»Alles Zufall im All?«: Universum, Pizza, Raumzeit und Donuts
Im Werbetext heißt es »Dominika und Erik liefern spannende Einblicke in die aktuelle Forschung vom Urknall bis zum nächsten Pizzeriabesuch«. Sie behandeln auch die drängende Frage: »Was hat das Universum mit einer Pizza zu tun?« Speisen und Getränke ziehen sich als Motiv durch das ganze Werk, das durch seine flotten Sprüche und eine gesuchte Nähe zum Leser auffällt. Es ist offenbar kein bierernstes Lehrbuch. Müssen wir uns also auf Klamauk einstellen oder wird auch seriöse Wissenschaft geboten?
Das handliche Taschenbuch umfasst 224 Seiten. Es besteht aus drei Teilen, die in insgesamt elf Kapitel aufgeteilt sind. Der Text wird durch Farbbilder und Grafiken aufgelockert. Darstellung, Layout und Druck sind, trotz des geringen Preises, ansprechend. Wichtige Fachbegriffe, wie »Astronomische Längeneinheiten« oder »Rotverschiebung«, werden gesondert erklärt. Am Ende eines jeden Kapitels findet sich eine Zusammenfassung des Inhalts. Der Verlag hat insgesamt gute Arbeit geleistet, redaktionelle Schwächen finden sich kaum. Allerdings gibt es einige Stellen, die fachlich problematisch sind.
Der erste Teil, »Die Quellen des Wissens«, beginnt mit dem Kapitel »Gefangen in der Wüste«. Hier berichtet die Autorin eindrucksvoll über ihre Erlebnisse am »Very Large Telescope« in Chile und einsame Beobachtungsnächte in Kalifornien. Es folgt »Das Universum im Computer« – das Metier von Erik Bertram. Es geht um die Simulation der Sternentstehung, und der Leser erfährt über das von James Jeans 1902 formulierte Stabilitätskriterium: Der »Jeans-Radius … hat aber entgegen dem ersten Eindruck nichts mit Ihren blauen Hosen zu tun«. Das dritte Kapitel »Das Tor zur Unendlichkeit« geht wieder auf das Konto von Dominika Wylezalek. Kompetent wird das »James Webb Space Telescope« vorgestellt, dessen Daten sie intensiv nutzt. Erste eindrucksvolle Aufnahmen des revolutionären Instruments prangen auf den Innenseiten des gefalteten Umschlags.
Die Form des Universums
Erik Bertram ist Autor des zweiten Teils, »Das frühe Universum«, leicht zu erkennen an Ausdrücken wie das »schweinekalte Universum« oder »sauteure Satelliten«. Gelegentlich fallen fachliche Ungenauigkeiten oder missverständliche Formulierungen auf, etwa: »Planck postulierte, dass es eine kleinste Energieeinheit in der Natur gibt«. Energie ist auch in der Quantenphysik eine kontinuierliche Größe (Spektrum), es gibt keinen kleinsten Wert. Dagegen ist die Energiemenge bei bestimmten Prozessen quantisiert (Photonen). Bertram erklärt korrekt, dass Alexander Friedmann (1922) bei der Berechnung seiner Weltmodelle annahm, der Kosmos sei im Großen homogen und isotrop. Im folgenden Satz heißt es dann aber: »Edward A. Milne stellte diese Vermutungen bereits im Jahr 1933 auf.« Korrekt ist, dass der britische Physiker Friedmanns Annahme als »Kosmologisches Prinzip« formuliert hat.
