News: Warum verschwanden die Maya?
Der Urwald ist vom Boden aus gesehen überall recht gleichartig bewachsen. Man kann mitten auf einer antiken Straße stehen, ohne es zu merken, meint Sever. Aus der Luft oder aus einer erdnahen Umlaufbahn ist da schon mehr zu erkennen, besonders mit einem geeigneten Instrument wie dem Thematic Mapper der Landsat-Satelliten. Über verschiedene Scanner nimmt dieser feine Unterschiede in der Färbung oder der Höhe des Bewuchses wahr und erkennt so noch nach Jahrhunderten die Spuren des menschlichen Einflusses in der Vegetation.
Auf den Falschfarbenbildern sind zum Beispiel Dämme zu erkennen. Doch erst die Erkundung am Boden gewährleistet, daß keine Verwechslung vorliegt. Die Archäologen mußten also auf bewährte Weise nach Tonscherben, komprimierter Erde, Abfällen und anderen kulturellen Zeugnissen suchen.
Was sie finden, haben die Maya in der Zeit von 250 bis kurz nach 900 unserer Zeit zurückgelassen. Damals gab es viele Städte, die sich um Tempel herum bildeten und über ein gut ausgebautes Straßennetz miteinander verbunden waren. Petén hatte damals eine der höchsten Einwohnerdichten der menschlichen Geschichte: In den Städten lebten über 1 000 Leute auf einem Quadratkilometer und auch auf dem Lande noch zwischen einem Fünftel und der Hälfte davon. "Dann verschwanden sie einfach innerhalb von nur 100 Jahren, vielleicht sogar in nur 20 Jahren", erzählte Sever. "Zwischen 830 und 930 fiel die Population um zwei Drittel und nahm anschließend jahrhundertelang ab. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war sie schließlich fast bei Null angekommen."
Zunächst interessierte die Wissenschaftler, wie die Maya so viele Menschen ernähren konnten. Denn eigentlich war das Land schon seit dem Jahre 300 überbevölkert, und dennoch nahm die Populationsdichte immer weiter zu. "Wir glauben, daß die Bajos, die etwa 40 Prozent des Landes einnehmen, der Grund sind", sagte Sever. Bajos sind jahreszeitliche Überschwemmungsgebiete. Sie sind auf Satellitenbildern gut auszumachen. Allerdings lassen sich anhand der Aufnahmen nur drei Typen unterscheiden, während die Einheimischen sieben verschiedene Arten von Bajos kennen. Zwei oder drei von ihnen sind auch während der Trockenzeit feucht genug, um saisonabhängige Landwirtschaft zu ermöglichen. Auf den bewaldeten "Inseln" in den Bajos fanden die Archäologen Ruinen und Artefakte. Sie werten das als Zeichen dafür, daß die Bajos eine wichtige Rolle im Leben der Maya spielten. Den Ergebnissen der Feldarbeiten zufolge waren nahezu alle Inseln früher durch menschliche Siedlungen belegt. Ob es sich dabei allerdings um langfristige Anlagen handelte oder nur gelegentliche, kurze Lagerstätten, wird zur zeit noch erforscht.
Die Aufgabe ist schwierig, denn es gibt keine Aufzeichnungen darüber, wie die Maya lebten. "Alles – Kochgeschirr, Steinschnitzereien und andere Artefakte – hat ihr religiöses Leben und den Glauben, das Militär sowie politische Ereignisse zum Thema", erläuterte Sever. "Nichts zeigt das Alltagsleben. Daher kennen wir noch nicht die Beziehungen der Bajo-Gemeinschaften zum gesamten Netz der Mayagesellschaft und -wirtschaft."
Trotz der gut funktionierenden Landwirtschaft in den Bajos brach die Zivilisation der Maya plötzlich zusammen. Sever bemerkt: "Wir sehen Anzeichen von Häusern und Tempeln, die ohne Reparaturversuche zerfallen sind, Hinweise auf Menschen, die gelebt haben wie in post-Apokalypse-Filmen." Möglicherweise konnten die Überlebenden der Katastrophe sogar nicht einmal mehr die Schriftzeichen ihrer Vorfahren lesen.
Die Wissenschaftler vermuten, daß das Verschwinden der Bäume über die Ursache des Niedergangs Aufschluß geben kann. Ein Klimawechsel hätte auch die Bajos trockenfallen lassen können. Infolgedessen waren die Maya gezwungen, den Urwald zu Farmland umzugestalten. Doch trotz seiner Artenvielfalt ist der Dschungel ein armes Ökosystem. Er verfügt über keine tiefe Bodenschicht, in der sich das Leben selbst stabilisieren kann. Stattdessen muß alles penibel recycelt werden. Innerhalb weniger Jahre waren die gerodeten Felder ausgelaugt. Die Bauern wanderten also weiter und bestellten neue Äcker. Da der Boden sich jedoch für Jahrhunderte nicht erholte, entzogen sie sich so ihre eigene Lebensgrundlage.
Den gleichen Prozeß erkennen die Forscher auf Satellitenbildern, welche die Abholzung des Regenwaldes in heutiger Zeit dokumentieren. Ironischerweise beschleunigen ausgerechnet Fortschritt und Frieden den zerstörerischen Vorgang. Wenigstens seit 1720 gab es eine konstante Bevölkerungsdichte in der Region. In den 60er Jahren gab die Regierung von Guatemala sie für die Entwicklung frei, was effektiv bis zum Bürgerkrieg in den späten 70er und den 80er Jahren genutzt wurde. Die Population stieg bis 1986 rasant von 26 000 auf über 300 000 an. Das Abkommen zwischen den verfeindeten Parteien erlaubt vielfältige Nutzung des Maya Biosphere Reserve, einschließlich Brandrodung, selektiven Holzschlag und Tierfang.
Bilder, die in Abständen von wenigen Jahren aufgenommen wurden, zeigen, daß 90 Prozent der Abholzungen innerhalb von zwei Kilometern um Straßen geschehen. "Es ist, als sähe man ein Blutgefäß wachsen, damit der Tumor sich ausbreiten und Gewebe fressen kann", vergleicht Sever.
Bei seinen Besuchen in den Dörfern und Siedlungen verteilt der Wissenschaftler immer Satellitenbilder der Region, um die betroffenen Menschen auf die Gefahr aufmerksam zu machen und von ihnen Informationen zu erhalten, die nicht aus den Aufnahmen hervorgehen. Und er hofft, daß diese Leute nicht den Fehler der Maya wiederholen.
Der Heidelberger Verlag Spektrum der Wissenschaft ist Betreiber dieses Portals. Seine Online- und Print-Magazine, darunter »Spektrum der Wissenschaft«, »Gehirn&Geist« und »Spektrum – Die Woche«, berichten über aktuelle Erkenntnisse aus der Forschung.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.