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Teilchenphysik: Zwanghafter Zusammenhalt

Quarks, die Grundbausteine von Protonen und Neutronen, ziehen sich umso stärker an, je weiter sie voneinander entfernt sind. Dieses widersinnige Verhalten fanden Forscher nun auch in Festkörpern.
Quarks
Wenn Magnete am Kühlschrank kleben, die Haare nach dem Kämmen abstehen oder Satelliten um die Erde kreisen, wirken Kräfte. Auch wenn ihre Ursache in allen Fällen sehr verschieden ist, haben sie doch etwas gemein: Je weiter die Objekte voneinander entfernt sind, desto schwächer spürt eines die Kraft des anderen. Das Prinzip zieht sich durch die gesamte Physik. Nur Quarks, die Bausteine von Protonen und Neutronen, halten sich nicht daran.

Während sie sich innerhalb der Nukleonen noch nahezu frei bewegen können, wächst ihre Anziehungskraft mit steigendem Abstand voneinander an, bis sie schließlich konstant wird. Mit anderen Worten: Will man sie voneinander trennen, müsste man unendlich viel Energie aufwenden – was natürlich nicht geht. Aus diesem Grund treten Quarks nie allein auf, sondern nur in Zweier- oder Dreiergrüppchen. Versucht man sie dennoch mit Gewalt zu trennen, entstehen zwischen ihnen einfach zwei weitere Quarks, die den isolationsgefährdeten Teilchen wieder Gesellschaft leisten.

Proton | Quarks sind prinzipiell nicht als freie Teilchen beobachtbar, sondern bilden stets "farbneutrale" Verbände. Dabei schließen sie sich zum Beispiel zu einem Proton zusammen, wie hier schematisch dargestellt.
Der zwanghafte Zusammenhalt wird als Quarkeinschluss (englisch: confinement) bezeichnet und könnte mit bestimmten Eigenschaften – so genannten Farbladungen – der Quarks zusammenhängen. Demnach müssen sich die "Farben" der Teilchen stets neutralisieren, und das funktioniert eben nur im Verbund – vergleichbar mit der additiven Farbmischung. Doch auch wenn dieses Bild die Architektur von Protonen und Neutronen beschreiben kann, sind viele Details bisher noch nicht verstanden.

Quarks halten sich eben nie allein auf, und somit lassen sich ihre Eigenschaften nur indirekt untersuchen. Zudem hakt es derzeit noch daran, tatsächlich gemessene Eigenschaften der Quarkpakete, wie etwa deren Masse, auch theoretisch zu berechnen. Nicht zuletzt deswegen sind Physiker sehr daran interessiert, analoge Phänomene in gut verstandenen und kontrollierbaren Systemen zu entdecken.

Festkörper stellten sich dabei als geeignete Kandidaten heraus. Bereits in den 1990er Jahren schlugen Theoretiker vor, dass eine dem Confinement ähnliche Eigenschaft in so genannten Spinleitern auftritt: eine Leiter, deren Streben von zwei gekoppelten Molekülketten gebildet werden. Anders als in freier Wildbahn verhalten sich die Elektronen hier nicht wie einzelne Objekte, die mit Elementarladung und Spin ausgestattet sind, sondern vielmehr, als würden sie aus zwei unabhängigen Partikeln bestehen. Eines dieser Quasiteilchen trägt nur die Ladung, das andere nur den Spin. Letzteres wird Spinon genannt und sollte sich in der Leiterformation ähnlich wie ein Quark benehmen. So weit die Theorie.

Jetzt, mehr als zehn Jahre später, liefern Bella Lake vom Helmholtz-Zentrum Berlin und ihre Kollegen auch den experimentellen Nachweis. Er gelang ihnen in magnetischen Kalzium-Kuprat-Kristallen, in denen sich die Erfolg versprechenden Spinleitern aus Kupferoxidmolekülen befinden. Mit Hilfe von Neutronenstreu-Experimenten fanden die Wissenschaftler heraus, dass die Spinone in einzelnen Kupferoxidketten noch keinerlei Zwängen unterliegen. Sie können sich also ohne Probleme weit voneinander entfernen. Doch sobald sich aus zwei Ketten eine Spinleiter bildet, verhalten sie sich plötzlich ganz anders: "Unsere Ergebnisse beweisen, dass die Spinone in ähnlicher Weise wie Quarks eingeschlossen und zusammengehalten werden", so Lake.

Spinleiter | Der Abschnitt zwischen zwei Spinonen (domain walls) auf einer Kette besteht aus umgekehrten Spins (rot). Ist eine Kette antiferromagnetisch an eine andere gekoppelt, so wie in der Spinleiter, kosten diese umgekehrten Spins wegen ihrer parallelen Ausrichtung zu den Spins auf der benachbarten Kette mehr Energie.
Sie treten also stets in Paaren auf, und je weiter sie voneinander entfernt sind, desto mehr Energie ist nötig, um sie zu trennen. Erklären ließe sich dieses Verhalten durch die Orientierung der Spins: Während diese auf einer einzelnen Molekülkette nur mit ihrem nächsten Nachbar in Wechselwirkung treten, spielen in der Leiterformation auch die jeweils gegenüberliegenden Partner eine Rolle.

Dabei arrangieren sich die Spins für gewöhnlich so, dass das System möglichst wenig Energie besitzt. An einigen Stellen bringen Spinone diese Harmonie allerdings durcheinander, indem sie ihren Spin entgegen der vorgeschriebenen Richtung einstellen und damit mehr Energie kosten. Entfernen sich die Störenfriede nun voneinander, drehen sich zwischen ihnen immer mehr Spins in eine ungünstige Position, was immer mehr Energie kostet, erläutern Lake und ihr Team. Letztlich würde dieser Umstand dann zu einem dem Quarkeinschluss analogen Phänomen führen: Um die Spinone zu isolieren, bräuchte man unendlich viel Energie.

Als Nächstes wollen die Wissenschaftler auch andere Kristalle untersuchen; denn die Theoretiker vermuten das nun nachgewiesene Phänomen auch in anderen kondensierten Materiesystemen. Die experimentellen Ergebnisse könnten dann mit den Spinonen zu Grunde liegenden Modellen verglichen werden, um so mehr über das Confinement im Allgemeinen zu erfahren.

Die Mechanismen, die in Spinleitern und Quarksystemen für das zwanghafte Zusammensein sorgen, sind allerdings sehr verschieden, und so hat die Analogie auch ihre Grenzen. Ideen holen kann man sich hier aber allemal.

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