Tempelstadt Bagan: Zu viele Tempel, zu wenig Schutz
Am 25. August 2016 erschütterte ein Erdbeben der Stärke 6,8 Zentralbirma. Das Epizentrum lag nahe der historischen buddhistischen Tempel- und Königsstadt Bagan, deren Blütezeit das 11. Jahrhundert war. Die Schäden an den mehr als 3000 von einstmals über 4000 Tempeln aus Ziegelsteinen sind immens. Exakt 428 der Sakralbauwerke einer der größten archäologischen Stätten Südostasiens sind laut Experten beschädigt.
Dem Beben lässt sich aber vielleicht auch ein positiver Effekt abgewinnen. Myanmar bereitet den Antrag auf Aufnahme von Bagan in die Liste des Weltkulturerbes vor. Die demnächst unter fachkundiger Leitung beginnenden Restaurierungsarbeiten bieten so auch eine Chance, die komplexen und komplizierten Bedingungen der UNESCO für eine Wertung historischer Bauwerke als Weltkulturerbe besser zu erfüllen.
Tausende Tempel
Vom Thatbyinnyu-Phaya-Tempel, dem mit über 60 Metern höchsten Sakralgebäude von Bagan, ist die Aussicht über die Tempel, Pagoden und Stupas von Bagan trotz des Bebens überwältigend. U Aung Kyaing, Vorsitzender des Bagan Heritage Trust, zeigt auf das Westufer des Flusses und sagt im Plauderton: "Da drüben am Fuß der Bergkette Rakhine Yoma standen viele der Meiler, in denen die Ziegel für die Tempel gebrannt wurden." Er weiß genau, wie viele Pagoden auf dem 36 Quadratkilometer großen Areal der alten birmanischen Hauptstadt Bagan noch stehen: 3122. Darunter sind ganz große, prachtvolle Tempel wie Ananda oder Gawdawpalin, kleinere wie Sein Nyet und winzige, die wie No. 1122-E nur eine Nummer tragen.
Der 73 Jahre alte ehemalige Direktor des Amts für Archäologie in Bagan hat sein ganzes Leben der Erforschung, dem Schutz und der Restaurierung der Tempel jener Stadt gewidmet, die rund 430 Jahre lang, vom 9. bis zum 13. Jahrhundert, das politische und religiöse Zentrum des ersten vereinten Reichs in Birma war. Wie Angkor in Kambodscha ist Bagan bis heute von zentraler Bedeutung für die kulturelle und religiöse Identität des Landes.
Besucher empfängt U Aung Kyaing in seinem Haus in Alt-Bagan. Das Besucherzimmer ist dermaßen mit Büchern, Karten, Fotos und Bildern vollgestopft, dass man für einen Augenblick über die Grenze zwischen kreativem Durcheinander und akademischem Messietum sinniert. Aber es wird schnell klar: Der Archäologe weiß genau, was in welchem Stapel er was findet. U Aung Kyaing mag aber gar nicht so viel über Tempel, Erdbeben und Schäden erzählen. "Kommen Sie doch morgen früh einfach zum Tempel Thatbyinnyu Phaya. Da kann ich Ihnen alles ganz genau zeigen." Das ist eine ganz besondere Einladung, denn das Innere und die Terrassen des höchsten Bauwerks der Tempelstadt sind Besuchern gewöhnlich verschlossen.
Der Mitte des 12. Jahrhunderts unter König Alaungsithu erbaute Thatbyinnyu Phaya ist überwältigend groß, überwältigend schön und überwältigend massiv. Aber die blauen und grünen Planen, die Bambusgerüste in dem oberen Stockwerk des mehr als 60 Meter hohen buddhistischen Heiligtums zeigen: Auch dieses mächtige Gebäude hat das Erdbeben nicht schadlos überstanden. In schwindelnder Höhe sind provisorische Reparaturarbeiten im Gang. Risse im Boden und an den Decken werden mit Zement aufgefüllt, der säckeweise in den obersten Stock des Tempels gehievt und von Arbeitern in Empfang genommen wird.
Reparaturen mit einfachsten Mitteln
Die Prozedur ist meilenweit entfernt von moderner Technik. Arbeiter am Fuß des Tempels hängen einen Zementsack an ein Seil, das an eine Holzstange geknotet ist. Diese packen die drei junge Arbeiter – ein Mann und zwei Frauen – und setzen den Seilzug in Bewegung, indem sie Schritt für Schritt mit gebücktem Rücken das Seil vom Tempel wegziehen, bis die Last oben angekommen ist. Mit solch einfachen Methoden wurden schon vor hunderten Jahren in tropischer Hitze die Tempel von Bagan erbaut.
U Aung Kyaing führt den Besucher über enge Treppen hoch auf die verschiedenen Terrassen des Tempels. Auf jeder Etage hat der alte Herr mit Begeisterung etwas Besonderes zu zeigen. Zum Beispiel die verblassten Reste der einstmals prachtvollen Fresken in Nischen der ehemaligen Bibliothek. Oder die Schlusssteine in Türbögen und Gewölben. "Sehen Sie, das ganze Gebäude ist aus Ziegelsteinen erbaut. Die Schlusssteine aber sind aus Sandstein." Und immer wieder kommt die Unterhaltung auf Erdbeben zurück. Entweder auf das vom August 2016, wenn frische Risse im Boden, in der Decke oder im Mauerwerk zu sehen sind. Oder auf das aus dem Jahr 1975, an das die vielen mit Beton oder Eisenträgern geflickten Stellen im Mauerwerk erinnern.
