Künstliche Intelligenz: Wie KI Klimaprognosen verbessert
Wie entstehen Wolken? Das zu modellieren, war bis vor ein paar Jahren noch mühsame Handarbeit: Fachleute mussten dafür berechnen, wie Wassertröpfchen, Luftströmung und Temperatur zusammenwirken, und dann die entsprechenden Gleichungen aufstellen. Doch seit 2017 hat künstliche Intelligenz (KI) deren Arbeitsweise verändert. »Durch maschinelles Lernen macht diese Wissenschaft jetzt viel mehr Spaß«, sagt etwa der Klimaforscher Tapio Schneider vom California Institute of Technology. »Es geht viel schneller, ist zufrieden stellender und man kann bessere Lösungen finden.«
Herkömmliche Klimamodelle werden von Forschenden wie Schneider von Grund auf manuell erstellt. Sie gießen die physikalischen Prozesse in mathematische Gleichungen, um zu berechnen, wie Land, Ozean und Luft zusammenwirken und das Klima beeinflussen. Diese Modelle funktionieren zwar recht gut, um Klimaprognosen zu erstellen, aber sie brauchen leistungsstarke Supercomputer. Ihre Berechnungen dauern zudem manchmal Wochen und sind energieintensiv. Ein typisches Modell benötige bis zu zehn Megawattstunden Energie, um das Klima eines Jahrhunderts zu simulieren, sagt Schneider. Im Durchschnitt entspricht dies etwa der Strommenge, die ein US-Haushalt pro Jahr verbraucht. Darüber hinaus haben solche Modelle Schwierigkeiten, kleinräumige Vorgänge zu simulieren, wie etwa die Bildung von Regentropfen, erklärt der Wissenschaftler. Aber diese spielen oft eine wichtige Rolle in der Wetter- und Klimavorhersage.
Doch mit der KI-Revolution ändert sich das gerade: Systeme maschinellen Lernens können Muster in Datensätzen erkennen – und genau das hat sich bei der Wettervorhersage als hilfreich erwiesen. »Die Entwicklung des maschinellen Lernens für Klimaprojektionen sieht wirklich viel versprechend aus«, sagt der Informatiker Aditya Grover von der University of California in Los Angeles. Ähnlich wie in den Anfängen der Wettervorhersage gebe es derzeit eine Flut von Innovationen, die die Klimaforschung verändern könnten, so Grover. Allerdings gebe es auch noch Hürden zu überwinden – unter anderem sind nicht alle davon überzeugt, dass die Prognosen der KI-Systeme immer richtig sind.
Drei Wege für die Klima-KI
Fachleute nutzen KI für die Klimamodellierung im Wesentlichen auf drei Arten. Der erste Ansatz besteht in der Entwicklung von Modellen auf der Basis maschinellen Lernens, so genannten Emulatoren. Diese liefern die gleichen Ergebnisse wie herkömmliche Modelle, ohne dass sie dafür alle mathematischen Berechnungen durchführen müssen.
Um das zu verstehen, kann man sich ein herkömmliches Klimamodell als ein Computerprogramm vorstellen, das auf der Grundlage physikalischer Faktoren berechnen kann, wo ein Ball landet. Die dafür notwendigen Faktoren sind zum Beispiel die Wurfstärke, der Ort des Abwurfs und die Rotationsgeschwindigkeit des Balls. Emulatoren können als Äquivalent zu einer Person betrachtet werden, die den Ball immer wieder wirft und dabei aus den Mustern lernt. Sie kann schließlich vorhersagen, wo der Ball landen wird, ohne das bewusst zu berechnen.
In einer Studie aus dem Jahr 2023 entwickelte eine Gruppe um den Klimawissenschaftler Vassili Kitsios von der Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation in Melbourne 15 Modelle für maschinelles Lernen, die 15 physikalische Modelle der Atmosphäre nachbilden können. Die Forschenden trainierten ihr System, das sie QuickClim nannten, anhand der Projektionen der physikalischen Modelle für zwei mögliche Szenarien der Oberflächentemperatur bis zum Jahr 2100 abhängig von der atmosphärischen Kohlenstoffkonzentration: ein Szenario mit niedrigen und ein Szenario mit hohen Kohlenstoffemissionen. Das Training jedes Modells habe nur etwa 30 Minuten auf einem Laptop gedauert, sagt Kitsios. Dann prognostizierten die Forscher mit Hilfe der QuickClim-Modelle die Temperaturen für ein mittleres Kohlenstoffemissionsszenario, das die Modelle während des Trainings nicht gesehen hatten. Die Ergebnisse stimmten genau mit denen der konventionellen physikalischen Modelle überein.
