Direkt zum Inhalt

Permafrost: Die Zeitbombe im hohen Norden

Angesichts des Klimawandels tauen immer mehr Permafrostböden auf. Das setzt Klimagase frei und bringt Berge und Bauten ins Wanken.
Permafrost

Die Gletscher der Eiszeit haben in vielen Regionen der Erde ihr Erbe hinterlassen: Ähnlich wie heute in der Antarktis hatten vor 20 000 Jahren riesige Eisschilde große Teile der Nordhalbkugel der Erde unter sich begraben. Auch in den eisfreien Gebieten, etwa im Norden Sibiriens oder in Teilen Alaskas, waren die Temperaturen gesunken. Während über dem Norden Europas und Nordamerikas aber die Eispanzer trotz ihrer Minustemperaturen den unter ihnen liegenden Boden und Fels vor der eisigen Kälte der Luft isolierten, fehlte diese Wärmedecke über weiten Teilen Sibiriens und Alaskas.

Ohne diesen Schutz fraß die Eiseskälte sich immer tiefer in den Boden – und der ist bis heute vielerorts nicht mehr aufgetaut. »Bis in Tiefen von 1500 Metern reicht dieser dauernd gefrorene Permafrost in einigen Gebieten Sibiriens, in anderen sind es einige hundert Meter«, erklärt Hans-Wolfgang Hubberten. Beinahe ein Vierteljahrhundert, seit dem Jahr 1992, hat der Geochemiker die Permafrost-Forschung des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) in Potsdam geleitet und in dieser Zeit jedes Jahr ein paar Monate lang oft unter widrigsten Bedingungen die Dauerfrostböden im Norden Sibiriens, Kanadas, Alaskas und des Tibet-Plateaus unter die Lupe genommen. Häufig steckten die Forscher im Lena-Delta im hohen Norden Sibiriens bis über die Knöchel im Schlamm.

Oben Schlamm, unten Eis

»Im Sommer tauen die obersten Schichten des Dauerfrostbodens nämlich oft einen Meter tief oder noch ein wenig tiefer auf«, erklärt der AWI-Forscher. Weiter unten aber bleibt der Untergrund fest gefroren und erfüllt so die Definition, nach der ein Permafrostboden mindestens in zwei Jahren durchschnittliche Temperaturen unter null Grad Celsius haben muss. Dort hält sich also noch immer die Kälte der Eiszeit. In den Regionen, in denen einst riesige Eiskappen die Erde unter sich begruben, reicht der Dauerfrostboden dagegen deutlich weniger tief in den Untergrund, im Norden Skandinaviens sind es oft nur ein paar Meter.

Steilwand mit Permafrost | Die Steilwand eines Kraters in Sibirien, der vermutlich von einer geschmolzenen Eislinse übrig blieb. In der Steilwand erkennt man noch die Permafrostschichten.

Insgesamt ist so auf der Nordhalbkugel der Erde rund ein Viertel der gesamten Landfläche Permafrost. Meist handelt es sich um die Regionen in hohen Breiten. So ist in Russland gut die Hälfte der Landesfläche Dauerfrostboden, auch große Teile von Alaska und Kanada gehören dazu. Auf der Südhalbkugel der Erde gibt es mangels größerer Gebiete ohne Eispanzer in der Nähe des Südpols nur wenige Dauerfrostböden.

Dazu kommen noch die hoch gelegenen Gebirgsregionen. »In den Schweizer Alpen sind ungefähr 3,5 bis 4 Prozent der Fläche Permafrost«, erklärt Marcia Phillips, die am WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) in Davos die Permafrost-Gruppe leitet. Auch in den Alpen kann der Dauerfrost einige hundert Meter mächtig sein, hohe Felsgipfel wie das Matterhorn können komplett durchgefroren sein. An Nordhängen reicht der Permafrost bis auf 2400 oder 2500 Meter über dem Meeresspiegel hinunter, während er an sonnigen Südhängen erst in größerer Höhe beginnt.