Wieder zurück auf dem Boden, muss U Aung Kyaing zu einer Besprechung. Für mich hat er derweil ein Mittagessen mit Experten der UNESCO in einem Restaurant am Ufer des Irrawaddy arrangiert. Nuno Vasco Oliveira, Vittorio Gallinaro und Myo Nyunt Aung, ein Sohn von U Aung Kyaing, erzählen bei Reis, Suppe und birmanischen Currys von den enormen Herausforderungen, vor denen die Archäologen, Seismologen, Statiker, Architekten, Ingenieure und Historiker bei der Restaurierung und Bewahrung der Tempel stehen.
Je länger man zuhört, desto mehr verstärkt sich der Eindruck, dass Erdbeben in Bagan das geringere Übel darstellen. "Viele Bauten haben das Beben erstaunlich gut überstanden", sagt der Archäologe Nuno Vasco Oliveira. "Die meisten Schäden haben Tempel betroffen, die nach dem Beben von 1975 unsachgemäß restauriert wurden." Eine größere Gefahr stellten jedoch der Tourismus und die großen buddhistischen Pilgerscharen für die Tempel dar. Bagan ist das wichtigste Touristenziel in Myanmar. "Zudem sind die Tempel ein lebendiges Kulturerbe. Tausende pilgern zu den großen buddhistischen Festen zu den heiligen Stätten", erklärt der italienische Ingenieur Gallinaro.
Als "größtes Problem" aber haben der Portugiese, der Italiener und ihr birmanischer Kollege Myo Nyunt Aung das weit gehende Fehlen eines einheitlichen, umfassenden Managements des Tempelkomplexes und des Tempeltourismus ausgemacht. Die drei geben aber auch zu, dass vermutlich auch das perfekteste Management angesichts der schieren Zahl der Tempel überfordert wäre. "Man muss bereit sein, über Zugangssperren zu diskutieren", fordert Gallinaro.
Die größeren Probleme: Tourismus und Religion
Wie schnell solche Forderungen mit den Interessen von Religion und Tourismus kollidieren, zeigt eine Geschichte, die sich wenige Monate vor dem Erdbeben vom August 2016 zutrug. Kaum hatte das Religionsministerium in Myanmars Hauptstadt Naypyidaw ein Kletterverbot für die historischen Stupas und Tempel erlassen, hob es das Verbot auch wieder auf. Das Ministerium beugte sich den Protesten von Reiseveranstaltern, Hotelbesitzern und Touristenführern in Bagan. Das Klettern auf die Tempel, Touren zur Bewunderung von Sonnenauf- und -untergängen von den Spitzen der Tempel sind die Topattraktionen des Bagan-Tourismus.
Aussichtsplattformen werden bestenfalls einen gewissen Schutz für die beliebtesten Tempel bieten. Zwischen den Tempeln liegen Straßen, auf denen Touristen mit Autos, E-Bikes, Bussen, Pferdekutschen fahren. Hotels rühmen sich mit ihrer Lage in unmittelbarer Nachbarschaft zu den von Andenkenläden umgebenen Sakralbauten. Jedermann kann sich zudem jederzeit vom touristischen Trampelpfad lösen und auf eigene Faust abgelegenere Tempel erkunden. Gerne verewigt sich man auch mal eben mit einem schnell dahingekritzelten Graffiti.
Zusätzlich droht die Tempelrestaurierung zum Spielball beim Ringen der Mächte um Einfluss im zwischen Indien, dem Indischen Ozean und China im geostrategisch günstig gelegenen Myanmar zu werden. Westliche Länder und die UNESCO engagieren sich mit Geld, Wissen und Experten in Bagan. Deutschland beteiligt sich mit 100 000 Euro an den Wiederaufbaumaßnahmen. Vor Kurzem ist China auf den Plan getreten mit dem Vorschlag, eine internationale Expertenkonferenz zur Restaurierung der erdbebengeschädigten Tempel zu organisieren. Die Experten beim Lunch am Irrawaddy nehmen das Gerangel gelassen. "Kulturdiplomatie gibt es seit Jahrhunderten", sagt Myo Nyunt Aung.
Klettertouren auf die Tempel könnten schon bald der Vergangenheit angehören. Staatsrätin Aung San Suu Kyi hat ein Machtwort gesprochen. Die Sonnenuntergänge über Bagan seien zwar "ein Erlebnis, das es so nirgendwo auf der Welt gibt", sagte die De-facto-Regierungschefin gegenüber birmanischen Medien, als sie Ende Januar 2017 zwei Tage lang als Reisführerin die Königin von Bhutan durch Bagan begleitete. Aber sie hätten eben auch eine negative Auswirkung auf den langfristigen Erhalt der historischen Bauwerke. "Deshalb müssen wir eine Alternative finden."
U Aung Aung Kyaw wird die Worte mit Freude gehört haben. Der Direktor der Archäologiebehörde von Bagan ist ein Befürworter eines totalen Kletterverbots. Seine Familie im 160 Kilometer entfernten Mandalay sieht der Archäologe selten. "Kapitel für Kapitel" arbeiteten er und sein Team an der Bewerbung für die Aufnahme der Tempel in das Weltkulturerbe, erzählt U Aung Aung Kyaw. "Das ist eine unglaubliche Herausforderung. Zudem tauchen jeden Tag neue Probleme auf." Trotzdem hofft er, den UNESCO-Antrag fristgerecht bis Ende 2017 einreichen zu können, um Bagan die lang ersehnte Anerkennung als zweite Weltkulturerbestätte in Myanmar zu bringen.
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