Das Tier im Wirtschaftssubjekt
Hier kommt die Erklärung aller wirtschaftlichen Abläufe und wirtschaftshistorischen Fehler – und noch viel mehr, einschließlich einer Analyse der aktuellen Wirtschaftskrise mitsamt einer Anleitung, was dagegen zu tun sei. Starke Worte; aber immerhin ist George A. Akerlof Professor für Wirtschaftswissenschaft an der University of California in Berkeley und Nobelpreisträger von 2001 (Spektrum der Wissenschaft 12/2001, S. 24); Robert J. Shiller von der Yale University ist ebenfalls einer der prominentesten Ökonomen unserer Zeit. Und die Autoren lösen den hohen Anspruch ein: Sie erklären verschiedene wirtschaftliche Phänomene ohne den neoklassischen Schlachtruf "Der Markt regelt alles!" und sind damit interessanter und überzeugender als der Großteil der gängigen volkswirtschaftlichen Literatur.
Sympathischerweise klären die Autoren bereits in der Einleitung ihr Verhältnis zu diversen Standardkonzepten der Volkswirtschaftslehre (die sie zunächst wunderbar knapp und verständlich darstellen): Für den Großteil der wirtschaftlichen Vorgänge in ruhigen Zeiten kann man sie gut gebrauchen. Um den Preis von Toilettenpapier oder das Auf und Ab am Devisenmarkt zu erklären, sind Angebot und Nachfrage gute Konzepte. Sogar für die Frage, warum und nach welchen Regeln Menschen in ein Arbeitsverhältnis treten und einen Lohn dafür bekommen, sind die gängigen Theorien in der Mehrzahl der Fälle sinnvoll anzuwenden – aber eben nicht immer. Und bei den wirklich schwierigen Fragen, etwa, warum es hartnäckige Arbeitslosigkeit oder Finanzkrisen gibt, helfen sie gar nicht weiter. Denn in diesen Fällen ist die Folgerung aus der klassischen Theorie ("Es stellt sich ein Preis ein, der den Markt räumt") schlicht falsch.
Da müssen neue Ideen her, und die Autoren greifen dafür auf ein Konzept zurück, das der alte John Maynard Keynes (1883 – 1946) in den 1930er Jahren geprägt hat: die animal spririts, eine Art Bauchgefühl, das bei Entscheidungen häufig den kühlen Verstand ersetzt. Zu den animal spririts zählen Fairnessempfinden, die Unmöglichkeit, in die Zukunft zu blicken, und der hoffnungsvolle Glaube an allzu optimistische "Geschichten".
Im Supermarkt kann man von einigermaßen klar kalkulierenden Käufern und Verkäufern ausgehen. Aber es wäre übertrieben zu glauben, dass jemand, der eine Hypothek über 20 Jahre aufnimmt, tatsächlich seine Einkommens- und Ausgabenströme dieser Zeit vorhersieht und entsprechend planen kann. Eher gibt bei solchen Entscheidungen das Gefühl "Das wird schon irgendwie klappen" den Ausschlag. Dieses Vertrauen wird von so schwammigen Einflüssen wie etwa der Stimmung in der Gesellschaft geprägt. Die kann zu einem echten Konjunkturfaktor werden, etwa im Internetboom vom Ende der 1990er Jahre, bei dem das Geld auf der Straße zu liegen schien; schade nur, dass die große Blase Anfang 2000 in sich zusammenfiel.
Wenn aber das Verhalten des Einzelnen in vielen Fällen nicht rational erklärbar ist, hat jeder, der auf der Basis der üblichen Theorien die Ökonomie zu erklären oder gar zu prognostizieren versucht, ein ziemliches Problem – und wenn er noch so ausgefeilte statistische Methoden verwendet! Da muss laut Akerlof und Shiller auch der Versuch scheitern, aus Marktpreisen (etwa Aktienkursen) etwas über den tatsächlichen Wert des gehandelten Guts (des betreffenden Unternehmens) abzuleiten. Von der Vorstellung, Preise spiegelten die ökonomischen Grunddaten wider, müsse man sich einfach lösen. An anderer Stelle meinen sie, die Frage, warum die Investitionsausgaben schwanken, sei etwa so wie die Frage, warum der Bierkonsum von einer Pokerparty zur anderen schwankt: Wer weiß das schon? Und wen interessiert es überhaupt? Das ist ein bisschen revolutionär, aber mir hat sich diese Frage auch schon bei vielen, vielen Beiträgen volkswirtschaftlicher Kongresse aufgedrängt.
