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Adebars Geheimnisse

Die langbeinigen Vögel mit dem Klapperschnabel mögen vielen vertraut erscheinen, bergen aber noch jede Menge Überraschungen.

Selbst im Traumberuf kann es zu Sinnkrisen kommen: »Bei brüllender Hitze und mit der Zähluhr in der Hand beobachten wir also Störche beim Kacken. Bin ich dafür Biologe geworden?«, fragt sich Holger Schulz in seinem äußerst lesenswerten Buch »Boten des Wandels«, in dem er von seiner Forschung über Ciconia ciconia berichtet, den Weißstorch. Eine bestens bekannte Art, könnte man meinen, hat der Klapperstorch doch einen festen Platz in unserer Imagination.

Von Kindesbeinen an ist er uns als Vetter Langbein und Adebar aus Märchen und Fabeln vertraut. Er gilt als Frühlingsbote, als Sinnbild von Fruchtbarkeit und ehelicher Treue sowie als Paketdienst für Nachwuchs. Jenseits aller Mythologie und Symbolik lernen wir zudem in der Schule einiges über das Verhalten der Vögel und ihre viele tausend Kilometer langen Zugrouten nach Afrika. Ist der Storch nicht schon längst erforscht?

Wenig wählerische Fleischfresser

Schulz schlüsselt auf wunderbare Weise auf, wie vielfältig das Verhalten der Tiere tatsächlich ist, wie anpassungsfähig diese Überlebenskünstler auf Herausforderungen reagieren. Da bleibt nicht viel übrig von vermeintlichen Gewissheiten. So ist beispielsweise das Bild vom Storch, der im flachen Wasser stakt und bevorzugt Frösche frisst, zu einfach gemalt. Die Vögel sind Fleischfresser und in ihrer Diät wenig wählerisch, ob ihnen nun Amphibien, Mäuse, Schlangen, Insekten oder anderes Getier vor den Schnabel kommen.

Wie Schulz und seine Kollegen in abenteuerlichen und oft auch gefährlichen Expeditionen nachweisen konnten, favorisieren die Tiere seit einiger Zeit eine gänzlich unerwartete Nahrungsquelle: Mülldeponien. Das Angebot für die Störche scheint dort so reichhaltig, dass sie manchmal auf Abfallhalden in Südeuropa überwintern und die riskante Reise nach Afrika ganz ausfallen lassen.

Der Trip ist unter anderem deshalb so gefährlich, weil die Vögel als Segelgleiter auf gute Thermik angewiesen sind, also auf Aufwinde durch hochsteigende warme Luft. Über großen Wasserflächen ist die rar, deshalb gabelt sich der Zug der Störche in eine Ost- und eine Westroute rund um das Mittelmeer auf. Welchen Weg genau sie nehmen, wo sie rasten und ihre Endstation finden, hängt von der jeweiligen Thermik und dem aktuellen Nahrungsangebot ab.

Das macht die Routen unberechenbar, und Schulz' Berichte von Forschungsexpeditionen gen Süden auf den Spuren der Vögel sind allein die Lektüre wert. Mit aus heutiger Sicht vorsintflutlicher Ausstattung ohne Mobiltelefon, Internet und Satellitentechnik musste Schulz vor Jahrzehnten die fraglichen Gebiete in Afrika möglichst engmaschig nach den Vögeln absuchen – trotz Sandstürmen, Gewittern und Heuschreckenplagen.

Wie abgeschnitten er dabei von der Heimat war, zeigt jene Episode, als er im Postamt von Khartum einen Brief von seiner Frau las und ihm entnahm, dass seine kleine Tochter die Operation gut überstanden habe. Welche Operation? Schulz muss den nächsten Flieger nach Hause nehmen, um mehr über den erfolgreichen Eingriff zu erfahren. Heute dagegen kann er tägliche Updates seiner Storchen-Expeditionen ins Internet stellen.

Federleichte Sender auf dem Rücken der Störche erlauben es mittlerweile, deren Bewegungen punktgenau verfolgen. So ließ sich bereits deren Vorliebe für Müllhalden bestätigen. Das wirft Fragen für den Naturschutz auf, weil organischer Müll nicht mehr auf Deponien landen soll. Können sich die Störche, wenn diese Quelle versiegt, auf ihr angestammtes Verhalten besinnen? Gibt es für sie noch genügend reichhaltige Naturlandschaften?

Es bleibt zu hoffen, dass Schulz einen ebenso spannenden Nachfolgeband über jene Erkenntnisse schreibt, die die Forschung an Ciconia ciconia erst noch liefern wird. Die berüchtigte Zähluhr hat aber schon jetzt eine wichtige Einsicht geliefert. Steigen die Temperaturen, kühlen sich Störche über Harnstoff ab. Ihre Ausscheidungen landen dann nicht mehr auf dem Boden, sondern gezielt und mit angepasster Frequenz auf den eigenen Beinen: Je heißer es wird, desto häufiger.

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