Jahrtausendealte Permafrostböden

Sammelt sich im Gebirge am Fuß von Hängen der Schnee von Lawinen, bedecken oft spätere Felsstürze und Muren diese Schicht mit Geröll und Schlamm. So eine Auflage isoliert die darunterliegenden Schichten wie eine harte Decke von der Sommerwärme. Dadurch können solche Dauerfrostböden auch in viel tieferen Lagen bis in 1200 oder 1300 Metern über dem Meeresspiegel entstehen. Nehmen die Lawinen immer wieder eine ähnliche Bahn, werden diese Permafröste, die anders als die steilen Felswände viel Schnee und vor allem Eis enthalten, immer dicker und können oft einige Jahrtausende alt werden.

Aus solchen Schichten ragen oft große Felsblöcke heraus. Fällt im Frühwinter Schnee, bleiben die Blöcke häufig kahl. Während die weiße Decke den Rest der Landschaft isoliert, kann durch die Blöcke die Wärme aus der Erde in die Luft strömen. Dadurch kühlt der Boden dort stärker aus und schützt so den Permafrost.

Da der Klimawandel die Temperaturen auch in der Höhe nach oben treibt, geht er am gefrorenen Fels der Alpengipfel ebenfalls nicht spurlos vorüber. Das Gestein wird wärmer und brüchiger. Im Permafrost mit wenig Eis gibt es daher häufiger Felsstürze, die weiter unten den Schnee vorheriger Lawinen überdecken. Dort wächst darum die isolierende Deckschicht und konserviert so den Permafrost. Dieser wiederum ist im Grunde eine Mischung aus Eis und Geröll und ähnelt damit einem Gletscher, der mit großen Mengen Schutt und Felsbrocken durchsetzt ist.

Straßenschäden durch Permafrostschwund | Für die Infrastruktur ist es katastrophal, wenn der Permafrost taut: Dadurch entstehen schwere Schäden an Straßen – wie hier in Kanada – , Bahnlinien oder Pipelines.

Was macht der Klimawandel mit dem Dauerfrost?

Daher verhält sich dieser Permafrost ähnlich und beginnt auf Hängen langsam zu fließen. Und weil im Gebirge nur wenig Untergrund eben ist, fließen solche »Block-Gletscher« meist mit einer Geschwindigkeit von einigen Dezimetern bis einigen Metern im Jahr talwärts. Erreichen die eisigen Massen steileres Gelände, beschleunigen sie. »Oft landet das Gestein dann in steilen Rinnen, und ein heftiges Gewitter genügt, um das lockere Material als Mure zu Tal schießen zu lassen«, erklärt SLF-Forscherin Marcia Phillips. Der Klimawandel wärmt diesen Permafrost zusätzlich auf; im Sommer fällt in der Höhe öfter Regen, der in solche Blockgletscher eindringt und sie so letztendlich beschleunigt. Kurzum: Muren werden häufiger.

»Auch der Dauerfrostboden in Sibirien oder im Norden Kanadas verändert sich«, ergänzt Hans-Wolfgang Hubberten. Nur könnte die Reaktion heftiger ausfallen als in anderen Weltgegenden. Schließlich hat der Klimawandel die Lufttemperaturen auf der Erde seit Beginn der Industrialisierung um rund ein Grad Celsius steigen lassen, im hohen Norden fiel die Erwärmung jedoch doppelt so groß oder sogar noch stärker aus.

Um herauszubekommen, wie die steigenden Temperaturen den Permafrost beeinflussen, haben die Forscher aus verschiedenen Nationen rund 600 Löcher in den gefrorenen Untergrund gebohrt und mit Temperaturfühlern bestückt. Bis in Tiefen von 10 oder 15 Metern erwärmt sich der Permafrost fast überall. Dort, wo der Boden einst im Sommer bis in einen Meter Tiefe auftaute, sind es heute eher 1,2 Meter oder mehr.

