Covid-19: Wie Sars-CoV-2 Zellen am Suizid hindert
Das Pandemie-Coronavirus saugt möglicherweise Signalmoleküle ab, durch die sich beschädigte Zellen selbst vernichten. Dieser Mechanismus könnte den Unterschied zwischen Covid-19 und den fast immer mild verlaufenden Erkältungs-Coronaviren erklären, vermutet ein Team um James Callawn von der University of Alabama. Demnach wirkt das Erbgut des Virus als »RNA-Schwamm«, der durch genau passende Basenabfolgen microRNA bindet. Das sind kurze RNA-Ketten, die selbst nicht in Proteine übersetzt werden, sondern an codierende mRNA binden und so steuern, wie viel dieses Proteins entsteht.
Laut der in »Lung Cellular and Molecular Physiology« veröffentlichten Analyse fängt das Erbgut von Sars-CoV-2 insgesamt 28 microRNAs ab, die normale Erkältungs-Coronaviren nicht binden. Viele dieser Signalmoleküle kommen in Zellen der Lunge vor; mutmaßlich spielen sie eine Rolle beim programmierten Zelltod und der Unterdrückung von Tumoren. Frühere Forschungen zeigen nach Ansicht der Autoren, dass Störungen an diesen microRNAs mit Erkrankungen wie Lungenkrebs und Zystischer Fibrose in Verbindung stehen. Das Team um Callawn vermutet deswegen, dass das Coronavirus infizierte Zellen auf diese Weise länger am Leben erhält und sich so effektiver vermehrt.
Dass Viruserbgut als »RNA-Schwamm« wirken und so in die Genregulation eingreifen kann, kennt man von anderen Krankheitserregern wie Herpesviren, dem Epstein-Barr-Virus und dem Erreger von Hepatitis C. Auch bei den früher aufgetretenen neuen Coronaviren Sars-CoV und Mers-CoV identifizierten Arbeitsgruppen auf bestimmte microRNAs zielende Erkennungssequenzen. Seit einigen Jahren diskutieren Fachleute sogar künstliche Erbgutsequenzen mit RNA-Schwamm-Funktion als Behandlungsmethode für verschiedene Erkrankungen.
Allerdings ist noch unklar, ob der Befund wirklich bestimmte Eigenschaften von Sars-CoV-2 erklärt. Zwar passen die Erbgutsequenzen von Virus und microRNAs zusammen, doch ob in der realen Zelle eine Wechselwirkung stattfindet und welche Folgen sie hat, ist damit nicht nachgewiesen. Tatsächlich legen Untersuchungen an anderen mutmaßlichen RNA-Schwämmen nahe, dass dort nur ein kleiner Bruchteil der vorhergesagten microRNA tatsächlich beeinflusst wird.
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