Das Ende des Atlantiks?: Wie Europas Meeresboden zerreißt
Die Lösung zum größten Rätsel der Geologie liegt womöglich vor der Küste Portugals. Dort, in bis zu 250 Kilometer Tiefe unter dem Atlantik, geschieht Seltsames: Erdbeben, wo keine sein sollten, und ein Tropfen aus festem Gestein, der sich in die Tiefe wölbt. Diese Merkwürdigkeiten, behauptet nun der Geophysiker João Duarte von der Universität Lissabon, seien der Anfang vom Ende des gesamten Atlantiks. Der hängende Tropfen aus Gestein ist seiner Ansicht nach die Vorhut einer ganzen Erdplatte auf dem Weg in die Tiefe. Dort reiße der untere Teil des Meeresbodens ab, berichtete er im April 2019 auf einer Konferenz der Europäischen Geophysikalischen Union – und dadurch entstehe ein neuer Tiefseegraben. Solche als Subduktionszonen bezeichneten Bereiche, an denen Meeresboden in den Erdmantel abtaucht, treiben die Bewegung der Kontinente an – und lassen über Jahrmillionen ganze Ozeane verschwinden. Doch wie und warum sie entstehen, ist bisher völlig ungeklärt.
Die seltsamen Vorgänge vor Portugal könnten das Rätsel lösen. Dass sich in diesem oberflächlich völlig unscheinbaren Bereich der Tiefsee exotische Vorgänge abspielen, vermuten Fachleute schon eine ganze Weile. Im Jahr 1969 erschütterte ein äußerst starkes Erdbeben die Region – und sein Ursprung lag mitten in dieser scheinbar inaktiven Zone. Bereits 2013 stellte Duarte seine Vermutung in den Raum, dass sich die Tektonik Europas dort grundsätzlich zu ändern beginnt. Bisher nämlich sind die Küsten des Atlantiks passive Kontinentränder: Sie entfernen sich voneinander, und die Grenzen der Erdplatten, an denen sich Erdbeben und Vulkane sammeln, liegen weit draußen am Mittelatlantischen Rücken, wo neuer Meeresboden entsteht.
Doch die Ruhe birgt schon den Keim des Untergangs – ganz buchstäblich. Die ohnehin sehr dichte ozeanische Kruste und die mit ihr verbundene feste Schicht des obersten Erdmantels werden immer kälter und dichter, vor Portugal kühlen sie seit über 150 Millionen Jahren ab. Wenn sie könnten, würden die Gesteine von sich aus im heißen, leichten und zähflüssigen Erdmantel darunter versinken. Das aber verhindert der Kontinent, mit dem der Meeresboden fest verbunden ist. Und die Verbindung bricht nicht so einfach, denn anders als die kompliziert geschichteten und gefalteten Kontinente sind die Erdplatten unter dem Meer recht einheitliche, stabile Bretter.
Duarte glaubt nun entdeckt zu haben, wie dieses Brett splittert. Der Schlüssel ist seiner Ansicht nach eine chemische Umwandlung, die sich langsam in den mit der obersten Kruste verbundenen, festen Teil des Erdmantels hineinfrisst. Dieser enthält das grüne Mineral Olivin, das mit Wasser zu Serpentinit reagiert – und dieses umgewandelte Gestein, so der Forscher, sei eine Schwächezone, an der die untere Portion der Erdplatte, der lithosphärische Mantel, abgerissen sei. Die schweren Erdbeben entstünden genau unterhalb dieser Schwächezone, nach Duarte sind sie ein Symptom des beginnenden Untergangs. Denn direkt unterhalb der Erdbeben wiederum zeigen seismische Untersuchungen eine seltsame, vermutlich kalte und dichte Gesteinszone, die bis zu 250 Kilometer tief in den heißen Mantel hineinragt – laut dem Forscher die vordere Kante der in Zukunft abtauchenden Erdplatte.
Erste Simulationen zeigten, dass dieses Szenario tatsächlich unter bestimmten Bedingungen eintreten könne. Der Prozess werde begünstigt durch die komplizierte geologische Situation direkt südlich der fraglichen Zone: Dort schließen sich eine Seitenverschiebung quer durch den Nordatlantik sowie die Kollisionszone zwischen Europa und Afrika an. Bereits 2013 hatte ein Team um den Wissenschaftler gemutmaßt, das Abtauchen von Platten in den Erdmantel sei quasi ansteckend – und könnte vom Mittelmeer auf die Zone von Portugal überspringen. Wenn Duarte Recht behält, ist das der Anfang vom Ende des Atlantiks – und der Beginn eines neuen Zyklus von Ozeanen und Gebirgen, an dessen Ende sich sogar alle Erdteile zu einem neuen Superkontinent vereinen könnten.
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