News: Wissen schafft Arbeit
Die Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg (Stuttgart) hat in einer Studie unter anderem untersucht, warum die bisherigen Reformvorschläge für einzelne Sektoren des Bildungs- und Forschungssystems (zum Beispiel Hochschulen, Duales System der Berufsausbildung, Technolgieförderung) nicht greifen. Beteiligt waren Gutachter aus Universitäten, Landesministerien, Verbänden und dem Bildungsforschungs- und Innovationszentrum der OECD.
Die Studie ergab unter anderem:
Erstens: Es gibt kein Gesamtkonzept, das auch die institutionellen und sozialen Voraussetzungen berücksichtigt, ohne die „Wissen“ nicht erfolgsfördernd wirken kann: die Bedeutung intakter Sozialstrukturen, die verheerende Wirkung von Arbeitslosigkeit und die neuen Herausforderungen der Arbeitswelt an die betriebliche und integrierte Weiterbildung. Die Kluft zwischen erworbenen und auf dem Arbeitsmarkt nachgefragten Kompetenzen ist ein deutlicher Indikator für den ineffektiven Umgang mit der Ressource „Wissen“: Einerseits wird händeringend nach bestimmten Qualifikationen gesucht, andererseits waren bereits 1993 zwischen 12 und 17 Prozent der Hochschul- und Fachhochschulabsolventen und etwa 24 Prozent der Facharbeiter unterwertig beschäftigt. Inzwischen liegt die Arbeitslosigkeit bei Akademikern im Land bei über vier Prozent.
Zweitens: Betriebliche Investitionen in die „Humanressourcen“, etwa in die Aus- und Weiterbildung qualifizierter Mitarbeiter, werden seit Jahren drastisch zurückgefahren. Unter dem Druck des globalen Wettbewerbs zogen es viele Unternehmen vor, in Maßnahmen zur kurzfristigen Erhöhung der Produktivität zu investieren, die sich rasch in Mark und Pfennig rechnen. Unzureichend qualifizierte und motivierte Mitarbeiter sind jedoch nicht in der Lage, das weltweit vorhandene Wissen abzurufen und kreativ zu nutzen.
Drittens: Auch öffentliche Ausgaben für Forschung und Bildung gehen auf breiter Front zurück. So ist der Anteil von Forschungs- und Entwicklungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt zwischen 1989 und 1995 um etwa 20 Prozent gefallen. Der Anteil der Bildungsausgaben an den öffentlichen Ausgaben hat stark abgenommen – beim Haushalt des Landes Baden-Württemberg sank er seit 1971 um ein Viertel von 32 auf 24 Prozent. Bei den Gemeinden nahm er sogar um fast die Hälfte ab (von elf auf sechs Prozent).
Die Akademie legt jetzt strategische Ansätze vor, um die Bildung und Nutzung von „Humanressourcen“ zu verbessern, effizient und sozialverträglich zu gestalten. Ziel ist es, auch in zunehmend globalisierten Märkten regionale Prosperität zu fördern. Zur Förderung attraktiver regionaler Bedingungen schlagen die Wissenschaftler unter anderem den Abbau staatlicher Wachstumshemmnisse und Investitionen in die Infrastruktur vor:
– den forcierten Ausbau der technologischen Infrastruktur (Einrichtungen der Forschung und des Technologietransfers) und der Kommunikationsinfrastruktur (z. B. Datennetze)
– die Förderung der Qualifikationsbreite und -dichte des Arbeitsmarktes
– die Förderung der regionalen Märkte für Zwischengüter und Dienstleistungen (insbesondere Finanz-, Beratungs- und Reparatur/Recyclingdienstleistungen)
– die Vereinfachung von Genehmigungsverfahren für Aufbau und Betrieb von Firmen
– eine Anpassung des Steuersystems (Verminderung der Gesamtbelastung und der Progressivität)
– die Abschaffung der „Gießkannenförderung“ bei Unternehmensgründungen und Bildungsmaßnahmen
– die Förderung von Grundlagenforschung und
– die Entwicklung eines „Netzwerks für lebenslanges Lernen und Arbeiten“
Hinter diesem Netz verbirgt sich ein interaktives, allen Marktteilnehmern leicht zugängliches Informations- und Bewertungssystem. Es ermöglicht allen Nutzern, Bildungs- und Berufsqualifikationen zertifizieren zu lassen – und zwar unabhängig davon, wo und wie sie erworben wurden. Außerdem soll das Netz jedem – also Privatpersonen ebenso wie Behörden und Unternehmen – Daten über alle im Land vorhandenen und nachgefragten Qualifikationen vermitteln. Damit würde für Baden-Württemberg erstmals ein umfassender Überblick über die tatsächlich verfügbaren „Humanressourcen“ existieren. Abrufbar sein sollen in diesem System schließlich auch professionelle Service- und Informationsangebote zum Bildungs- und Arbeitsmarkt.
Weiter liefert das System Daten zu Lernangeboten sowie zu Finanzierungshilfen und -instrumenten. Dem einzelnen vermittelt es Informationen, um seine persönlichen Chancen auf dem Bildungs- und Arbeitsmarkt realistisch einzuschätzen. Besorgniserregenden Entwicklungen in Forschung und Bildungswesen, aber auch auf dem Arbeitsmarkt und im Sozialsystem kann so politisch frühzeitig begegnet werden. Staatliche, betriebliche und private Mittel können durch das „Netz für lebenslanges Lernen und Arbeiten“ effizienter als bisher eingesetzt werden.
Die Akademie empfiehlt, ein solches Netz mit einer dezentralen und nutzerfreundlichen Struktur schrittweise und auf einer breiten interministeriellen Basis aufzubauen. Institutionen der Bildungs- und Arbeitsberatung sowie der Berufsinformation können Ausgangspunkte sein. Langfristig können direkte Zugriffe für Firmen und Personen über Datennetze ins Auge gefaßt werden.
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