Doch damit nicht genug: Dieses wird dem Leser als »Kopernikanisches Prinzip« verkauft, was natürlich nicht dasselbe besagt. Im dritten Kapitel geht es um die wichtige Frage: »Welche Form besitzt das Universum eigentlich?« Schon bald stößt man auf ein Missverständnis: »Glaubt man zumindest Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie, so kann die Raumzeit des Universums eine fast beliebige Form annehmen – Mathematiker sprechen dabei auch von der Topologie.« Richtig ist: Die einsteinschen Feldgleichungen bestimmen nur die Geometrie des Universums (Metrik), nicht aber seine Topologie (Gestalt). Hier kommt auch die Pizza wieder ins Spiel: »Möglicherweise besitzt das Universum die Topologie einer köstlichen Margherita – deren Raumzeit anschaulich gesprochen global flach ist – oder die eines gigantischen Donuts, dessen Raumzeit global gekrümmt ist.« Zu bemängeln ist hier, dass die wichtige Frage der räumlichen Unendlichkeit nicht behandelt wird (die flache Pizza ist endlich). Ebenso fehlt die Unterscheidung zwischen innerer und äußerer Krümmung sowie die Betrachtung der Dimension (die Oberfläche des Donuts ist bekanntlich eine flache Mannigfaltigkeit). Der Leser wird durch unpräzise Formulierungen leicht in die Irre geführt.
Erst spät geht es um den Zufall
Für den letzten Teil, »Das späte Universum«, ist wieder Wylezalek verantwortlich. Das erste Kapitel ist der Geschichte der Astronomie gewidmet. Hier lesen wir: »Eine der bekanntesten ersten Karten der Milchstraße geht auf Sternzählungen von William Herschel zurück und soll die Form und Größe der Milchstraße zeigen.« Ein häufig gemachter Fehler. Herschels Grafik, die hier reproduziert ist, zeigt nicht die Milchstraße als Ganzes (von oben gesehen), sondern nur einen vertikalen Schnitt durch die galaktische Scheibe am Ort der Sonne. In den weiteren Kapiteln geht es um die Entwicklung unserer Heimatgalaxie und ihrer Bestandteile. Hier wird behauptet, Gold würde bei einer Supernova-Explosion »erbrütet«. Diese Ansicht ist mittlerweile überholt: Das Edelmetall entsteht bei der Verschmelzung zweier Neutronensterne. Das letzte Kapitel ist dem »Raumschiff Erde« gewidmet – ausgehend vom Urknall nähern wir uns also endlich der heimischen Pizzeria.
Interessant ist, dass Bertram und Wylezalek erst im Epilog »Alles Zufall im All?« zum eigentlichen Thema kommen. Abgesehen davon, dass ich mir eine angemessene Behandlung des Zufalls in den vorangegangenen Kapiteln gewünscht hätte, etwa bei der Entstehung und Entwicklung des Universums, finden sich hier nur recht allgemeine Aussagen. Relevante thermodynamische und quantenphysikalische Aspekte des Zufalls werden nicht diskutiert.
Wird seriöse Wissenschaft geboten? Ich meine, ja, wenn auch der Text auf die Sprache junger Leser zugeschnitten ist (im Idealfall mit zerrissener Jeans und einem Stück Pizza in der Hand). Vielleicht ist dies auch der Grund für die mangelnde inhaltliche Genauigkeit an einigen Stellen. Das Buch von Erik Bertram und Dominika Wylezalek ist jedenfalls eine unterhaltsame Lektüre, die aktuelles astronomisches Fachwissen mit coolen Sprüchen und witzigen Anekdoten garniert. Besondere Vorkenntnisse sind nicht erforderlich. Deshalb war ich erstaunt über die angegebenen Quellen. Das dreiseitige Verzeichnis liest sich wie aus einer Doktorarbeit, es dürfte die Zielgruppe des Buches überfordern. Die nachfolgende Liste weiterführender Literatur wäre ausreichend gewesen. Den Platz hätte man lieber für ein Sach- und Personenverzeichnis nutzen sollen, das leider fehlt! Insgesamt verdient das Buch eine bessere Bewertung als Bertrams erstes Werk »Gottes großer Plan«. Die Zusammenarbeit mit Dominika Wylezalek war also definitiv eine gute Idee.
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