Kosmischer Vandalismus: Was verbog die Milchstraße?
Die Scheibe unserer Milchstraße ist deutlich verbogen, aber niemand weiß, warum. Das bestätigt jetzt eine detaillierte Vermessung von 2400 veränderlichen Sternen durch ein Forscherteam um Dorota M. Skowron von der Universität Warschau. Auf Basis dieser Daten präsentiert die Arbeitsgruppe in »Science« eine dreidimensionnale Karte unseres Milchstraßensystems, die verdeutlicht, was andere Untersuchungen bisher nur ahnen ließen. Sie zeigt, dass die dünne Scheibe unserer Galaxis, welche die meisten Sterne enthält, deutlich verbogen ist. Ab einer Entfernung von 25 000 Lichtjahren vom Zentrum biegen sich die Außenbereiche der Scheibe auf einer Seite nach oben, auf der anderen nach unten. Außerdem erwies sich die Scheibe außen als deutlich dicker als innen. In der Nähe der Sonne hat sie mit 500 Lichtjahren nur ein Sechstel der Mächtigkeit der äußeren Bereiche.
Das Team um Skowron bestimmte die genauen Entfernungen von 2400 Cepheiden, einer besonderen Klasse von veränderlichen Sternen. Cepheiden zeichnen sich dadurch aus, dass diese Überriesen-Sterne langsam pulsieren und dabei ihre Helligkeit markant ändern. Dabei gilt: Je länger die Periode dauert, desto heller ist der Stern. So lässt sich durch die Bestimmung der Helligkeitsperiode eindeutig feststellen, wie hell der Stern absolut ist – und damit auch seine Entfernung. Cepheiden sind zudem sehr leuchtstark, ihre Leuchtkraft übertrifft diejenige unserer Sonne um das 100- bis 10 000-Fache, so dass man sie auch quer durch die Galaxis noch sieht. Die Arbeitsgruppe nutzte Daten aus dem Projekt OGLE, das Optical Gravitational Lensing Experiment, das systematisch die Helligkeiten aller Sterne im Blickfeld hinweg erfasst. Eigentlich sucht OGLE nach Gravitationslinsen, aber als »Beifang« gingen auch viele veränderliche Sterne ins Netz.
Die Cepheiden sind vor allem in der dünnen Scheibe der Milchstraße zu finden – die sich so mit ihnen gut kartieren ließ. Dass die äußere Scheibe leicht verformt ist, kommt nicht unerwartet und ist für Spiralgalaxien nicht ungewöhnlich. Allerdings ist noch unklar, was genau den Effekt auslöst. Eine Möglichkeit ist, dass einst eine andere Galaxie mit ihrer Schwerkraft die Scheibe verzerrte – aber möglicherweise ist die Form auch das Resultat der inneren Dynamik unserer Galaxie. Es gibt Hinweise darauf, dass die Verzerrung auf die Präzession der inneren Scheibe zurückgeht, deren Masse die äußere Scheibe quasi mitschleppt – aber mit einiger Verzögerung.
Doch nicht nur die Verzerrung demostriert die neue Karte in bisher unbekannter Deutlichkeit, die Daten zeigen auch begrenzte Flecken von Cepheiden ähnlichen Alters, die begründete Vermutungen über ihre gemeinsamen Geburtsorte zulassen. So befinden sich die meisten Cepheiden im Alter zwischen 20 und 90 Millionen Jahren in einer Zusammenballung, die näher am galaktischen Zentrum liegt als die Sonne, während 140 bis 260 Millionen Jahre alte Sterne einen losen, aber strukturierten Verbund näher am Rand bilden. Simulationen zeigten, dass sich dieses Muster auf Sternbildungsschübe in spezifischen Spiralarmen zu bestimmten Zeiten erklären lässt – die Entfernungsdaten geben nicht nur Einblick in die Form, sondern auch die Geschichte der Milchstraße und ihrer Spiralarme.
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