Fantasietrip durch Mikro- und Makrokosmos
»Hallo Leser, hast Du Lust auf das Universum?« Christophe Galfard, Mitarbeiter des kürzlich verstorbenen Stephen Hawking und laut Klappentext »der neue Stern am Himmel der Astrophysik«, duzt die Leser in seinem neuen Buch durchgängig. Dieses penetrante Auf-die-Pelle-rücken geht schon bald auf die Nerven und gefällt sicher nicht jedem, zumal in einem wissenschaftsnahen Text.
Dabei ist das Konzept des Werks durchaus interessant, wenn auch nicht neu. Die Älteren erinnern sich vielleicht noch an das Märchen »Peterchens Mondfahrt«, das sein Publikum, lange vor der Raumfahrt, auf eine abenteuerliche Reise zu unserem Trabanten entführte. Noch einmal drei Jahrhunderte vorher hatte bereits Johannes Kepler in seinem »Somnium« dieselbe Idee. Basiert ein solcher fiktiver Trip auf physikalischen Fakten, kann er auf unterhaltsame Weise viel Wissen vermitteln. Die Grundlagen dafür sind heute besser denn je, denn die relevanten Geschwindigkeiten und Entfernungen bei einer Reise durchs Sonnensystem kennen wir nach vielen einschlägigen Missionen sehr genau. Und die Sciencefiction hat das Universum kreuz und quer mit Warpgeschwindigkeit erkundet.
Scheuer Blick in höhere Dimensionen
Galfard begibt sich in seinem Band ebenfalls auf eine »unglaubliche Reise«, bei der sich Rationalität, Philosophie und Poesie mischen. Sein Startpunkt ist der einsame Strand einer Vulkaninsel. Von hier aus geht er auf fiktive Wanderschaft zu den Sternen und Galaxien, vorbei an Planeten, Supernovae, Schwarzen Löchern und kosmischen Jets. Dabei erkundet er allerlei relativistische Effekte, stellt sich aber auch der Herausforderung, die Welt des Mikrokosmos zu vermitteln. Wie »erfährt« man beispielsweise ein Atom oder die Unbestimmtheit? Sieht man, auf Teilchengröße geschrumpft, die Dinge verschwommen? Der Autor bemüht sich, die bizarre Welt der Quanten und Felder irgendwie beobachtbar zu machen – eigentlich ein Widerspruch in sich. Dabei befasst er sich natürlich auch mit den Anfängen von Raum, Zeit und Materie, sprich mit Urknall, Inflation und Hintergrundstrahlung. Das »Mini-Ich«, durch dessen Augen er seine Leser blicken lässt, begegnet dabei Strings und Branen und wagt auch einen scheuen Blick in höhere Dimensionen, bis es schließlich auf ein unüberwindliches Hindernis stößt, die »Planck-Mauer«. Dahinter lauert das Quantenchaos.
Das alles ist schwer vorstellbar, und so wirft der locker geschriebene Text leider mehr Fragen auf, als er beantwortet. Kann man überhaupt so etwas wie die »Theorie von Allem« in Worte fassen und »begehbar« machen? Schon Hawking hatte in seinem Bestseller »Eine kurze Geschichte der Zeit« versucht, die Welt populär zu erklären, und das ohne jede Abbildung (eine illustrierte Version wurde später nachgereicht). Gelfand eifert seinem berühmten Lehrer nach, was in dem Werk auffällig betont wird, und setzt noch einen drauf – wieder unter weit gehendem Verzicht von Abbildungen.
Doch mit Blick auf normal vorgebildete Leser steht schon seit Hawking die Frage im Raum: Wie weit kann jemand, der mit der modernen Theorie von Raum, Zeit und Materie nicht wirklich vertraut ist, sie begreifen? Galfard zeigt sich hier optimistisch: »Ich bin zutiefst überzeugt, dass das jeder verstehen kann.« Dem stimme ich nicht zu. So eindeutig und klar der mathematische Formalismus ist, so wenig eindeutig und klar lässt er sich in Worte fassen. Das haben berühmte Physiker wie Bohr oder Feynman immer wieder betont. Als Bewohner einer Zwischenwelt zwischen Mikro- und Makrokosmos sind wir mit den Gesetzen der klassischen Physik vertraut; zu Mechanik, Elektrodynamik und Thermodynamik können wir vielleicht noch einen intuitiven Zugang bekommen. Quantenfelder, Strings, Urknall, Wurmlöcher oder die Topologie des Universums dagegen sind nur über den schmalen Grat der höheren Mathematik erreichbar. Jeder Versuch, daraus Prosa, Poesie oder Philosophie zu formen, grenzt an die Quadratur des Kreises. Letztlich entspringt er wohl dem allgegenwärtigen Bedürfnis nach einfachen Erklärungen für komplexe Vorgänge. Die Natur ist aber nicht einfach.
Schaden kann die Lektüre sicher nicht, sie ist auf jeden Fall anregend. Das Buch enthält nur wenige Fehler und Ungenauigkeiten. Ob es aber mehr Ordnung in »Deine« Welt bringt oder eher Verwirrung stiftet, musst »Du« am Ende selbst entscheiden.
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