Lichtverschmutzung: Die gescheiterte LED-Revolution
Wenn Wissenschaftler enttäuscht sind von ihren Resultaten, dann passen diese meistens nicht zu ihrer bevorzugten Hypothese. In diesem Fall sitzt die Enttäuschung tiefer: "Ehrlich gesagt hatte ich gedacht und gehofft, dass wir mit den LEDs die Kurve kriegen", sagt Christopher Kyba. Als ehemaliges Mitglied des Direktoriums der Internationalen Dark-Sky Association und Wissenschaftler am Geoforschungszentrum in Potsdam erforscht er den gar nicht mehr so schleichenden Verlust der Nacht durch künstliche Beleuchtung nicht nur, er setzt sich auch für den Erhalt der natürlichen Dunkelheit ein. Die jüngsten Ergebnisse, heute gemeinsam mit einer Gruppe von Kollegen in der Fachzeitschrift "Science Advances" veröffentlicht, zeigt aber, dass dieses Ziel bestenfalls in weiter Ferne liegt.
Die Wissenschaftler nutzten das gemeinsam von NASA und NOAA betriebene Visible Infrared Imaging Radiometer Suite Day-Night Band (VIIRS DNB) an Bord des Wettersatelliten Suomi NPP, um die Veränderungen der globalen Emissionen künstlichen Lichts bei Nacht zwischen Oktober 2012 und Oktober 2016 zu vergleichen. Das VIIRS-Instrument ist das erste Radiometer im Orbit, das kalibrierte Daten der Lichtemissionen auf der Nachtseite der Erde zur Verfügung stellt. Frühere Untersuchungen mussten sich meist auf unkalibrierte Daten militärischer Satelliten stützen. "Der Sensor ist für sichtbares und Nahinfrarotlicht zwischen etwa 500 und 900 Nanometer empfindlich," erklärt Kimberly Baugh von der Universität von Colorado in den USA. "Zum Vergleich: Das menschliche Auge registriert Wellenlängen zwischen 400 und 700 Nanometer." Ein Pixel des DNB erfasst zudem eine Fläche von etwa einem halben Quadratkilometer auf dem Erdboden. Damit ist auch die räumliche Auflösung von VIIRS erheblich besser als die seiner Vorgänger. Veränderungen in der Beleuchtungsintensität können bereits auf dem Niveau von einzelnen Stadtvierteln untersucht werden.
Was die Wissenschaftler mit dem VIIRS DNB herausfanden, wird vor allem Astronomen missfallen: Die irdische Nacht wird immer heller. Von 2012 und 2016 wuchs die künstlich beleuchtete Fläche unseres Planeten um 9,1 Prozent, das sind im Schnitt 2,2 Prozent Zuwachs pro Jahr. Auch bereits erleuchtete Gebiete wurden um 2,2 Prozent pro Jahr heller. Nur sehr wenige Gegenden zeigten eine Abnahme des künstlichen Lichts, darunter vor allem vom Krieg gebeutelte Länder wie Syrien oder Jemen. In einigen besonders hell beleuchteten Ländern, etwa Italien, Spanien und den Vereinigten Staaten, blieb das Beleuchtungsniveau recht konstant. Deutschland verzeichnet einen geringen Zuwachs. Vor allem die Länder Asiens, Afrikas und Südamerikas emittieren deutlich mehr Licht als vor fünf Jahren, von wenigen Ausnahmen abgesehen: Die Beleuchtung nimmt also vor allem dort besonders stark zu, wo Lichtverschmutzung bis vor Kurzem noch kein Thema und ein dunkler Himmel selbstverständlich war.
Dieser Befund an sich ist jedoch nicht allzu überraschend: Steigender Verbrauch von elektrischem Licht ist seit seiner Erfindung stets ein Indikator für zunehmenden Wohlstand und Bevölkerungswachstum gewesen. Es ist vielmehr die Tatsache, dass der Übergang zu halbleiterbasierten Beleuchtungsmittel keinen umgekehrten Effekt zu haben scheint, die Kyba und seine Kollegen besorgt: "Wir wissen, dass LEDs Energie sparen, etwa wenn eine Stadt ihre Straßenbeleuchtung von Natriumdampflampen auf LED umstellt. Schauen wir aber auf unserer Daten, dann scheinen diese Einsparungen durch neue oder hellere Lampen kompensiert zu werden." Es ist ein klassischer Bumerangeffekt: Billigeres Licht sorgt nicht für Kosteneinsparung, sondern für mehr Licht.
Eine schlechte Nachricht nicht nur für Astronomen: "Die belebte Welt hat sich sei jeher auf natürliche Hell-Dunkel-Zyklen eingestellt", erklärt Franz Hölker vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin. "Aus evolutionärer Perspektive ist Kunstlicht ein erst seit sehr kurzer Zeit auftretender Stressor. Viele Organismen haben nicht genug Zeit gehabt, sich anzupassen: Die natürlichen Lichtzyklen werden folglich durch die Einführung von Kunstlicht erheblich gestört." Etwa 30 Prozent der Wirbeltiere sind nachtaktiv, bei den Wirbellosen sogar mehr als 60 Prozent. Aber auch Pflanzen und Mikroorganismen werden von künstlichem Licht beeinflusst, und erst langsam beginnen Wissenschaftler mögliche negative Auswirkungen des Verschwindens der Nacht auf die menschliche Gesundheit zu verstehen. Dabei ist noch nicht einmal das ganze Ausmaß dieses Prozesses in den Satellitendaten erkennbar: Das DNB-Instrument ist im Wellenlängenbereich unter 500 Nanometer nicht empfindlich, also ausgerechnet im Bereich des blauen Lichts – dort, wo Weißlicht-LEDs besonders viel Strahlung emittieren. Blaues Licht wird in der Atmosphäre am stärksten gestreut und ist damit besonders stark für den sogenannten "Skyglow" verantwortlich, also die weithin sichtbaren Lichtglocken über Städten und Ortschaften. Auch ist blaues Licht vermutlich besonders schädlich für Organismen aller Art. Spanische Forscher haben erst vor Kurzem errechnet, dass die Differenz zwischen den Satellitendaten und dem menschlichen Empfinden hinsichtlich der Nachthimmelhelligkeit bei vollständiger Umstellung auf LEDs im Bereich von astronomischen Größenklassen liegen kann.
Und doch sind LEDs nicht notwendigerweise gleichbedeutend mit schädlichem weißen Licht, meint Kyba: "Einer der wirklich großen Vorteile von LEDs ist die Möglichkeit, verschiedene Lichtfarben herzustellen. Städte können auch LED-Lampen kaufen, aus deren Licht die blaue Komponente entfernt wurde." Momentan werden solche "PC Amber" oder "True Amber" genannten LEDs allerdings meist nur in Gebieten eingesetzt, deren Nachthimmel aus zum Beispiel astronomischen Gründen unter Schutz steht. Und solange nicht ein substanzieller Teil der Bevölkerung auf die schädlichen Nebenwirkungen von immer mehr, immer hellerer und zunehmend weißer Nachtbeleuchtung aufmerksam wird und auf den Einsatz besserer Leuchtmittel drängt, wird der Übergang zu einer hellen weißen LED-Welt weiter voranschreiten – und damit mögliche Einsparpotenziale ungenutzt bleiben.
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