Rollende Ellipsen
Eine Ellipse rollt mit ihrem Umfang um eine zu ihr deckungsgleiche ruhende Ellipse herum. Sie startet mit dem Kontakt der am stärksten gekrümmten Scheitel. Auf welchen Kurven bewegen sich die Brennpunkte der wandernden Ellipse?
Betrachten Sie eine Ellipse und ihr Spiegelbild an einer Tangente von ihr.
Die hier rot gezeichneten Überkreuz-Verbindungen der Brennpunkte sind so lang wie die große Achse der Ellipse, denn in einer Ellipse ist die Summe der Entfernungen von einem Punkt des Umfangs zu den beiden Brennpunkten stets konstant und gleich der großen Achse. Die Normale zur Tangente halbiert den Winkel zwischen den zwei Geraden, die den Berührpunkt der Ellipsen mit deren Brennpunkten verbinden. Wenn eine Ellipse festgehalten wird, wandert der ferne Brennpunkt der beweglichen Ellipse also auf einem Kreise um den nahen Brennpunkt der festen Ellipse und umgekehrt.
Dass die Umfänge der Ellipsen dabei nicht gleiten, sondern aneinander abrollen, sieht man am einfachsten, wenn man die Ellipse und ihr Spiegelbild an der festgehaltenen gemeinsamen Tangente abrollen (oder gleiten?) lässt: Der Berührpunkt wandert wegen der Symmetrie an jeder Stelle auf beiden Ellipsen gleich schnell, gleitet also nicht, sondern rollt ab.
Die vier Brennpunkte bilden die Ecken eines Antiparallelogramms mit der großen Achse und der Exzentrizität als festen Seitenlängen. Sie können daher mit diesem äußerst einfachen Gelenkmechanismus betrieben werden (Nachbauen mit Karton und Metallbaukasten lohnt sich!):
Wenn man mit dem Antiparallelogramm anfängt, kann man die obigen Schlüsse sogar einfacher beweisen: Die Winkelhalbierende der Verbindungen des Umfangspunktes der Ellipse zu ihren Brennpunkten steht immer senkrecht zur Tangente des Umfangspunkts. Damit ist nicht nur wellenoptisch, sondern auch strahlenoptisch klar, dass ein Spiegel in Form eines gestreckten Rotationsellipsoids einen seiner Brennpunkte exakt in den anderen abbildet. Alle anderen exakten reellen optischen Abbildungen sind nur Spezial- bzw. Grenzfälle davon: Eine Kugel bildet ihren Mittelpunkt auf sich selbst ab, und das Rotationsparaboloid bildet seinen Brennpunkt auf den zur Innenseite hin orientierten unendlich entfernten Punkt auf seiner Achse ab.
Wenn man die Ellipsen als Zahnräder ausführt, hat man mit ihnen und den Gelenkstangen eine Apparatur zu einer ungleichmäßigen Übertragung einer Winkelgeschwindigkeit: In der Animation dreht sich die rote Stange gleichmäßig, die gelbe aber zeitweise viel langsamer beziehungsweise viel schneller.
Fast geisterhaft sieht es aus, wenn man die Ellipsen aus Karton so mit den Metallbaukastenteilen verbindet, dass von einer Seite nur die Ellipsenflächen zu sehen sind. Hält man die Ellipsen waagerecht ausgerichtet, und rollt auf der fixierten unteren die obere Ellipse hin und her, ergibt sich ein lustiges Bild (bei hinreichend kleinem Achsenverhältnis gibt es Schwingungen um ein stabiles Gleichgewicht): Die Metallstangen sind dann nicht zu sehen, weil die beiden längeren von der Umgebung des Berührpunktes verdeckt werden und die kürzeren ohnehin verdeckt sind.
Gefunden habe ich diese wunderschöne Sache in dem Taschenbuch "Ebene Kinematik" von Wunderlich. In der herrlichen "Anschaulichen Geometrie" von Hilbert und Cohn-Vossen kommt noch mehr zu diesem Thema.
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