Teufelskreis See

Taut der Permafrost bis in größere Tiefen, entsteht auch mehr Schmelzwasser, was nach unten nicht abfließen kann, weil dort der Dauerfrostboden bestehen bleibt und den Weg versperrt. So wachsen die Sümpfe und Seen. Das zwar kalte, im Vergleich zum gefrorenen Untergrund aber relativ warme Wasser taut weiteren Permafrost auf. Solche Seen können also wachsen und tiefer werden. Und das kann eine verhängnisvolle Rückkopplung auslösen: Ist das Wasser tiefer als zwei Meter, friert der See im Winter normalerweise nicht mehr bis zum Boden durch. Deshalb kann das flüssige Wasser in der Tiefe auch in der kalten Jahreszeit weiteren Permafrost auftauen, und der See vertieft sich immer weiter.

Wenn der Dauerfrostboden im Sommer bis in immer größere Tiefen auftaut, verschwindet er in den Regionen bald ganz, in denen er nur wenig in die Tiefe reicht. Tatsächlich hat sich die Grenze des Permafrostbodens in Kanada und Russland im Süden bereits um bis zu 100 Kilometer nach Norden zurückgezogen.

Von sehr verblüffenden Vorgängen berichten russische Forscher in den letzten Jahren: Vor allem auf der Jamal-Halbinsel weit im Nordwesten Sibiriens scheinen sich unter dem Permafrostboden große Gasblasen zu sammeln. In ihnen steigt der Druck offensichtlich stark an. Nach einiger Zeit gibt der gefrorene Boden an einer Schwachstelle nach, und das Gas entweicht in einer riesigen Druckexplosion schlagartig in die Atmosphäre. Bei diesen Ereignissen entstehen Explosionskrater, die einen Durchmesser von 50 bis 100 Metern haben und sich später mit Wasser füllen.

Gasblasen explodieren nach warmen Sommern

Solche runden Seen gibt es auf der Jamal-Halbinsel schon sehr lange. Nur scheinen diese Druckexplosionen in den letzten zehn Jahren zugenommen zu haben. Weil sie anscheinend nach außergewöhnlich langen und warmen Sommern viel häufiger auftreten, sehen russische Forscher einen Zusammenhang mit dem Klimawandel. Eine wichtige Rolle scheinen auch Methanhydrate zu spielen, in denen Wassereis Methangas stabil einschließt, das zum Beispiel entsteht, wenn Mikroorganismen ohne Sauerstoff im Untergrund Pflanzenreste abbauen.

Permafrostlandschaft | Die Landschaft in Permafrostgebieten hat oft ein typisches Aussehen mit den charakteristischen Frostmusterböden.

Solche Methanhydrate bilden sich, wenn der Druck relativ hoch ist und die Temperaturen niedrig sind. Wird es wärmer, werden diese festen Verbindungen instabil, und das in ihnen steckende Methan kann schlagartig entweichen. Findet eine solche Gasblase einen Weg durch den Permafrostboden nach oben, sinkt der Druck. Dadurch wird weiteres Gas aus den restlichen Methanhydraten frei, das schließlich in einer starken Druckexplosion einen Krater in den Permafrostboden sprengt.

Weshalb solche Gasblasen ausgerechnet dort auftreten und sich in anderen Regionen Sibiriens kaum beobachten lassen, erklärt AWI-Forscher Hans-Wolfgang Hubberten mit der einstigen Grenzlage dieser Gegend: In der letzten Eiszeit lag die Jamal-Halbinsel genau zwischen der mächtigen Eiskappe, die sich von Skandinavien bis in die Norddeutsche Tiefebene und eben auch bis zur Jamal-Halbinsel erstreckte, und der eisfreien Kältesteppe, über die damals Mammuts und andere riesige Säugetiere zogen. Darum war die Jamal-Halbinsel teilweise mit Eis bedeckt und teilweise eben nicht. »Dort ist der Permafrost also sozusagen löchriger«, sagt Hans-Wolfgang Hubberten.

