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News: Wie die Insekten ihre Beine verloren

Fossile Funde zeigen, dass unsere heutigen Insekten von Tieren abstammen, die wie Tausendfüßler aussahen: Sie bildeten an ihrem gesamten Hinterkörper Beine aus. Nun haben amerikanische Wissenschaftler die Gene identifiziert, die dafür verantwortlich sind, dass die Insekten im Laufe der Evolution den größten Teil ihrer Beine 'verloren'. Die Reduktion der Extremitäten auf den Brustbereich ermöglichte eine Reihe von Spezialisierungen der einzelnen Segmente und ist offenbar ein Grund, warum diese Tiergruppe so ausgesprochen erfolgreich ist.
Über die Jahrmillionen der Evolution entwickelten sich die Insekten von tausendfüßlerähnlichen Tierchen zu den Käfern, Fliegen, Schmetterlingen und Flöhen, die wir heute kennen. Von ihrer Vielzahl an Beinen sind ihnen nur drei Paar in der Mitte des Körpers – dem so genannten Thorax – erhalten geblieben. Normalerweise ist der Verlust von Gliedmaßen keine positive Erfahrung, aber im Falle der Insekten scheint er günstig gewesen zu sein. Die beinlosen Segmente konnten sich auf unterschiedlichste Weise spezialisieren und zum Beispiel Flügel ausbilden.

"Wenn man einen Stein aufhebt, kann man darunter Tausendfüßler finden. Aber sie sind nicht überall anzutreffen wie Insekten. Es scheint einen ganz erheblichen evolutionären Vorteil darzustellen, sechs Beine und Flügel zu besitzen", erklärt Randy Bennett von der Brigham Young University in Provo, Utah. Den Entwicklungsbiologen interessierte vor allem die Frage, was die molekularen Grundlagen der Veränderung sind.

Seit langem war bekannt, dass ein als "Hox-Gene" bezeichnetes Gencluster in der Entwicklung vieler Tiere – von Würmern, Fliegen, Mäusen bis Menschen – eine ganz entscheidende Rolle spielt. Es dient als eine Art "Hauptschalter", der weitere Gene an- oder abschaltet. Benett und seine Kollegen von der University of Wisconsin wussten, dass bei der Taufliege zwei dieser Gene, abdominal A (Abd-A) und ultrabithorax (Ubx), die Bildung von Extremitäten im Hinterleib mit bewirken. Daher waren die beiden Hox-Gene die Hauptkandidaten ihrer Untersuchungen über die genetischen Grundlagen des "Beinverlustes".

Man weiß erst wie wertvoll etwas ist, wenn es weg ist. Diese alte Weisheit wenden auch Molekularbiologen an: Um die Funktion von Genen zu untersuchen, schalten sie diese einfach aus. Als Bennett und seine Kollegen das Ubx-Gen stilllegten, zeigte sich nichts Besonderes: Die untersuchten Käfer hatten nicht mehr Beine als andere Insekten. Auch als sie Abd-A ausschalteten, entwickelten die Tiere nur kleine Stümpfe an ihrem Hinterleib.

Zwei Gene gleichzeitig auszuschalten, die sich auf dem selben Chromosom relativ nahe beieinander befinden, war bisher ausgesprochen schwierig. Die Forscher wendeten daher eine neue Methode an. Sie injizierten RNA-Stränge, die sich im Käferembryo verteilten und dort Ubx und Abd-A spezifisch inaktivierten. "Und dann hatten wir überall Beine", freut sich Bennett. Die Information für Extremitäten am Hinterleib ist immer noch im Erbgut der Insekten vorhanden, erklärt er. Aber das Gen Abd-A hat sich im Laufe der Evolution so verändert, dass es die diese Anweisung unterdrückt. Ubx hat sich dagegen so entwickelt, dass sich statt der Beine etwas anderes bildet. Das Ausschalten beider Gene brachte den Käfer auf ein urzeitliches Niveau zurück und ihm sprossen in jedem Segment Beine.

"Wir wissen nun ein kleines bisschen mehr darüber, wie sich das Leben entwickelte über die Veränderungen der Zeit", sagt Bennett. Er sieht seine Entdeckung allerdings auch als eine Art warnenden Hinweis. Die Sequenzierung des gesamten menschlichen Genoms und die Kenntnis über die Funktion vieler Gene birgt die Möglichkeit, in Zukunft Krankheiten durch das gezielte Ausschalten einzelner Gene frühzeitig zu verhindern. Aber wie Bennetts Käferstudie sowie andere Untersuchungen gezeigt haben, kontrollieren nicht einzelne Gene, sondern Gennetzwerke die Funktionen des Lebens. Wenn wir nicht wissen, wie sich die Genen miteinander unterhalten und interagieren, können wir auch nicht abschätzen, welche Konsequenzen es hat, wenn ein Gen inaktiviert wird, sagt der Wissenschaftler. Seiner Meinung nach demonstriert die Entwicklungsbiologie, die "Diversität der Genfunktionen, die uns vorsichtiger machen sollte, wenn wir uns weiter hinein ins Unbekannte begeben".

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