.

Weil sich das Experiment nur auf die Sommermonate beschränkte, die Kaulquappen des Amerikanischen Grünfrosches aber mehr als ein Jahr benötigen, um zu stattlichen Fröschen heranzuwachsen, konnten die Forscher während der Datenaufnahme noch keine Fehlbildungen erkennen. Doch Johnson erklärt, dass schon zwölf der winzigen Saugwurmlarven eine einzelne Kaulquappe töten oder missbilden können.

Erstmals habe damit eine Studie gezeigt, dass eine Nährstoffanreicherung in Gewässern die Zahl der Parasiten hochtreibe und somit auch die Häufigkeit der Amphibien-Infektionen, so der Forscher. Ein weiteres Argument dafür, Gewässer, in denen sich Amphibien fortpflanzen, vor zu hohen Nährstoffeinträgen zu schützen.

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