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News: Wie wir räumlich sehen

Auf bestimmte Nervenzellen kommt es beim räumlichen Sehen an: Ruhr-Universität Bochum und Pariser Biologen weisen verantwortliche Neuronen nach.
Wie ist es eigentlich möglich, beim morgendlichen Kaffeetrinken gezielt zur Tasse zu greifen, ohne den Blick vom Leitartikel zu wenden? Ein bedeutender Schritt zur Klärung dieser Frage ist unlängst Wissenschaftlern am Pariser Collège de France, unter ihnen der Bochumer Neurobiologe Dr. Frank Bremmer (Mitarbeiter von Prof. Dr. Klaus-Peter Hoffmann, Lehrstuhl für Allgemein Zoologie und Neurobiologie, Fakultät für Biologie der Ruhr-Universität Bochum gelungen. Sie haben bestimmte Nervenzellen (Neurone) im Hirn von Primaten nachweisen können, die die Lage eines Objektes in der Umwelt trotz unterschiedlicher Blickrichtungen immer gleich anzeigen. Diese Neurone wurden in einem als ventralen intraparietalen Areal (VIP) bezeichneten Bereich des Makakengehirns nachgewiesen. In weiteren Untersuchungsschritten soll nun geklärt werden, welches Koordinatensystem dieser nicht netzhautzentrierten Kodierung zugrunde liegt. Ihre Ergebnisse werden in der Ausgabe von NATURE vom 23. Oktober 1997 publiziert.

Wie verarbeitet das Gehirn räumliche Zusammenhänge

Bei den Untersuchungen der Wissenschaftler ging es um die Frage, wie im Gehirn von Primaten Information über räumliche Zusammenhänge verarbeitet wird. Bereits früher durchgeführte Arbeiten hatten auf die Wichtigkeit eines bestimmten Bereiches des Großhirns (Cortex), eines als Scheitellappen oder Parietalcortex bezeichneten Gebietes, hingewiesen. So verursachen Schädigungen des rechten posterioren Parietalcortex (PPC) bei Menschen massive, meist permanente Störungen der Wahrnehmung und der Orientierung im Raum (Exploration des contralateralen extrapersonalen Halbraumes). Menschen können Hindernissen in diesem Raumbereich nicht ausweichen, können nicht gezielt zu Objekten in diesem Bereich greifen, etc. Verletzungen des rechten wie aber auch des linken PPC bei nicht-menschlichen Primaten verursachen ähnliche Ausfallerscheinungen. Erst innerhalb der letzten 10 Jahre jedoch konnten Untersuchungen vor allem mittels funktioneller Kernspintomographie direkte Analogien zwischen Strukturen des sogenannten occipitalen sowie des parietalen Bereiches des Neo cortex des Menschen und denen nicht-menschlicher Primaten (Makaken) aufzeigen. Makaken als Tiermodell zur Studie des Parietalcortex erscheinen deshalb gerechtfertigt und insbesondere notwendig, da beispielsweise nur an ihnen notwendige verhaltensrelevante Untersuchungen angestellt werden können.

Kopf- oder körperzentriertes Koordinatensystem

Genauere Untersuchungen an Parietalcortexpatienten konnten zeigen, daß die Verarbeitung sensorischer Information verschiedener Modalitäten bezüglich eines abstrakten Konzepts, eines sogenannten kopf- oder körperzentrierten, internen Koordinatensystems gestört ist. Die wichtigste, zunächst zu beantwortende Frage auf dem Weg zum besseren Verständnis der Arbeitsweise des Gehirns bestand für die Pariser und Bochumer Neurobiologen deshalb darin, zu untersuchen, ob es explizite neuronale Korrelate zu solchen Koordinatensystemen gibt.

Erregte Zellen und ihr Mißverhältniss zur Kaffeetasse

Visuelle Information wird zunächst, einer Kamera gleich, auf der Netzhaut abgebildet. Dies führt zur Erregung von Nervenzellen, sogenannter Neurone, die die Information zur weiteren Verarbeitung mittels elektrischer Impulse unter anderem zum Cortex weiterleiten. Das Referenz- oder Koordinatensystem für die visuelle Information ist deshalb das Auge. Verändern wir unsere Blickrichtung, so werden gleiche Objekte der Umwelt, wie beispielsweise die Kaffeetasse, auf unterschiedliche Bereiche der Netzhaut abgebildet. Andere Zellen der Netzhaut werden erregt und senden ihr Information weiter. Es entsteht nun das Mißverhältnis zwischen einer Verschiebung der Kaffeetasse auf der Netzhaut und ihrem konstanten Aufenthaltsort in der Umwelt. Würde ein Kommando zum Greifen nach der Kaffeetasse allein auf visueller Information bezüglich der Netzhaut basieren, so würden wir die Kaffeetasse bei jedem Blickwechsel verfehlen.

Die verantwortlichen Zellen

Es muß also irgendwo im Laufe der Verarbeitung visueller Information einen Verrechnungsschritt, sprich einen Bereich im Cortex geben, der die Blickwechsel bei der Beurteilung der einlaufenden visuellen Signale berechnet und den Ort eines Objektes in der Umwelt explizit in einem netzhautunabhängigen Koordinatensystem kodiert. Ein genau solches Areal haben die Forscher am Pariser Collège de France finden können. In einem als ventralen intraparietalen Areal (VIP) bezeichneten Bereichs des Makakengehirns konnten sie Neurone nachweisen, die die Lage eines Objektes in der Umwelt trotz unterschiedlicher Blickrichtungen immer gleich anzeigen. In weiteren Untersuchungsschritten soll nun geklärt werden, welches Koordinatensystem dieser nicht netzhautzentrierten Kodierung zugrunde liegt.

Grundlagenforschung mit langfristiger Hoffnung für Hirnverletzte

Primäres Ziel des skizzierten Projektes war eine Verbesserung des Verständnisses der Funktionsweise des posterioren Parietalcortex von Primaten. Langfristig ist aber auch die Weiterentwicklung von Diagnosen oder sogar Therapien von Parietalcortexpatienten, fußend auf den Ergebnissen des Projektes, nicht ausschließen.

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