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Zwei Blickwinkel Richtung Jenseits

Schon immer hat sich der Mensch mit der Frage beschäftigt, ob es eine unsterbliche Seele gibt. Als vermeintlich wissenschaftlichen Beleg ihrer Existenz betrachten manche so genannte Nahtod­erfahrungen: Patienten, die nach einem Herzstillstand wiederbelebt wurden, berichten zum einen von so genannten "out-of-body experiences" (auf Deutsch: außerkörperlichen Erfahrungen), bei denen sie ihren eigenen Körper von oben schwebend beobachten konnten, zum anderen davon, sie hätten sich durch eine Art Tunnel auf ein strahlendes Licht zubewegt. Die Betroffenen glauben in der Regel, dass sich im Sterben ihre Seele vom Körper gelöst und an der Schwelle zum Jenseits gestanden hätte, bevor sie ins Leben zurückgeholt worden seien.

Zwei kürzlich erschienene Bände diskutieren die Frage, ob Nahtoderfahrun­gen tatsächlich ein stichhaltiges Argument für eine unsterbliche Seele darstellen. Dem Mathematiker Günter Ewald von der Ruhr-Universität Bochum zufolge zeigen solche Erlebnisse, dass sich im Tod die unsterbliche Seele vom Körper löst und ins Jenseits eingeht. Dagegen wendet der Neurologe Birk Engmann von der Universität Leipzig ein, dass sich Nahtod­erfahrungen weit gehend neurobiologisch erklären ließen und somit keinerlei Hinweise auf ein Leben nach dem Tod lieferten.

Die Debatte wird dadurch erschwert, dass die beiden Lager keine einheitliche Definition des Begriffs "Nahtoderfahrung" zu Grunde legen. Engmann weist darauf hin, dass die damit verbundenen Phänomene wie Außerkörper- und Tunnelerfahrungen nur in den seltensten Fällen gemeinsam auftreten. Es sei somit keineswegs klar, von welchen Wahrnehmungen berichtet werden müsste, um von einer Nahtoderfahrung zu sprechen. Ewald hingegen bemüht sich gar nicht erst um eine präzise Definition. Stattdessen wendet er den Begriff auf alle Jenseitserfahrungen an, selbst wenn zum Zeitpunkt des Erlebens gar keine Lebensgefahr bestand.

Ähnlich unpräzise fällt auch Ewalds weitere Argumentation aus. Nach eigener Aussage möchte er eigentlich gar nicht dafür plädieren, dass die Existenz einer unsterblichen Seele naturwissenschaftlich belegt werden könne. Er wolle nur aufzeigen, dass Naturwissenschaften und die Idee einer solchen Seele einander nicht widersprechen. Denn dass sie nach dem Tod ins Jenseits eingeht und dass Nahtoderfahrungen Einblicke in dieses Jenseits liefern, setzt er schon als gegeben voraus! Doch auch wenn die Gesetze der Physik der Existenz einer unsterblichen Seele nicht widersprechen, so folgt daraus natürlich keineswegs, dass sie mit einer hohen Wahrscheinlichkeit existiert.

Ewald wird daher wohl keinen Skep­tiker von der Existenz einer Seele überzeugen. Darüber hinaus ist fraglich, ob er seinem Anspruch gerecht wird, zumindest den fehlenden Widerspruch zwischen unsterblicher Seele und Naturwissenschaften zu belegen. Den gordischen Knoten – die Verbindung zwischen immaterieller Seele und physikalischem Körper – versucht Ewald mittels Quantenphysik zu zerschlagen. Nach dem Prinzip der Quantenverschränkung sind zwei miteinander verbundene Teilchen nicht eigenständig, sondern ihr Verhalten nur im Gesamtsystem interpretierbar. In ähnlicher Weise sollen nach Ewald auch Körper und Seele miteinander verschränkt sein.

Doch solchen Verrenkungen zum Trotz ist auch die Quantenphysik nur eine Theorie über das Verhalten physikalischer Teilchen und lässt keine seriösen Aus­sagen über eine immaterielle Seele zu. Ewald hätte sich bei seiner Argumenta­tion vielleicht mehr mit neurowissenschaftlichen Erklärungen von Nahtod­erfahrungen auseinandersetzen sollen. Doch die tut er mit dem Verweis ab, dass Neurowissenschaft eben auf klassischer Physik und nicht auf Quantenphysik beruhe und somit keine Kompetenz in Bezug auf das Verhältnis von Körper und Seele beanspruchen könne.

Dabei können Nahtoderfahrungen durchaus schon weit gehend neurowissenschaftlich erklärt werden, wie der Leipziger Neurologe Engmann zeigt. Er verweist zunächst darauf, dass klinisch tote Patienten keineswegs hirntot seien, sondern ihr Gehirn auf Grund des Sau­erstoffmangels lediglich an schweren Funktions­störungen leide. Insofern verwundere es auch nicht, dass zentrale Aspekte von Nahtodberichten wie Tunnel­visionen und Außerkörpererfahrungen auch bei anderen Funktionsstörungen des Gehirns wie Schizophrenie oder Drogenmissbrauch auftreten. Die "out-of-body ex­perience" könne man beispielsweise auf eine gestörte Integration verschiede­ner Wahrnehmungsprozesse zurück­füh­ren, die auch bei Epileptikern auftritt und sich mittels transkranieller Magnetstimu­lation des parietalen Kortex sogar künstlich induzieren lässt.

Zudem, so Engmanns nächstes Argument, beeinflusse die jeweilige Kultur den Inhalt von Nahtoderfahrungen. Während zum Beispiel hier zu Lande mancher Wiederbelebte behauptet, er wäre an der Schwelle zum Jenseits von einem Angehörigen oder Engel zurück ins Leben geschickt worden, finden sich in Asien keine derartigen Erlebnisse. Das deute darauf hin, dass solche Elemente eine nachträgliche Konstruktion darstellen, bei der das Erlebte vor dem eigenen kulturellen Hintergrund interpretiert wird.

In seiner sachlichen Analyse gibt der Neurologe auch zu, dass das Wissen über die Vorgänge im Gehirn kurz vor dem Tod noch zu gering sei, um alle Elemente von Nahtoderfahrungen erklären zu können. Es ist jedoch gerade die Stärke seines Buchs, Erkenntnislücken offen anzusprechen – und gleichzeitig eine begrifflich und empirisch fundierte Diskussion anzubieten. Einziger Makel: Die sachliche Herangehensweise manifestiert sich auch in einem trockenen, wenig anschaulichen Stil. Dennoch demonstriert Engmann überzeugend, wie fragwürdig es aus wissenschaftlicher Sicht ist, Nahtoderfahrungen als Beweis für eine unsterbliche Seele heranzuziehen. Ob sie exis­tiert oder nicht, bleibt eine Frage des Glaubens, nicht der Wissenschaft.

  • Quellen
Gehirn & Geist 4/2012

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