Wie viel Methan könnte aus dem Permafrost entweichen?

In solchen Schwächezonen setzen außergewöhnlich lange und warme Sommer, wie sie in den vergangenen Jahren häufiger auftraten, vermehrt Methan aus den Hydraten im Untergrund frei. Ob die Explosionen allerdings wie von den russischen Forschern vermutet tatsächlich mit dem Klimawandel rasant zunehmen, lässt sich bisher kaum klären: Die Beobachtungen reichen allenfalls bis 2014 zurück und sind damit zu kurz für eine zuverlässige Analyse. Auch wenn bei diesen Explosionen erhebliche Mengen des sehr starken Klimagases Methan schlagartig in die Atmosphäre gelangen, vermutet Martin Heimann vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena keinen starken Einfluss auf das Weltklima: »Dazu ist das betroffene Gebiet einfach zu klein.«

Allerdings fragen sich Klimaforscher schon länger, welche Mengen Methan der Permafrostboden im hohen Norden heute bereits in die Atmosphäre entlässt und wie stark er damit das Klima anheizt. Vor allem aber interessiert sie die Frage, welche Methanmengen aus dem Dauerfrostboden kommen werden, wenn der Klimawandel die arktischen Gebiete in Zukunft weiter kräftig aufwärmt. Genau diese Frage versuchen Martin Heimann und seine Kollegen mit 300 Meter hohen Messtürmen und einigen anderen Einrichtungen zu klären, die sie in der Taiga und Tundra Sibiriens und in einigen anderen Regionen aufgebaut haben. Mit diesen Geräten messen die Forscher, welche Mengen der Treibhausgase Kohlendioxid und Methan zwischen Luft und festem Land ausgetauscht werden. Damit bestimmen sie sozusagen den Pulsschlag der Kohlenstoffsenken und -quellen.

Die Forscher haben gute Gründe für ihre aufwändigen Messungen: Die riesigen Flächen der Dauerfrostböden in Sibirien und Nordamerika speichern gigantische Mengen Kohlenstoff. Er stammt aus Pflanzen, die einst dort gewachsen sind und dabei Kohlendioxid aus der Luft gefischt und in Blätter, Holz, Wurzeln und andere Biomasse umgewandelt haben. Die Überreste dieser Pflanzen wurden im Dauerfrostboden gut konserviert. Taut der Permafrost im Sommer an der Oberfläche auf, zersetzen Mikroorganismen diese Überreste aus vergangenen Zeiten. Unter Wasser entsteht dabei erst einmal das sehr starke Treibhausgas Methan. Taut der Dauerfrostboden durch den Klimawandel länger auf, produziert er in den sumpfigen Gebieten auch mehr Methan.

Permafrostböden setzen Treibhausgas frei

Strömt dieses Methan zum Beispiel durch Schilfhalme rasch aus dem Boden an die Oberfläche, erreicht es wie in einem Aufzug die Atmosphäre und kann dort das Klima aufheizen. Fehlen ein paar Meter entfernt dagegen die Schilfhalme, steigt das Methan nur langsam im Boden nach oben. Unterwegs aber warten schon andere Mikroorganismen, die sich von Methan ernähren und dabei das viel schwächere Treibhausgas Kohlendioxid produzieren. Die Dauerfrostböden Sibiriens bilden also einen schwer überschaubaren, aber riesengroßen Flickenteppich, aus dem jeder Flicken andere Mengen von Treibhausgasen freisetzt.

Steigen die Temperaturen im Klimawandel, haben die Pflanzen auf diesen Dauerfrostböden im Sommer mehr Zeit zum Wachsen. Zusätzlich beschleunigt der steigende Kohlendioxidgehalt der Luft das Wachstum weiter. Dadurch holt die Vegetation mehr Kohlendioxid aus der Luft. »Insgesamt sind Dauerfrostböden mit ihrer Vegetation daher heute immer noch Senken für Kohlendioxid«, fasst Martin Heimann die Situation zusammen. Bleibt die spannende Frage, ob dieser Effekt in Zukunft die zunehmende Freisetzung von Methan und Kohlendioxid durch den weiter auftauenden Permafrost ausgleichen wird.

