Direkt zum Inhalt

Hohlwelt

Erdaufgang über dem Mondhorizont (Lunar Reconnaissance Orbiter)

Ein Esoteriker einer bestimmten Sorte behauptet: Wir leben im Inneren einer Hohlkugel, in deren Innerem sich die Planeten und die Sterne befinden. Die Bergwerke graben wir nach außen. Wie können Sie – falls überhaupt – zeigen, dass dies falsch ist?

Wie ist es mit Schiffen am Horizont, wie mit Raumschiffen, die aus der Nähe den Umfang Jupiters messen? Bedenken Sie aber, dass Lichtstrahlen nicht wirklich geradlinig laufen, und dass die Relativitästheorie uns gelehrt hat, mit der Messung von Längen vorsichtiger zu sein.

Von einem Schiff, das am Horizont auftaucht, sehen wir zuerst nur die Mastspitze. Wir erklären das mit dem geradlinigen Lauf des Lichtes und der Konvexität der Erdkugel.

Aber Vorsicht! Die Brechung in der Atmosphäre krümmt die Lichtstrahlen auf eine nicht vernachlässigbare Weise, außerdem tut es auch die Schwerkraft, was aber für die Erde – im Gegensatz zu Neutronensternen – völlig unwesentlich ist (und für die Sonne durchaus messbar). Trotzdem reichen diese Effekte nicht aus, um die Sache mit den Mastspitzen ohne Wölbung der Erdoberfläche "nach unten" zu erklären. Es sei denn, die Hohlwelt-Gläubigen wären mathematisch gebildet: Dann könnten sie sagen: Lichtstrahlen bewegen sich auf Kreisen, die durch den Mittelpunkt der Hohlkugel gehen. Dann fahren die Schiffe auf der Innenseite der Hohlkugel, und wir sehen trotzdem die Mastspitzen zuerst:

Der Horizont ist dann keine (Berühr-) Ebene, sondern eine Berührkugel mit dem halben Radius wie die Hohlkugel durch den Beobachter-Ort.

Wie ist es aber mit der Messung des Jupiter-Umfangs mit einem Raumschiff? Wenn dieser rund zehnmal so groß wie der Erdumfang ist, passt Jupiter doch nicht in die Hohlkugel, oder?

Unsere intelligenten Hohlwelt-Verfechter (das ist noch kein Widerspruch in sich!) können uns folgende Erklärung anbieten: Ein Gegenstand schrumpft, wenn er sich dem Zentrum der Hohlwelt nähert. Die Vergleichsmaßstäbe schrumpfen also auf der Fahrt von der Erd-Innenfläche zum Jupiter, und so findet man für den Umfang des ziemlich kleinen Planeten sehr große Zahlen. Bei der Rückkehr bekommen die Rakete und die Maßstäbe auf ihr wieder die alten Größen. Auch wenn die Astronauten auf Jupiter aussteigen könnten, würden sie ihn viel geräumiger finden als die Erde, so wie Däumlinge auf einem großen Globus.

Sagen Sie bitte nicht, derartiges Schrumpfen wäre mit den Grundsätzen der Physik nicht vereinbar, denken Sie an die Lorentz-Fitzgerald-Kontraktion! Es kommt aber noch viel schlimmer:

Es gibt in der Geometrie eine als Inversion bezeichnete Abbildung. Sie bildet jeden Punkt P außerhalb einer vorgegebenen Kugel in einen eindeutig bestimmten Punkt P' in ihrem Inneren ab – und umgekehrt. Und zwar hat P' die gleichen Winkelkoordinaten wie P, und das Produkt der Entfernungen der beiden Punkte vom Mittelpunkts der Kugel ist gleich dem Quadrat des Kugelradius R. Die Inversion ist ihre eigene Umkehrabbildung, und der Mittelpunkt der Kugel ist der einzige Punkt, der keinen Bildpunkt hat.

Diese Abbildung stellt gerade die Beziehung zwischen unserer normalen Beschreibung der Welt und der Hohlwelt-Darstellung her. Insbesondere bildet sie unsere Horizont-Ebene in die Kugel ab, die die Hohlwelt von innen berührt und durch das Zentrum der Hohlwelt geht. Auch das Schrumpfen wird genau in der passenden Weise geliefert.

Ist die Hohlwelttheorie nun überhaupt zu widerlegen, oder ist sie gar nicht falsch?