Nachdem also die theoretischen Grundlagen wackeln, kann auch die Wirtschaftspolitik sich nicht mehr auf die alten Weisheiten berufen; hier geben die Autoren für einzelne Fragen neue Antworten. In wohltuendem Kontrast zu den üblichen Lehrbüchern überspringen sie die mittlerweile sehr langweilig gewordene Diskussion über die Aufgaben des Staats im Allgemeinen und sagen, die Wirtschaftspolitik müsse sein wie gute Eltern: Freiheiten lassen, um Selbstständigkeit nicht zu ersticken, aber Grenzen setzen, um Exzesse zu unterbinden. Und im Krisenfall beherzt eingreifen, weil die Erfahrung lehrt, dass nicht immer alles von allein wieder gut wird.
Entsprechend empfehlen die Autoren zur Bekämpfung der gegenwärtigen Krise umfangreiche staatliche Maßnahmen. Mit der "Great Depression" der 1930er Jahre im Hinterkopf plädieren sie für die Unterstützung der Banken, die sie als Dreh- und Angelpunkt für den Wirtschaftsablauf ausmachen und damit für die Entstehung des animal spirit namens Vertrauen. Oberstes Gebot der Stunde sei es, eine "Kreditklemme " zu verhindern, also einen Stopp der Kreditvergabe durch die Banken, die wegen der verschlechterten wirtschaftlichen Perspektiven lieber ihr Geld horten, als es zu verleihen. Diese Stützungsmaßnahmen kosten Geld, viel Geld – und wurden in sehr vielen Ländern rund um den Globus in etwa so praktiziert, wie die Autoren beschreiben.
Natürlich kann man mit den animal spirits weder die Welt noch die gesamte Wirtschaft erklären. Das Buch bietet acht Fragen an, die mit Hilfe des Konzepts einigermaßen überzeugend beantwortet werden können. Eine davon ist die aktuelle Finanzkrise; die übrigen Themen sind so überraschend breit gestreut – Finanzmärkte, Armut bei gesellschaftlichen Minderheiten, Arbeitslosigkeit, Einfluss der Zentralbanken und mehr –, dass das Konzept am Ende ein wenig nebulös bleibt.
Wirklich neu ist der Ansatz nicht, was die Autoren auch gar nicht behaupten. Manchmal kommen einem die Gedanken recht bekannt vor: die Bedeutung von Vertrauen, self-fulfilling prophecies, Schweinezyklen … das hat man irgendwie schon mal gehört. Aber eigentlich geht es in dem Buch nur vordergründig um diese Inhalte. In Wirklichkeit handelt es sich um ein wunderbares Plädoyer für eine Volkswirtschaftslehre, die das große Ganze im Blick behält, sich dabei aber der Komplexität der Welt nicht verschließt – und gegen ein pseudoexaktes Klein-Klein, das auf viel zu simplen Annahmen beruht.
Sympathischerweise klären die Autoren bereits in der Einleitung ihr Verhältnis zu diversen Standardkonzepten der Volkswirtschaftslehre (die sie zunächst wunderbar knapp und verständlich darstellen): Für den Großteil der wirtschaftlichen Vorgänge in ruhigen Zeiten kann man sie gut gebrauchen. Um den Preis von Toilettenpapier oder das Auf und Ab am Devisenmarkt zu erklären, sind Angebot und Nachfrage gute Konzepte. Sogar für die Frage, warum und nach welchen Regeln Menschen in ein Arbeitsverhältnis treten und einen Lohn dafür bekommen, sind die gängigen Theorien in der Mehrzahl der Fälle sinnvoll anzuwenden – aber eben nicht immer. Und bei den wirklich schwierigen Fragen, etwa, warum es hartnäckige Arbeitslosigkeit oder Finanzkrisen gibt, helfen sie gar nicht weiter. Denn in diesen Fällen ist die Folgerung aus der klassischen Theorie ("Es stellt sich ein Preis ein, der den Markt räumt") schlicht falsch.
Da müssen neue Ideen her, und die Autoren greifen dafür auf ein Konzept zurück, das der alte John Maynard Keynes (1883 – 1946) in den 1930er Jahren geprägt hat: die animal spririts, eine Art Bauchgefühl, das bei Entscheidungen häufig den kühlen Verstand ersetzt. Zu den animal spririts zählen Fairnessempfinden, die Unmöglichkeit, in die Zukunft zu blicken, und der hoffnungsvolle Glaube an allzu optimistische "Geschichten".