»Insgesamt sind Dauerfrostböden mit ihrer Vegetation heute immer noch Senken für Kohlendioxid«
Martin Heimann

Oberdrein kommen weitere Effekte ins Spiel. In der Tundra etwa bilden sich auf dem Permafrostboden so genannte Polygone aus trockenen Flächen, die durch sumpfige Kanäle voneinander getrennt sind. Dabei leiten die trockenen Bereiche weniger Sommerwärme in die Tiefe und schützen damit den Dauerfrostboden. In den Kanälen kurbeln die Mikroorganismen derweil die Produktion von Methan an und beschleunigen so den Klimawandel.

Durch die steigenden Temperaturen dringen auch Gehölze immer weiter nach Norden vor. » Heute wachsen oft Sträucher an Stellen, an denen sie noch vor zwei Jahrzehnten keine Chancen hatten«, schildert Hans-Wolfgang Hubberten die Situation. Unter diesem Gestrüpp wächst häufig eine dicke Moosschicht, die den Dauerfrostboden vor der Sommerwärme schützt. Andererseits verstärkt der Klimawandel die Niederschläge: »Im fernen Osten Sibiriens hatten wir in den Wintern 2017/18 und 2018/19 fast doppelt so viel Schnee wie in früheren Jahren«, berichtet Martin Heimann. Die dickere Schneedecke isoliert im Winter und verhindert, dass Wärme aus dem Boden strömt. Dadurch kühlt der Permafrost weniger aus.

Wie dieser Wettlauf zwischen verschiedenen Prozessen ausgeht, interessiert Klimaforscher vor allem deshalb, weil in den Permafrostböden des hohen Nordens insgesamt zwischen 1100 und 1500 Milliarden Tonnen Kohlenstoff gespeichert sein dürften. Damit steckt im Dauerfrostboden deutlich mehr Kohlenstoff als in der gesamten Atmosphäre der Erde, die rund 800 Milliarden Tonnen Kohlenstoff enthält. Das Klimapotenzial des Permafrostes ist also gewaltig. Insgesamt könnten die sich rasch erwärmenden Dauerfrostböden bis zum Jahr 2100 etwa 140 Milliarden Tonnen Kohlenstoff zusätzlich freisetzen, befürchten die AWI-Forscher. »Bis zum Ende des Jahrhunderts steigen die durchschnittlichen Temperaturen auf der Erde dadurch möglicherweise um zusätzliche 0,1 Grad Celsius«, übersetzt Hans-Wolfgang Hubberten diesen Wert.

»Bis zum Ende des Jahrhunderts könnten die durchschnittlichen Temperaturen auf der Erde um zusätzliche 0,1 Grad Celsius steigen«
Hans-Wolfgang Hubberten

Dabei verändern der Klimawandel und die stark steigenden Temperaturen bereits heute die Dauerfrostböden enorm. In den Alpen melden Bergführer und Bergwanderer der SLF-Forscherin Marcia Phillips heute viel mehr Risse im Fels oder brüchig werdende Berggrate als noch vor wenigen Jahren. Zudem lässt der tauende Permafrost Felsstürze vermehrt auftreten. Solche Veränderungen machen nicht nur Bergwanderern zu schaffen, sondern auch den Menschen, die in den Permafrostgebieten leben und wirtschaften. So können langsame Bewegungen des Untergrunds durch vermehrtes Auftauen die Fundamente der Pfeiler von Bergbahnen verschieben, damit die Seilführung verändern und so deren Stabilität verringern. Daher werden die Stützen von Bergbahnen inzwischen oft auf Schienen gebaut, um solche Geländebewegungen auszugleichen.