Verblüffend schnelle Vorhersage ganz ohne Physik
Einmal mit allen drei Emissionsszenarien trainiert, konnte QuickClim vorhersagen, wie sich die globalen Oberflächentemperaturen im Lauf des Jahrhunderts unter vielen verschiedenen Kohlenstoffemissionsszenarien verändern würden – dabei war QuickClim laut Kitsios etwa eine Million Mal schneller als das herkömmliche Modell. »Mit QuickClim können wir jetzt Tausende von Szenarien analysieren – weil es so schnell ist«, sagt er.
QuickClim könnte eines Tages politischen Entscheidungsträgern helfen, indem es mehrere Szenarien untersucht, deren Simulation mit herkömmlichen Ansätzen viel zu lange dauern würde. Modelle wie QuickClim würden physikbasierte Modelle nicht ersetzen, erläutert Kitsios, aber könnten sie ergänzen.
Ein anderes Team unter der Leitung des Atmosphärenforschers Christopher Bretherton am Allen Institute for Artificial Intelligence in Seattle, Washington, hat einen Emulator für ein physikalisches Atmosphärenmodell. In einer Preprint-Studie aus dem Jahr 2023 beschreibt das Team, dass es zunächst einen Trainingsdatensatz für das Modell namens ACE entwickelte. Dafür wurden zehn Sätze atmosphärischer Ausgangsbedingungen in ein auf physikalischen Gesetzmäßigkeiten basierendes Modell eingespeist. Für jeden Satz prognostizierte das Modell, wie sich 16 Variablen – darunter Lufttemperatur, Wasserdampf und Windgeschwindigkeit – im nächsten Jahrzehnt verändern würden.
KI-Vorhersage ist 100-mal energieeffizienter
Nachdem ACE trainiert wurde, konnte es Vorhersagen für die nächsten sechs Stunden machen, indem es Schätzungen aus den vergangenen sechs Stunden nutzte. Diesen Prozess wiederholte es immer wieder und konnte so Vorhersagen für bis zu zehn Jahre in der Zukunft machen. Und es schnitt dabei gut ab: besser als eine (auf Grund der hohen Rechenleistung etwas abgespeckte) Version des physikbasierten Modells. In diesem Vergleich sagte ACE 90 Prozent der atmosphärischen Variablen genauer voraus, lief 100-mal schneller und war 100-mal energieeffizienter.
Studienautor und Klimawissenschaftler Oliver Watt-Meyer vom Allen Institute for Artificial Intelligence erinnert sich, wie verblüfft er war: »Ich war von dem Ergebnis beeindruckt. Diese ersten Ergebnisse deuten darauf hin, dass Modelle erstellt werden können, die sehr schnell und genau sind und viele verschiedene Szenarien umfassen.«
Für den zweiten Ansatz erarbeiten Fachleute zunächst »Basis«-Modelle für die Klimavorhersage. Diese können später für eine breite Palette klima- und wetterbezogener Aufgaben optimiert werden. Diese Basismodelle, im Englischen »foundation models« genannt, beruhten auf der Idee, erklärt Informatiker Grover, dass es in den Daten grundlegende, möglicherweise unbekannte Muster gibt, die das künftige Klima bestimmen. Indem sie diese bisher verborgenen Muster aufspüren, könnten die Basismodelle bessere Klima- und Wettervorhersagen erstellen als herkömmliche Ansätze.
KI erkennt bislang unbekannte Muster in Klimadaten
In einer Publikation aus dem Jahr 2023 beschreibt Grover gemeinsam mit einem Team von Microsoft Research, wie sie das erste derartige Basismodell mit dem Namen ClimaX entwickelt haben. Es wurde anhand der Ergebnisse von fünf physikbasierten Klimamodellen trainiert, die das globale Wetter und Klima von 1850 bis 2015 simulierten. Darin enthalten waren Faktoren wie Lufttemperatur, Luftdruck und Luftfeuchtigkeit, die auf Zeitskalen von Stunden bis Jahren simuliert wurden. Im Gegensatz zu Emulatormodellen wurde ClimaX nicht auf die spezifische Aufgabe trainiert, ein bestehendes Klimamodell nachzuahmen.
Nach diesem allgemeinen Training stimmte das Team ClimaX so ab, dass es eine breite Palette von Aufgaben erfüllen konnte. Bei einer Aufgabe sagte das Modell die durchschnittliche Oberflächentemperatur, die tägliche Temperaturspanne und die weltweiten Niederschläge anhand der Eingangsvariablen Kohlendioxid-, Schwefeldioxid-, Schwarzkohle- und Methanwerte voraus. Diese Aufgabe schlug eine Gruppe um den Atmosphärenphysiker Duncan Watson-Parris von der University of California, San Diego, 2022 in einer Studie als Benchmark für den Vergleich von KI-Klimamodellen vor.
ClimaX sagte den Zustand der temperaturbezogenen Variablen besser voraus als drei Klimaemulatoren, die Watson-Parris' Team entwickelt hatte. Bei der Vorhersage von Niederschlägen habe ClimaX jedoch weniger gut abgeschnitten als der beste dieser drei Emulatoren, gibt Grover zu.