Im Supermarkt kann man von einigermaßen klar kalkulierenden Käufern und Verkäufern ausgehen. Aber es wäre übertrieben zu glauben, dass jemand, der eine Hypothek über 20 Jahre aufnimmt, tatsächlich seine Einkommens- und Ausgabenströme dieser Zeit vorhersieht und entsprechend planen kann. Eher gibt bei solchen Entscheidungen das Gefühl "Das wird schon irgendwie klappen" den Ausschlag. Dieses Vertrauen wird von so schwammigen Einflüssen wie etwa der Stimmung in der Gesellschaft geprägt. Die kann zu einem echten Konjunkturfaktor werden, etwa im Internetboom vom Ende der 1990er Jahre, bei dem das Geld auf der Straße zu liegen schien; schade nur, dass die große Blase Anfang 2000 in sich zusammenfiel.
Wenn aber das Verhalten des Einzelnen in vielen Fällen nicht rational erklärbar ist, hat jeder, der auf der Basis der üblichen Theorien die Ökonomie zu erklären oder gar zu prognostizieren versucht, ein ziemliches Problem – und wenn er noch so ausgefeilte statistische Methoden verwendet! Da muss laut Akerlof und Shiller auch der Versuch scheitern, aus Marktpreisen (etwa Aktienkursen) etwas über den tatsächlichen Wert des gehandelten Guts (des betreffenden Unternehmens) abzuleiten. Von der Vorstellung, Preise spiegelten die ökonomischen Grunddaten wider, müsse man sich einfach lösen. An anderer Stelle meinen sie, die Frage, warum die Investitionsausgaben schwanken, sei etwa so wie die Frage, warum der Bierkonsum von einer Pokerparty zur anderen schwankt: Wer weiß das schon? Und wen interessiert es überhaupt? Das ist ein bisschen revolutionär, aber mir hat sich diese Frage auch schon bei vielen, vielen Beiträgen volkswirtschaftlicher Kongresse aufgedrängt.
Nachdem also die theoretischen Grundlagen wackeln, kann auch die Wirtschaftspolitik sich nicht mehr auf die alten Weisheiten berufen; hier geben die Autoren für einzelne Fragen neue Antworten. In wohltuendem Kontrast zu den üblichen Lehrbüchern überspringen sie die mittlerweile sehr langweilig gewordene Diskussion über die Aufgaben des Staats im Allgemeinen und sagen, die Wirtschaftspolitik müsse sein wie gute Eltern: Freiheiten lassen, um Selbstständigkeit nicht zu ersticken, aber Grenzen setzen, um Exzesse zu unterbinden. Und im Krisenfall beherzt eingreifen, weil die Erfahrung lehrt, dass nicht immer alles von allein wieder gut wird.
Entsprechend empfehlen die Autoren zur Bekämpfung der gegenwärtigen Krise umfangreiche staatliche Maßnahmen. Mit der "Great Depression" der 1930er Jahre im Hinterkopf plädieren sie für die Unterstützung der Banken, die sie als Dreh- und Angelpunkt für den Wirtschaftsablauf ausmachen und damit für die Entstehung des animal spirit namens Vertrauen. Oberstes Gebot der Stunde sei es, eine "Kreditklemme " zu verhindern, also einen Stopp der Kreditvergabe durch die Banken, die wegen der verschlechterten wirtschaftlichen Perspektiven lieber ihr Geld horten, als es zu verleihen. Diese Stützungsmaßnahmen kosten Geld, viel Geld – und wurden in sehr vielen Ländern rund um den Globus in etwa so praktiziert, wie die Autoren beschreiben.
Natürlich kann man mit den animal spirits weder die Welt noch die gesamte Wirtschaft erklären. Das Buch bietet acht Fragen an, die mit Hilfe des Konzepts einigermaßen überzeugend beantwortet werden können. Eine davon ist die aktuelle Finanzkrise; die übrigen Themen sind so überraschend breit gestreut – Finanzmärkte, Armut bei gesellschaftlichen Minderheiten, Arbeitslosigkeit, Einfluss der Zentralbanken und mehr –, dass das Konzept am Ende ein wenig nebulös bleibt.
Wirklich neu ist der Ansatz nicht, was die Autoren auch gar nicht behaupten. Manchmal kommen einem die Gedanken recht bekannt vor: die Bedeutung von Vertrauen, self-fulfilling prophecies, Schweinezyklen … das hat man irgendwie schon mal gehört. Aber eigentlich geht es in dem Buch nur vordergründig um diese Inhalte. In Wirklichkeit handelt es sich um ein wunderbares Plädoyer für eine Volkswirtschaftslehre, die das große Ganze im Blick behält, sich dabei aber der Komplexität der Welt nicht verschließt – und gegen ein pseudoexaktes Klein-Klein, das auf viel zu simplen Annahmen beruht.
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