Die Inversion lehrt uns: Man kann alles auf beide Arten darstellen, abgesehen vom Mittelpunkt der Erde, was aber bestenfalls ein Schönheitsfehler ist. In diesem Sinne ist die Hohlwelttheorie genau so richtig wie unsere gewohnte Beschreibung. Aber sie hat zwei entscheidende Nachteile, die viel schlimmer sind, als wenn sie falsch wäre:

Zum einen benutzt sie einen sehr speziellen Bezugspunkt als Bild aller unendlich weit entfernten Objekte, nämlich den Mittelpunkt der Erde. Sie behandelt damit nicht mehr alle Punkte des Universums als gleichberechtigt, sondern ist in einem extrem weit gehenden Sinne geozentrisch. Es ist die eigentliche Errungenschaft der "kopernikanischen Wende", dass wir so etwas nicht mehr haben wollen: Wir reden zwar ganz geozentrisch vom Sonnenaufgang, aber wir formulieren die Physik und sogar die Kosmologie so, dass darin eben nicht die Erde – und nicht einmal unsere Galaxis – eine Extrawurst gebraten bekommt. Die Hohlwelttheorie fällt hinter diese Forderung zurück. Wer sie ernsthaft vertritt, kann das widerspruchsfrei tun, aber er verletzt den kopernikanischen Konsens. Das ist nicht unbedingt ein Beweis gegen seine Intelligenz; auch ein Schachweltmeister wäre nicht als blöde zu bezeichnen, bloß weil er unfähig sein sollte, sich einen Knoten in eine Krawatte zu machen. Aber die ernsthaften Verfechter der Hohlwelttheorie (im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts) waren nicht intelligent, denn sie argumentierten nicht einmal mit der Inversion.

Es gibt ein noch ernsthafteres Argument gegen die Benutzung der Hohlwelttheorie: Sie ist überwältigend unpraktikabel. Schon die einfachsten Bewegungen arten in komplizierte Differenzialgeometrie aus. Man kann den Leuten nur empfehlen, jedes Problem erst einmal in die Form mit den geradlinigen Lichtstrahlen zu invertieren, dann zu lösen und wieder zurückzutransformieren (so wie man sich früher das Multiplizieren erleichterte, indem man die Zahlen auf ihre Logarithmen abbildete und das Ergebnis zurücktransformierte).

Nun haben Naturwissenschaftler die Eigenheit, die Beschreibung, die sich am bequemsten rechnen lässt, so behandeln, als wäre sie die erwiesenermaßen einzig Richtige. So sehe ich eine Wand als real an, wenn ich gegen sie klopfen und nicht durch sie hindurchgehen kann (hypothetischer Realismus, vom naiven nur schwer zu unterscheiden!). Wenn die Hohlwelttheorie mich nötigt, fast jede Berechnung in ein anderes System zu transformieren, so halte ich doch gleich dieses andere System für eine sinnvolle Beschreibung der Realität – was immer das sein mag.

Fassen wir zusammen: Die Hohlwelttheorie lässt sich nicht als falsch widerlegen, aber sie ist nur auf äußerst unmoderne Art geozentrisch und auf unerträgliche Weise kompliziert in ihren Anwendungen. Im Vergleich zu anderen esoterischen Theorien (Welteislehre, Biorhythmus, Astrologie, Poltergeister) steht sie damit eigentlich relativ vornehm da, aber tödlich ist es für sie trotzdem.

Der unvergessene Roman Uli Sexl hielt mehrmals wundervolle Vorträge über die Hohlwelttheorie (diesen folgen auch die hier vorliegenden Darlegungen). Sie endeten mit der Pointe: "Es gibt doch einen experimentellen Beweis für die Richtigkeit der Hohlwelttheorie: Unsere Schuhsohlen sind konvex" (gemeint: nach oben gekrümmt, so dass die Form des Schuhs der Hohlwelt angepasst ist). Eines der schönsten Bonmots von Sexl, der Professor für Theoretische Physik an der Uni Wien und Spezialist für die Relativitätstheorien war, lautete: Wien ist sehr gut für die Erforschung der Relativitätstheorie geeignet, denn alles, was man dort sieht, ist Vergangenheit.

Wenn Sie nun meinen, das sei unfreundlich gegen Österreich im Allgemeinen und Wien im Besonderen, so mag es Sie trösten, dass auch alles andere, was man sieht, Vergangenheit ist (auch wenn es nicht überall gleichermaßen deutlich auffällt …).

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.