»Mir gefällt die Idee von Basismodellen«, sagt Duncan Watson-Parris. Trotzdem bewiesen diese ersten Ergebnisse noch nicht, dass ClimaX herkömmliche Klimamodelle übertreffen könne, ergänzt er, oder dass Basismodelle den Emulatoren an sich überlegen sind.
In der Tat werde es schwierig sein, Menschen davon zu überzeugen, dass KI generell herkömmliche Ansätze übertreffen kann, prognostiziert Tapio Schneider. Die Ergebnisse der KI lassen sich auch schwer verifizieren – schließlich kann niemand wissen, wie genau sich das künftige Klima entwickelt. Und es ist natürlich nicht praktikabel, Jahrzehnte zu warten, um zu sehen, wie gut die Modelle funktionieren. Klimamodelle anhand der Werte aus der Vergangenheit zu testen ist nützlich, aber kein perfektes Maß dafür, wie gut sie eine Zukunft vorhersagen können, die sich wahrscheinlich stark von dem unterscheidet, was die Menschheit bis heute erlebt hat. Sobald die Modelle besser in der saisonalen Wettervorhersage werden, sind sie vielleicht auch besser in der langfristigen Klimavorhersage, sagt Schneider. »Aber soweit ich weiß, ist das noch nicht bewiesen worden.«
Darüber hinaus ist die Funktionsweise vieler KI-Modelle schwer zu interpretieren – ein Problem, das als Blackbox bekannt ist und das Vertrauen in KI erschweren könnte. »Bei Klimaprojektionen muss man dem Modell absolut vertrauen, wenn es extrapoliert«, sagt Watson-Parris.
Das Beste aus den beiden ersten KI-Ansätzen
Ein dritter Ansatz besteht darin, Komponenten des maschinellen Lernens in physikbasierte Modelle einzubetten, um hybride Modelle zu erstellen – eine Art Kompromiss. In diesem Fall würden die Modelle mit maschinellem Lernen nur die Teile der konventionellen Modelle ersetzen, die weniger gut funktionieren – typischerweise die Modellierung von kleinräumigen, komplexen, aber relevanten Prozessen wie Wolkenbildung, Schneedecke und Flussströmungen. Diese sind laut Schneider ein »zentraler Knackpunkt« in der herkömmlichen Klimamodellierung. »Ich denke, der Heilige Gral ist der Einsatz von maschinellem Lernen oder KI-Tools, um zu lernen, wie man kleinräumige Prozesse darstellen kann«, sagt er. Solche hybriden Modelle könnten besser abschneiden als rein physikbasierte Modelle und gleichzeitig vertrauenswürdiger sein als Modelle, die ausschließlich auf KI beruhen.
»Ich denke, der Heilige Gral ist der Einsatz von maschinellem Lernen oder KI-Tools, um zu lernen, wie man kleinräumige Prozesse darstellen kann«Tapio Schneider, Klimaforscher
In diesem Sinn haben Tapio Schneider und seine Kollegen physikalische Modelle der Erdatmosphäre und des Bodens entwickelt, die maschinelles Lernen für eine Hand voll solcher kleinräumiger Prozesse enthalten. Laut dem Forscher schneiden diese Modelle bei Tests von Flussströmungs- und Schneedeckenprognosen im Vergleich zu historischen Beobachtungen gut ab. »Wir haben festgestellt, dass Machine-Learning-Modelle bei der Simulation bestimmter Phänomene erfolgreicher sein können als physikalische Modelle«, sagt er. Watson-Parris stimmt dieser Einschätzung zu.
Schneider und sein Team hoffen, bis Ende des Jahres ein hybrides Modell der Meere fertig zu stellen, das im Rahmen des CliMA-Projekts (Climate Modeling Alliance) mit den Modellen für Atmosphäre und Land gekoppelt werden kann.
Ähnliche Bestrebungen, »digitale Zwillinge« der Erde zu erstellen, gibt es bei der NASA und der Europäischen Kommission. Das europäische Projekt mit dem Namen Destination Earth (DestinE) geht im Juni 2024 in seine zweite Phase, in der das maschinelle Lernen eine Schlüsselrolle spielen wird, sagt Florian Pappenberger, der die Abteilung für Vorhersagen am Europäischen Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage in Reading, Großbritannien, leitet.
Das ultimative Ziel, erklärt Tapio Schneider, sei es, digitale Modelle der Erdsysteme zu erstellen, die teilweise durch KI unterstützt werden und alle Aspekte des Wetters und des Klimas bis hinunter zu Kilometerskalen mit großer Genauigkeit und hoher Geschwindigkeit simulieren können. Mit der KI-Revolution ist dieses Ziel in greifbare Nähe gerückt.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.