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NIM

Treitz-Rätsel

Aus dem – ansonsten eher handlungsarmen – Film "Letztes Jahr in Marienbad" von Alain Resnais blieb uns 1961 außer dem streng-schönen Gesicht von Delphine Seyrig und einer geometrischen Gartenanlage vor allem ein Spiel im Gedächtnis, mit dem der dämonisch blickende Sacha Pitoeff mehrmals andere Personen des Films besiegte. In der Unterhaltungsmathematik hört es auf den Namen NIM (angelehnt an "nimm"). 16 Knöpfe (Chips, Streichhölzer oder so) werden wie 1 + 3 + 5 + 7 auf 4 Reihen verteilt. Bei jedem Zug muss aus genau einer Reihe mindestens 1 Knopf entnommen werden (maximal alle der Reihe). Wer keine Knöpfe mehr vorfindet, hat verloren. Wer den Trick kennt und zur Anwendung bringen kann, gewinnt unweigerlich. Wer anfängt, kann Pech haben, dass sein Gegner entweder den Trick kennt oder zufällig alles richtig macht.

Der Trick geht so: Man denkt oder schreibt die Anzahlen der Knöpfe in den einzelnen Reihen als Binärzahlen und zählt dann die Einer, Zweier, Vierer und Achter (also die Einsen an der jeweiligen Stelle der Bionärdarstellung). Wenn von allen je eine gerade Anzahl vorhanden ist, liegt eine Verlust-Situation vor, d. h. wer sie vorfindet, muss auf Unkenntnis und Pech des Gegners hoffen.

Die Startsituation 1 + 3 + 5 + 7, also binär 1 + 11 + 101 + 111 oder 1 + 1 + 2 + 1 + 4 + 1 + 2 + 4 ist offensichtlich eine solche (4 Einer, 2 Zweier und 2 Vierer). Wenn man den Trick kennt, empfiehlt es sich also, vornehm auf den ersten Zug zu verzichten.

Wieso klappt das?

Zunächst ist klar, dass lauter Nullen eine Verlustsituation bilden. Wir müssen dann überlegen, wieso man aus jeder Gewinn-Situation, aber aus keiner Verlustsituation eine Verlustsituation machen kann, indem man aus einer Reihe etwas wegnimmt.

Angenommen, es liegt eine Verlustsituation vor, es gibt also in jeder Binärstelle eine gerade Anzahl von Einsen. Was man wegnehmen darf, ist mehr als 0, macht also mindestens eine der Anzahlen ungerade.

Findet man dagegen eine Gewinnsituation vor, so ist mindestens eine der Ziffernsummen ungerade. Wenn es z. B. die Zweier und Vierer sind, so nimmt man aus der Reihe, in der der überzählige Vierer ist, 2 weg. Falls auch noch die Einer ungerade sind, nimmt man 1 aus der Reihe mit dem überzähligen Vierer. Und wenn nur eine Anzahl ungerade ist, ist ja wohl klar, was zu tun ist.

Wenn man ganz gemein ist, bietet man an, auch einmal selbst anzufangen, aber zur Abwechslung auch einmal mit anderen Zahlen. Sie wissen ja nun, wie das geht.

Die Strategie ist also ziemlich einfach, wenn auch nicht so leicht durchschaubar.

Am 6. Oktober 1951 riskierte es der Wirtschaftsminister Ludwig Erhard (der später auch einige Jahre Kanzler war, aber seinen vorzüglichen Platz in der deutschen Geschichte als Wirtschaftspolitiker der Bizone und der frühen Bundesrepublik erworben hat) im britischen Pavillon auf der Berliner Industrie-Ausstellung, gegen den Computer "Nimrod" NIM zu spielen. Er verlor alle drei Spiele. Die Firma Westinghouse hatte bereits 1939 einen Roboter vorgestellt, der NIM spielen (und gewinnen) konnte. Die Gegenspieler bekamen, nachdem sie verloren hatten, einen Button "I have seen the future": ein wahres Wort, obwohl man für NIM eigentlich keinen Computer braucht, aber damals konnten Computer auch noch nicht viel mehr.

Diese Anekdoten habe ich am 14. 10. 2001 auf Seite 70 der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" gefunden, ebenso eine Notiz über Charles Bouton, der das Spiel 1902 (als NIM, auch mit der binären Arithmetik als Strategie) vorgestellt und ihm eine alte chinesische Vergangenheit angedichtet hat. Dort ist allerdings von einer Variante mit 13 Knöpfen in nur einer Reihe die Rede. Hier empfiehlt es sich natürlich, selbst den ersten Zug zu haben und dann einfach alle Züge des Gegners zu wiederholen, was vermutlich schnell langweilig und durchschaubar wird, im Gegensatz zu mehrreihigen Versionen.

Martin Gardner hat sich im Februar 1958 im Scientific American mit NIM befasst.

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