Beschleunigen die steigenden Temperaturen Blockgletscher und lösen damit häufiger Muren aus, sind die Straßen und Bahnen gefährdet, die in ihrem Weg liegen. Anders als vor Schneelawinen können Zäune vor diesen Gerölllawinen und Muren allerdings nicht schützen. Stattdessen müssen die Verantwortlichen viel teurere Schutzdämme bauen, die die Muren auffangen oder zumindest an gefährdeten Stellen vorbeileiten. Anders als der Schnee einer Lawine, der im Sommer normalerweise von selbst abtaut, bleiben solche Geröllmassen hinter den Dämmen liegen. Um den Schutz zu erhalten, müssen daher nach einer Mure die niedergegangenen Massen abgebaggert werden, was nicht nur teuer ist, sondern auch gefährlich, weil ja eine weitere Mure am gleichen Ort niedergehen könnte. »Außerdem gibt es manchmal Schwierigkeiten, das ausgebaggerte Material irgendwo zu deponieren«, erläutert Marcia Phillips ein weiteres Problem.

Schwierige Situation in der Arktis

Absinkende Gebäude | Manch kleinere Ortschaft im hohen Norden musste bereits teilweise oder ganz aufgegeben werden: Wenn der Permafrost verschwindet, können Gebäude einsinken und unbewohnbar werden.

Noch schwieriger ist die Situation für die Menschen auf den tauenden Dauerfrostböden der Arktis. So versumpfen einige Regionen viel stärker als früher. Das behindert die traditionellen Wanderungen der Ureinwohner auf der Jamal-Halbinsel, der Nenzen-Hirten, und ihrer Rentiere im Nordwesten Sibiriens inzwischen enorm, weil die Tiere auf dem tiefen Untergrund ihre Sommerweiden kaum noch erreichen können.

Dazu kommt die Bildung von »Thermokarst«: Taut das Eis im Boden, verringert sich das Volumen, und das Land sinkt ein. Häufig fließt das Schmelzwasser in solche Senken und reißt bei dieser »Thermo-Erosion« viel Boden mit. In den folgenden Jahren wiederholen sich solche Vorgänge häufig. Mit der Zeit verändert sich so die Landschaft sehr stark.

»Wegen sehr starker Erosion müssen in Kanada und Alaska bereits heute ganze Dörfer umgesiedelt werden«
Hans-Wolfgang Hubberten

Betroffen dürften weltweit in den kommenden Jahren aber auch mehrere Millionen Menschen sein, die auf den Dauerfrostböden leben. Taut der Permafrost, reißt das Wasser von Meeren und Flüssen viel mehr Land von den Küsten und Ufern weg als früher. »Wegen dieser sehr starken Erosion müssen in Kanada und Alaska bereits heute ganze Dörfer umgesiedelt werden«, erklärt AWI-Forscher Hans-Wolfgang Hubberten.

Im Binnenland bringt das große Tauen ebenfalls riesige Probleme. Damit Häuser oder Pipelines nicht umkippen, wenn im Sommer der Dauerfrostboden auftaut, werden Bauten beispielsweise mit Pfeilern im gefrorenen Untergrund verankert. Nur reichen ältere Pfeiler nicht mehr tief genug, weil der Boden heute bereits viel stärker auftaut. Die Folgen sieht man in Großstädten auf dem Permafrost wie Jakutsk in Zentralsibirien. Dort drohen etliche Häuser umzukippen und Straßen, Flughäfen sowie Pipelines schwer beschädigt oder zerstört zu werden.

WEITERLESEN MIT »SPEKTRUM +«

Im Abo erhalten Sie exklusiven Zugang zu allen Premiumartikeln von »spektrum.de« sowie »Spektrum - Die Woche« als PDF- und App-Ausgabe. Testen Sie 30 Tage uneingeschränkten Zugang zu »Spektrum+« gratis:

Jetzt testen

(Sie müssen Javascript erlauben, um nach der Anmeldung auf diesen Artikel zugreifen zu können)

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.